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Mit Argusaugen bewacht

1970ER UND 1980ER JAHRE Neue Ressorts, mehr redaktionelle Inhalte - "Das Parlament" wird reformiert

27.08.2012
2023-08-30T12:17:36.7200Z
4 Min

Teilweise harte Zeiten hatte die stets personell unterbesetzte und auch mit recht geringen Finanzmitteln ausgestattete Wochenzeitung "Das Parlament" bis Mitte der 1970er-Jahre hinter sich bringen müssen. Die Leitenden Redakteure der Gründerzeit, Friedrich Kippenberg und Willi Weber, gingen in den Ruhestand. Neue Gesichter gestalteten von nun an das Blatt. Die Redaktionsleitung wollten zunächst die sozialliberalen Koalitionäre unter sich aufteilen. Für die FDP sollte Peter Juling, ein enger Mitarbeiter des damaligen Bundesinnenministers Gerhart R. Baum, für die SPD Ernst Goyke, bisheriger Bonn-Korrespondent des Magazins "Der Spiegel", die Redaktion führen. Erst auf Intervention des damaligen Bundestagspräsidenten Karl Carstens (CDU) bekam auch die Union den dritten Leitenden Redakteur zugestanden: Egon Ludwig, ein Emil-Dovifat-Schüler, kam vom ZDF.

Vorsichtige Modernisierung

Vorbei waren die Zeiten, in denen Parlamentarische Geschäftsführer wie Hermann Ehren von der CDU/CSU gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Erwin Welke "bei Kaffee und Kuchen" - wie sich Willi Weber später erinnerte - die Arbeit der Redaktion überwachten und begutachteten: mittels Längenmessung der Dokumentationsbeiträge per Bindfaden und Kontrollieren der Überschriftengrößen, ob auch so keine Fraktion übervorteilt werden konnte.

Juling, Ludwig und Goyke gingen nun daran, das Blatt zu modernisieren - vor- und umsichtig, denn sowohl die Auguren in der Bundeszentrale als auch im Bundestags-Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung wachten mit Argusaugen auf das Erscheinen einer jeden Ausgabe. Wurde bisher der chronologische Ablauf einer Bundestagsdebatte - ab Seite 1 - ohne Wenn und Aber dokumentiert, gab es fast eine redaktionelle Revolution. Beispiel: "Präsident Ehlers eröffnet die Sitzung." - Präsident Dr. Ehlers: "Die Sitzung ist eröffnet." - Solche Unsinnigkeiten gehörten nunmehr der Vergangenheit an. Stattdessen folgte nun die "Kontrovers-Aufmachung": Auf der Seite 1 kamen jetzt gleichermaßen sowohl die Regierung als auch die Opposition zu Wort. Der Nachteil für den Leser: unzählige Textüberläufe auf die nächste(n) Seite(n). Der gestresste Leser musste die Seiten ständig umschlagen. Aber die Neuerung diente der Ausgewogenheit und der Überparteilichkeit. Jede Reform hat eben seine Stärken und auch Schwächen.

Als besondere Stärke der Reform ist zu sehen, dass von nun an neben dem Ressort "Das politische Buch" auch mehr redaktionelle Formate in das Blatt Einzug fanden. So entstand etwa "Panorama": Hier wurde über Entwicklungen in den Medien und über die Arbeit in den politischen Stiftungen berichtet; im Ressort "Aus den Ländern" gab es Berichte aus den Länderparlamenten; "Ausland" war das Ressort, das die parlamentarische Arbeit in anderen Ländern intensiv beobachtete. Keine andere Tages- oder Wochenzeitung in Deutschland berichtete damals so intensiv über Europa wie "Das Parlament". Als Hintergrund-Information kamen Rubriken wie "Zur Sache", "Zur Debatte" und die Wochen-Chronik hinzu. Als weiteres "Schmuckstück" wurde schon vor nahezu 35 Jahren die "Kehrseite" konzipiert, die allerdings auch eine ganze Reihe von Veränderungen durchlebte. Erweitert wurde die Zeitung auch um Dokumentationen über die Parteitage der im Bundestag vertretenen Parteien. Diese wurden gegen Ende der 1980er-Jahre umgestellt in eine Mischung von Berichterstattung und Dokumentation.

Eine Zeitung, die lebt - und überleben will -, muss sich einer ständigen Veränderung stellen, muss reformbereit sein. So kam in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre der "Blickpunkt Bundestag" sowohl als Hintergrundseite als auch - allerdings nur rudimentäre - Berichterstattung aus den Bundestagsausschüssen hinzu, die Konzeption wurde später in eine Seite für Hintergrund, Porträt und Sonder- und Untersuchungsausschüsse geändert.

Allerdings muss festgestellt werden, dass trotz all des journalistischen Reformwillens die Technik ziemlich hinterwäldlerisch war. Im dritten Quartal des Jahres 1987 gab es in der Redaktion als modernstes Schreibgerät eine gut 20 Jahre alte elektrische Adler-Schreibmaschine und einen - das muss man einfach sagen - Super-Kopierer mit allem Schnickschnack. Aber das war es auch schon. Computer? Um Gottes willen: Das schien Teufelszeug zu sein. Als der Autor dieser Zeilen seinen privat ausrangierten Rechner Anfang 1988 mitbrachte, wurde in einer Redaktionssitzung heftig darüber gestritten, ob dies gestattet sei - oder auch nicht. Er setzte sich durch. Doch mit den Rechnern im Satzbetrieb war er dennoch nicht kompatibel. Also mussten die Texte weiter ausgedruckt und im Satzbetrieb neu erfasst werden.

Mit Schere und Klebestift

Aber der technische Fortschritt ließ sich nicht aufhalten: Hatten bisher die Volontäre an jedem Freitag vom Deutschen Depeschen-Dienst (ddp) die Agenturfahnen abzuholen, wurden ab 1990 Agenturmeldungen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf einen einzelnen Bildschirm in der Redaktion gesendet, auf den alle Redaktionsmitglieder Zugriff hatten. Der Seiten-Umbruch, der in den meisten Redaktionen bereits elektronisch erfolgte, wurde nach Steinzeit-Manier noch bis in die Mitte der 1990-Jahre mittels Schere und Klebestift durchgeführt. Schere und Klebestift gehörten erst zum Ende des Jahres 1999 der Vergangenheit an.

Eine wenig angenehme Sache für die Redaktion war es, dass das Direktorium der Bundeszentrale für politische Bildung Einfluss auf die redaktionelle Arbeit von "Das Parlament" nehmen wollte. Darüber waren sich die drei Direktoren einig, nicht jedoch über den Weg der Einflussnahme. Gerade bei Themenausgaben wollten sie "mitregieren", etwa Erweiterungen des Themenangebotes und die Benennung von jeweils politisch genehmen Autoren vorgeben. Ob dies in die jeweilige Konzeption passte oder nicht, war den drei Herren ziemlich egal. Das wiederum passte den Mitgliedern des Bundestags-Kuratoriums für politische Bildung überhaupt nicht. Kurz und gut: Die Redaktion bekam auf Vorschlag des CDU-Abgeordneten Gerhard Reddemann, Anfang 1990 Vorsitzender dieses Gremiums, ein Redaktionsstatut, welches dem der Deutschen Welle angepasst war. Nunmehr war die Redaktion allein verantwortlich für ihr Tun - und Unterlassen. Weder das Direktorium noch das Bundestagspräsidium konnten von nun an in die redaktionelle Arbeit aktiv eingreifen.

Neues Layout

Ende der 1980er-Jahre wurde gemeinsam mit dem Zeitungs-Designer Norbert Küppers ein neues Layout mit einem neuen Zeitungskopf entwickelt. Die Kontorvers-Aufmachung war Geschichte, die Seite 1 wurde stattdessen nachrichtlich gestaltet. Blockumbruch war nun auf allen Dokumentations- und redaktionellen Seiten angesagt. "Das Parlament" und die "Frankfurter Rundschau" waren zudem zur Jahreswende 1990/91 über lange Zeit die einzigen deutschen Zeitungen, die auf der Seite 1 eine Karikatur publizierten. Mit den Jahren wurde das Blatt immer moderner und lesefreundlicher.