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"Das Parlament" Chronist der jungen Republik

GründerZEITEN "Das Parlament" der 1950er und 1960er Jahre ist ein Fundus leidenschaftlicher Debatten

27.08.2012
2023-08-30T12:17:36.7200Z
4 Min

Sollte da jemand die Redaktion belauschen? Als die Mitarbeiter von "Das Parlament" 1952 ausgelassen auf der Weihnachtsfeier plauderten, wurde der Aspirant für den Posten des Chefredakteurs zufällig dabei ertappt, wie er heimlich ein Band mitlaufen ließ. Das war damals selbst dem Magazin "Der Spiegel" eine Nachricht wert, wohl auch, weil der Kandidat vom Bundeskanzleramt empfohlen worden war.

"Das Parlament" erschien erstmals im Spätsommer 1951 - nicht auf Initiative des Deutschen Bundestags, sondern des Innenministeriums. Dass eine vom Bund finanzierte Zeitung die Arbeit der Legislative zum Schwerpunkt der Berichterstattung machen würde, war keinesfalls selbstverständlich. Es sei vor allem den beteiligten Bundestagsausschüssen zu verdanken gewesen, dass die Zeitung nicht beim Bundespresseamt als ein Bulletin der Bundesregierung angesiedelt wurde. So erinnerte sich später Carl H. Lüders, Referent des ersten Innenministers Gustav Heinemann, und sozusagen der Gründungsvater der Zeitung.

Beirat

Mit der Überparteilichkeit nahm man es von Anfang an sehr genau. Eigens wurde ein parlamentarischer Beirat eingerichtet, dem jeweils ein Vertreter der Regierungs- und der Oppositionsfraktionen angehörten, später auch der Direktor des Bundesrates und der Präsident der Bundeszentrale für Heimatdienst, die ab November 1952 als Herausgeber fungierte. Mit dieser Übernahme wurde die Wochenzeitung bundesweit bekannt.

Die Mitglieder des Beirats nahmen ihre Aufgabe peinlichst genau und kontrollierten die Länge der Wortbeiträge von Opposition und Regierungsfraktionen bis auf den Millimeter. Später ließ der Beirat mehr Großzügigkeit walten, 1969 wurde das Gremium abgeschafft.

Eines war zwischen Beirat und Redaktion stets unumstritten: Die Tagesordnung des Bundestags gibt im Blatt den Takt an. Wichtige Debattentexte wurden, ungekürzt und im Wortlaut, von den Redakteuren in den Satz gegeben. Unter der Überschrift "Abgeordnete fragen - die Regierung antwortet" räumte die Redaktion der Fragestunde Platz ein, unmittelbar nachdem im Januar 1952 Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) die erste Fragestunde eröffnet hatte. Zusätzlich berichtete "Das Parlament" über wichtige Debatten und Entscheidungen anderer Parlamente der Welt, fasste internationale Konferenzen zusammen und druckte Reden von Staatsmännern und -frauen aus aller Welt. Mit der fortschreitenden Integration Europas kamen weitere Aufgaben hinzu: Die Berichterstattung aus dem Europäischen Parlament etwa, über den Europarat und die WEU-Versammlung.

Der Auftrag, objektive Dokumentation zu bieten, kollidiere häufig "mit der Forderung des Lesers und der Erkenntnis des Journalisten, dass die Wahrheit genießbar zu servieren sei", notierte der Redakteur Friedrich Kippenberg zum 20. Jubiläum der Zeitung. Schon in den ersten Ausgaben war es deshalb Usus, prominente Wissenschaftler und Politiker für Beiträge zu verpflichten, "auf deren Allgemeininteresse man hoffen durfte", wie es der erste Direktor der Bundeszentrale, Paul Franken, nannte. Aus diesen Ansätzen entwickelte sich die Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte", die seit November 1953 und bis heute ununterbrochen als Beilage zu "Das Parlament" erscheint (siehe Beitrag unten). Nach sitzungsfreien Wochen erschien "Das Parlament" mit Themenausgaben. Allein 1953, im Jahr der zweiten Bundestagwahl, wurden 21 solcher Schwerpunkt-Hefte produziert: "Die Rohstoffe der Welt" standen ebenso auf der Agenda wie das "Ermächtigungsgesetz" im Jahre 1933, "Das Rathaus - Keimzelle der Demokratie" und zwei Sonderausgaben zur Wahl.

"Schicksalsfragen"

Jede Zeit neigt zur Zufriedenheit mit den eigenen Begriffen und Überzeugungen, und davon ist auch "Das Parlament" nicht frei. So ist in den frühen Jahren von "Schicksalsfragen des Volkes" die Rede, wo heute wohl eher von Bevölkerung, von Bürgern und von Herausforderungen gesprochen würde. Da wird der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR als "mitteldeutscher" Aufstand bezeichnet, im August 1955 soll die "Atomkraft der Welt zu Segen gereichen" , und eine Afrika-Themenausgabe macht mit der Schlagzeile "Des weißen Mannes Weg im ‚Schwarzen Kontinent'" auf. Bis in die späten 1960er Jahre hinein dürfen außerdem Zigarettenmarken und Fabrikanten von Sekt und Schnaps recht unverblümt mit Anzeigen in "Das Parlament" Reklame machen.

Und dennoch: Ein Blick in die frühen Ausgaben von "Das Parlament" hilft auch, um mit einigen Vorbehalten gegenüber der jungen Bundesrepublik aufzuräumen, der häufig nachgesagt wird, dass vor allem die Bäuche runder und die Läden voller, der Krieg und die jüngste Vergangenheit aber von einer Mehrheit der Deutschen verdrängt wurden. Allein die Zahl von mehr als 1.000 Gesetzentwürfen, die in den ersten beiden Wahlperioden beraten und beschlossen wurden, zeugt davon, welches Arbeitspensum der Bundestag zu schultern hatte. Die Wochenzeitung dokumentiert, mit welcher Leidenschaft die Parlamentarier über die wichtigen Weichenstellungen der jungen Republik stritten: Wiederbewaffnung, Westbindung, die europäische Integration, der Versuch der Aussöhnung mit den Nachbarn, später die heikle Frage, ob nationalsozialistische Schwerverbrechen verjähren dürfen. Heimkehrende Kriegsgefangene und zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene sollten eingegliedert, Opfer des Nationalsozialismus versorgt, die Wohnungsnot beseitigt, die Renten auf eine solide Grundlage gestellt werden.

Und weil "Das Parlament" all diese demokratischen Entscheidungen in ihrer Entstehung begleitete und nicht nur als Ergebnis abbildete, vermitteln die frühen Jahrgänge das Bild einer Bundesrepublik, in der vieles heute Selbstverständliche noch im Fluss und offen war. Eines haben alle Redaktionen stets beherzigt: Politik machte "Dass Parlament" nie. Das ist und bleibt Aufgabe der Abgeordenten, deren sachgetreuer Chronist die Wochenzeitung seit Anbeginn ist.