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Neues aus der Steckdose

ENERGIEWENDE I Eine Reise durch Deutschland auf den Spuren alternativer und herkömmlicher Energiequellen

02.01.2012
2023-08-30T12:17:22.7200Z
6 Min

Die Energiewende, das ist ein großes In-die-Hände- Spucken. Ein kräftiges Scheuern, und los geht es: "Uiih, das wird ja warm", ruft Nick, die Augen weit geöffnet. Anja und Leander tun es ihm nach, reiben ihre Handflächen aneinander - und staunen über die Wärme. "Wie der Ofen da drüben", sagt Rita Kantaut und zeigt in die Ecke. "Was eure Hände machen, macht da drüben der Strom aus der Steckdose." Willkommen im Haus der kleinen Forscher, in der Kita "Am Hain" in Berlin-Friedrichshain. Es ist Montag. In ihrer Werkstatt grübeln Nick, Anja, und Lea, alle drei Jahre alt, über alternative Stromgewinnung; altersgerecht aufbereitet durch ein Lehrprogramm einer Bildungsstiftung der Wirtschaft namens "Haus der kleinen Forscher", die mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung naturwissenschaftliche Themen in die frühkindliche Erziehung einbringen will.

"Woher kommt eigentlich der Strom für den Ofen?", fragt Erzieherin Rita Kantaut. "Schaut mal her!", sagt sie und verteilt handgroße Windräder mit grünen Lichtern, die aufleuchten, als die kleinen Forscher instinktiv pusten. "So kochen wir dann unseren Pudding", jubiliert Anja.

Wenn es nur so einfach wäre mit der Energiewende. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, erklärte mit einem Bild, wie schwer es ist, die Energieproduktion zu reformieren: "Die deutsche Energiewende wird gelegentlich mit der Mondlandung verglichen", schreibt Kerber in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Die Welt". "In puncto Komplexität geht sie aber weit darüber hinaus", sagte er. Seit Ende Juni 2011 im Bundestag die Energiewende beschlossen wurde, diskutiert ganz Deutschland darüber, woher der Strom aus der Steckdose kommen soll. In der Kita "Am Hain" ebenso wie im Bundestag oder am Stammtisch. Die Energiewende - eine Deutschlandreise.

Wind tanken

Sie führt zunächst nach Prenzlau. Kalt ist es. Still stehen die Buchen der Uckermark, die Sonne hat sich hinter grauen Wolken verkrochen. Kein guter Tag für Energie aus Wind und Sonne, und dabei soll die es doch richten. Und dennoch: 100 Kilometer nördlich von Berlin zeigt sich die Energiewende in Blitzweiß. Im Schatten dreier Zwei-Megawatt-Windräder legen sich drei helle Tanks wie abgenagte Knochen über den holprigen Boden. Dahinter ein weißes, grau geziegeltes Häuschen, darauf blau gemalt: "Hybridkraftwerk". Diese kleine Anlage macht möglich, dass man Wind tanken kann, dass Strom haltbar wird. "Damit wird Windkraft versorgungssicher", sagt Werner Diwald. Lautlos ist es draußen wie drinnen. Was da in den 70 Stäben im Erdgeschoss bollert, erahnt man nur. "Das kennt man noch aus dem Chemieunterricht der siebten Klasse", sagt der Vorstand der Betreiberfirma Enertrag. "In diesen Zellen spaltet eine Elektrolyse Wasser mit Hilfe des überschüssigen Stroms in Sauerstoff und Wasserstoff auf. "Im Chemieunterricht war das damals der Moment, in dem seltsame Blasen aufstiegen, und weißer Rauch. In Prenzlau fließt der Wasserstoff in die drei Tanks nach draußen. "Und liefern die Windräder nicht genug Strom, nutzen wir ein Blockheizkraftwerk", sagt Diwald. "Das Gas mischen wir dazu mit dem Wasserstoff zur Energieerzeugung. Was es kostet, aus Wasserstoff wieder Strom zu machen, erfährt man nicht. Aber die Norm sieht so aus: Lastwagen bringen den Wasserstoff nach Berlin, zu einer Tankstelle am Ostbahnhof.

Auch dort spricht man nicht gern über Geld. An der Total-Tankstelle stauen sich an einem Werktagsmorgen die Autos. Diesel, Benzin oder Super, in der Rushhour um halb neun ist jeder Sprit begehrt - bis auf die beiden Zapfsäulen unter dem roten Banner mit weißen Lettern: "Wasserstoff -H2". Kein Fahrzeug tankt hier. Hinter den Säulen rankt ein Holzhäuschen, und der Tankwart sitzt hinter einem Laptop. "Wir bedienen sechs bis acht Autos am Tag", sagt Ove Tinnesand. Der Maschinenbauingenieur wurde vom norwegischen Ölkonzern Statoil nach Berlin geschickt. Noch gibt es nur einige wenige mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge, handgefertigt, für Firmen. Aber wer hier tankt, zahlt nicht mehr als für die Rohöldestillate. Wie viel die Station den Milliardenkonzern aus Stavanger kostet, weiß Tinnesand angeblich nicht. "Wir wollen halt Lösungen finden, bevor uns Öl und Gas ausgehen", sagt Tinnesand und streicht sich über den Schnurbart.

Immerhin zeigt der Wasserstoff Wege auf, wenn die Sonne mal nicht scheint, und der Wind nicht weht. Die regenerativen Energien boomen jedenfalls. Schon jetzt decken sie rund 20 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland; bis 2020 sollen sie gemäß dem Energiekonzept der Bundesregierung mindestens 35 Prozent ausmachen.

Fehlende Netze

Fragt sich nur, wie der Windstrom aus dem Norden in den weniger windigen Süden kommt? Eine Energiewende ohne den Ausbau des Stromnetzes wird es nicht geben. Doch dass die gewaltigen Infrastrukturausgaben oft stocken, zeigen hier an einem Donnerstag riesige Strommasten, die vor dem Örtchen Talkau im Kreis Herzogtum Lauenburg abrupt enden. Eigentlich will der Netzbetreiber 50Hertz hier eine "Windsammelschiene" vorantreiben, Offshore-Windstrom aus der Ostsee von Schwerin nach Krümmel bei Hamburg bringen.

Doch während die Trasse durch das Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns längst fertig ist, endet sie vor der Grenze Schleswig-Holsteins, den letzten 20 Kilometern der Strecke. "Das Einverständnis der drei großen Waldbesitzer liegt längst vor", schimpft Pressesprecher Volker Kamm am Telefon. Aber: "Es gibt tröpfchenweise einen Wunsch nach dem anderen von der Behörde." Er meint den Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr in Kiel. Der wendet, im Gegensatz zum Nachbarland, eine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes an. "Warum die Behörde so lange für einen Planfeststellungsbeschluss braucht, erschließt sich uns nicht wirklich. Zumal man in Schwerin beträchtlich schneller war."

Ob die Windsammelschiene wirklich nur deswegen nicht vorankommt, weil Bundesländer angeblich mit zweierlei Maß messen, unterschiedlich schnell arbeiten und unterschiedlich stark bürokratisch agieren - das lässt sich schwer feststellen. Aus Kieler Behördenkreisen jedenfalls reagiert man reserviert auf das Wehklagen von 50hertz. Wie verlautbart, soll der Netzbetreiber "nicht rechtzeitig geliefert haben". "Wir haben nicht mehr eingefordert als das, was rechtlich vorgeschrieben ist, um das Verfahren wasserdicht zu machen." Immerhin: Beide, Land und Firma, sind optimistisch für das Jahr 2012.

Wieder zurück in den Osten Berlins, in den Stadtteil Rummelsburg. Vorbei an verwitternden Vorgärten und von Grün überwucherten Müllhäuschen. Das letzte bewohnte Haus vor dem Heizkraftwerk Klingenberg trägt nur vietnamesische Namen an den Briefkästen. Hier ist nichts mehr Forschung, hier ist alles Tradition. Im Dezember 1926 wurde das Kohlekraftwerk in Betrieb genommen, und als die Arbeiter 1975 die alten Turbinen ausbauten, wirkten sie von innen wie neu. Die Augen von Georg Bartlau glänzen. "500.000 Wohneinheiten hängen an unserer Fernwärme."

Der Produktionsleiter hat eine Mission. Jetzt im Winter soll kein Haushalt frieren. Dafür schaufeln zwei riesige Kräne heute 5.500 Tonnen aus den Prahmen, den Kähnen mit der Braunkohle aus der Lausitz. Das ist der Tagesverbrauch in Klingenberg.

Braunkohle ist das Stiefkind der Energiewende. Wegen des hohen Ausstoßes von Kohlendioxid passt es nicht mehr in die Zeit. Aber kein Land fördert mehr Braunkohle als Deutschland. Hier das Steuer umreißen ist mehr als ein kleiner Satz.

Auslaufmodell Braunkohle

Im Kraftwerk riecht es nach Kohle, Staub legt sich auf den weißen Notizblock und ins Haar. Georg Batlau, 62, öffnet eine kleine Tür zum Kessel, dem innersten der Anlage. Weiße Ascheflocken tanzen durchs flirrende Orange des Feuers. 1000 Grad Celsius beißen entgegen. Georg Batlau zuckt mit den Schultern. "Auf lange Sicht geht es nicht mehr weiter, keine Frage", sagt er. Für ihn ist 2014 Schluss. Dann geht er in Rente, nach 40 Jahren im Werk. 2016 dann wird auch im Heizkraftwerk wird der Stab übergeben: Gleich gegenüber entsteht ein neues Kraftwerk auf Basis von Gas und Biomasse; als Bestandteil einer Klimaschutzvereinbarung, die der Betreiber Vattenfall im Oktober 2009 mit dem Land Berlin schloss. Georg Batlau schiebt mit einem kräftigen Ruck die Tür zum Heizkessel zu. "Noch wird man nicht wehmütig", sagt er. "Aber das wird noch kommen." Die Reise entlang der Energiewende, vorbei an Neuem und Altem, zeigt vor allem eines: eine einfache, klare Lösung gibt es nirgendwo. Nur zähes Ringen. Und die Einsicht, dass die Erschließung neuer Energieformen leichter fällt, wenn Energie effizienter benutzt wird. Das hat das Haus der kleinen Forscher in der Kita "Am Hain" herausgefunden.

In der Werkstatt steigt Schokoduft vom Pudding auf. Die Kinder haben fürs Kochen doch den Strom aus der Steckdose genommen. Aber wenn schon, dann vielleicht weniger? Nick, Anja und Leander haben drei Lämpchen an drei Blockbatterien geschlossen. "Das ist ein bisschen viel Strom", sagt Rita Kantaut. Da kommt den dreien eine Idee. Sie stecken alle Kabel an eine einzige Batterie. Drei Lichter und drei Kindergesichter leuchten auf. Rita Kantaut lächelt: "Geht doch."