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27 Staaten - 27 Spielregeln

EUROPAWAHLEN Ein einheitliches Wahlrecht kennt die EU nicht. Diskutiert wird über transnationale Listen

20.02.2012
2023-08-30T12:17:26.7200Z
3 Min

"Die Wahl erfolgt allgemein, unmittelbar, frei und geheim" - so steht es im zuletzt 2002 geänderten "Direktwahlakt" der Europäischen Union, der die für alle EU-Staaten verbindlichen Regeln für die Europawahlen festlegt. Wer dies mit den im Grundgesetz für Bundestagswahlen festgeschriebenen Wahlgrundsätzen vergleicht, wird feststellen, dass in dem EU-Papier der Grundsatz der Gleichheit der Wahl in der Aufzählung nicht erwähnt wird. Er gilt nämlich bei Europawahlen nur auf jeweils nationaler Ebene, weil die Zahl der Mandate im Europaparlament, die auf ein Mitgliedsland entfallen, nicht exakt das Verhältnis der jeweiligen Bevölkerungsgrößen widerspiegelt.

Ungleichgewicht unvermeidbar

So vertreten derzeit 754 Abgeordnete aus 27 Staaten im Europäischen Parlament (EP) fast eine halbe Milliarde Menschen. Dabei kommt die größte Parlamentariergruppe, nämlich 99 und damit gut 13 Prozent aller Straßburger Volkvertreter, aus Deutschland, das mit seinen etwa 82 Millionen Einwohnern aber rund 16,5 Prozent der EU-Bevölkerung stellt. Anders ausgedrückt: Während auf einen deutschen EU-Abgeordneten fast 830.000 Einwohner kommen, sind es bei einem der sechs Europaparlamentarier aus Luxemburg gerade mal ein Zehntel.

Dieses Ungleichgewicht ist auch nicht zu vermeiden, so lange für jedes Mitgliedsland ein bestimmtes Abgeordnetenkontingent festgelegt wird, in dem sich auch bei kleinen Staaten ihre Parteienvielfalt widerspiegeln kann. Daher entsendet wie Luxemburg mit seinen rund 500.000 Einwohnern auch Malta mit knapp 420.000 Bewohnern sechs Abgeordnete - würden die großen Mitgliedsländer gleichermaßen berücksichtigt, müsste allein Deutschland fast 1.200 Volksvertreter "nach Europa" schicken.

Auch in vielen anderen Punkten sind Europawahlen nach nationalen und damit unterschiedlichen Regeln in den Ländern abgelaufen. 2009 galt beispielsweise meist das aktive Wahlrecht ab 18 Jahren, in Österreich indes ab 16 Jahren. Und beim passiven Wahlrecht reichte die Altersgrenze von 18 Jahren wie in Deutschland über 21 Jahre wie in Großbritannien und 23 Jahren wie in Frankreich bis hin zu 25 Jahren in Griechenland, Italien und Zypern.

Die Fünf-Prozent-Hürde, die erst 2011 vom Bundesverfassungsgericht für Europawahlen als verfassungswidrig verworfen wurde, ist in der EU ebenfalls keine allgemeine Regel. Der Direktwahlakt räumt den Mitgliedsstaaten zwar die Möglichkeit ein, für die Sitzvergabe eine Mindestschwelle vom landesweit maximal fünf Prozent der abgegebenen Stimmen festzulegen. Diese Höchstgrenze gab es 2009 außer in Deutschland noch in einer Reihe weiterer Staaten, während andere die Hürde auf drei oder vier Prozent legten; wieder andere EU-Länder verzichteten ganz darauf.

Ebenso wenig wurden in der gesamten EU ausschließlich unveränderbare Wahllisten wie in der Bundesrepublik aufgestellt. In einer ganzen Reihe von Mitgliedsländern konnte die Reihenfolge der Bewerber mit sogenannten Präferenzstimmen verändert werden. In Irland, Malta und Nordirland wiederum gab es ein listenloses Verhältniswahlrecht, das auf übertragbaren Einzelstimmen beruhte. Unterschiedliche Regelungen gibt es in den Mitgliedsstaaten auch zur Briefwahl, Wahlpflicht, zum Zeitpunkt der Wahl, zur Ausübung des Wahlrechts im EU-Ausland und bei vielem mehr.

Es hat aber auch Angleichungen und Vereinheitlichungen gegeben. Einen großen Schritt nach vorne gab es etwa bei der Europawahl 1999, bei der Großbritannien als letztes EU-Land von seinem nationalen Mehrheitswahlsystem zur Verhältniswahl wechselte. Nunmehr sind alle EU-Staaten auf das Verhältniswahlrecht festgelegt.

Als Meilenstein darf die 1976 beschlossene Einführung der Direktwahl zum Europaparlament gelten, die dann drei Jahre später Wirklichkeit wurde: Waren die Abgeordneten zuvor von den nationalen Parlamenten entsandt worden, bestimmen seitdem die Wähler unmittelbar über ihre Volksvertreter - europaweit. Ein Recht, das längst nicht nur als selbstverständlich erachtet, sondern von vielen auch ignoriert wird: Von 1979 bis 2009 sank die Wahlbeteiligung in allen beteiligten EU-Staaten zusammen kontinuierlich von 63 auf 43 Prozent.

EU-weite Listen Nicht zuletzt diesem Trend will eine Initiative aus dem EP entgegenwirken. Nach einem Vorschlag des britischen Abgeordneten Andrew Duff sollen 25 Abgeordnete über transnationale, EU-weite Listen gewäht werden, deren Kandidaten aus mindestens einem Drittel der Mitgliedsländer stammen müssen. Der Wähler könnte dann künftig zwei Kreuzchen machen - einmal wie bisher für die nationalen Listen und das zweite für die EU-weiten Listen, die von den europäischen Parteien aufzustellen wären. Im Januar stimmte der zuständige Ausschuss dem Vorschlag zu; im März soll das EP-Plenum darüber befinden. Verabschiedet das Parlament die Vorlage, haben sich dann die Vertreter der nationalen Regierungen im Rat mit dem Vorstoß zu befassen. Dass die angestrebte Neuregelung schon zu den nächsten Europawahlen 2014 in Kraft ist - wenn überhaupt - , gilt als äußerst unwahrscheinlich.