Piwik Webtracking Image

SYRIEN : Am Rande des Glaubenskrieges

Der bewaffnete Konflikt verläuft nicht mehr nur zwischen Aufständischen und syrischem Regime. Längst geraten ethnische und religiöse Minderheiten zwischen die…

02.07.2012
2023-08-30T12:17:33.7200Z
4 Min

Die Fahrt von der türkisch-syrischen Grenze nach Aleppo führt durch felsige Hügellandschaften. Vorbei an Olivenbäumen, Mais und abgeernteten Getreidefeldern. Große Tafeln werben am Straßenrand für Machmoud Tee oder die syrischen Telefongesellschaft Syratel. In den Dörfern sitzen Männer vor den Häusern, rauchen Wasserpfeifen, trinken Kaffee. Man merkt erst, dass Krieg ist, wenn die Checkpoints der Freien Syrischen Armee (FSA) auftauchen. Blutjunge Kerle, nicht älter als 20 Jahre, kontrollieren mit Kalaschnikows in der Hand sämtliche Fahrzeuge. "Wir sind hier in diesem Gebiet die Herren", sagt einer der Rebellen. Im Pass sucht er mehrfach nach einem Einreisestempel aus dem Iran. Die islamische Republik unterstützt das Regime von Präsident Bashar Assad und hat Elitetruppen der Revolutionären Garden in Syrien stationiert. "Nein, nein, mit Iran kommt hier niemand durch", sagt er ernst, bevor er mit seinem Gewehr weiter winkt.

Nach etwa 25 Kilometern endet das von der FSA besetzte Gebiet. Nun ist es das syrische Militär, das Papiere kontrolliert und Kofferräume durchsucht. Es sind wieder sehr junge Männer, zum Teil nur halbuniformiert, die bei 40 Grad den ganzen Tag in der Sonne stehen und am Spätnachmittag sichtlich erschöpft sind. Vor ihren Zelten ist ein kleiner Schützenpanzer eingegraben. Von den Stellungen der FSA trennen die Armeesoldaten höchstens zwei Kilometer.

Die Situation rund um Aleppo, mit über einer Million Einwohnern eine der größten Städte und das industrielle Herz Syriens, ist mit anderen Landesteilen vergleichbar. Syrien ist ein Flickenteppich aus von Rebellen und der Armee kontrollierten Gebieten - insbesondere in den Grenzgebieten zur Türkei, dem Libanon und Jordanien. Die Rebellen nutzen die Nachbarländer als Nachschub- und Rückzugsgebiete.

Von Aleppo sind es 187 Kilometer nach Homs, dem Herz des Aufstands gegen Präsident Bashar al-Assad. Der Bus fährt auf die Autobahn, die den Norden mit dem Süden des Landes verbindet und durch umkämpfte Gebiete führt. Jederzeit kann man hier in ein Feuergefecht zwischen syrischer Armee und Rebellen geraten. Abseits der Straße befinden sich vorwiegend sunnitische Siedlungen, die von der Freien Syrischen Armee (FSA) besetzt sind. Von dort starten sie täglich zu ihren Angriffen auf Regimetruppen.

Die Stadt Homs ist von Regierungstruppen hermetisch abgeschlossen. Die Soldaten am Checkpoint des Ortseingangs sind nervös. "Wir haben aufgehört zu zählen, wie oft wir schon angegriffen wurden", sagt ein junger Wehrdienstleistender mit schusssicherer Weste, Kalaschnikow und einer Zigarette in der Hand. In der Sommerhitze läuft ihm der Schweiß über das Gesicht.

Vor wenigen Wochen begann die Offensive der Rebellen, um Baba Amr zurück zu erobern, das sie im März hatten aufgeben müssen. Es ist jener Stadtteil von Homs, der weltweit zum Synonym für die Grausamkeit des syrischen Regimes wurde. Unter dem Beschuss von Regierungstruppen starben dort viele hunderte von Zivilisten - unter ihnen die Journalisten Marie Colvin und Remi Ochlik. Baba Amr hat für die FSA eine wichtige strategische Bedeutung. Das am südlichen Stadtrand von Homs gelegene Viertel ist eine entscheidende Basis und ein Verbindungsweg zu den von der FSA besetzen umliegenden Gebieten. Eine Nachschubroute für Kämpfer, Proviant und Waffen. Eine Route, die über die Stadt Koser bis in den nahen Libanon weiter reicht. In der Nähe dieser Kleinstadt gibt es Höhlen, die bis in den Libanon nach Wadi Khaled gehen.

Die Stadt Koser steht für ein düsteres Kapitel der FSA, die hier laut Augenzeugenberichten der Brutalität der regimetreuen Truppen nichts nachstanden. Nicolas Khoury (Name von der Redaktion geändert) erinnert sich an den 12. Februar dieses Jahres noch so, als wäre es gestern gewesen. An diesem Sonntagmorgen klopfte es mehrmals fest gegen seine Tür. Als er öffnete, sah er vier bewaffnete Männer vor sich. Zwei von ihnen waren maskiert. Unter ihren Skimützen ragten lange Bärte heraus. "Für uns und vor allen Dingen für dich ist es besser, wenn du verschwindest", sagten sie Khoury. Er und sein Familie mussten die Koffer packen. Das gleiche Schicksal hätten alle anderen 12.000 Christen erlitten, die bisher völlig friedlich mit den mehr als 30.000 Sunniten in der Ortschaft zusammen gelebt hätten. "Ich kannte die zwei ohne Maske", erzählt Khoury. "Seit vielen Jahren, sie waren meine Freunde."

Der 63-Jährige macht für die Vertreibung radikale Islamisten verantwortlich. "Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen. Pakistaner, Libyer, Tunesier und auch Libanesen. Sie nennen Osama bin Laden ihren Scheich." Khoury wohnt seit seiner Vertreibung im Kloster des Heiligen Jacobs in Kara, rund 90 Kilometer von Damaskus entfernt. Es ist ein Zufluchtsort für Flüchtlinge aller Glaubensrichtungen und gleichzeitig ein Sammelbecken für Augenzeugen, die über die Grausamkeiten der Rebellen berichten.

In Syrien wird der Konflikt mit zunehmender Härte geführt. Gerade die Minderheiten zahlen den Preis dafür. "Im Irak musste eine Million Christen flüchten", sagt Pfarrer Gabriel aus Damaskus. "Wenn nun auch die zwei Millionen syrischen Christen gehen müssen, ist das christliche Projekt im Mittleren Osten zu Ende."