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Journalismus aus der Frankfurter Paulskirche

REVOLUTION 1848/49 Die "Deutsche Zeitung" kultivierte als erstes gesamtdeutsches Blatt die Parlamentsberichterstattung. Sie übte den Spagat zwischen…

27.08.2012
2023-08-30T12:17:36.7200Z
4 Min

"Eine feste Standarte aufzupflanzen, um die es versucht, die Nation in möglichster Eintracht zu versammeln und das Gefühl der Gemeinsamkeit und Einheit zu unterhalten und zu stärken" - das formulierten die Herausgeber der "Deutschen Zeitung" als Leitlinie des neuen Blattes im Mai 1847. Der Name war Programm. Denn nicht mehr die Kommune oder der Einzelstaat waren Gegenstand der Berichterstattung, sondern ein Deutschland, das es politisch noch gar nicht gab - doch das es auch durch das Medium der Zeitung herzustellen galt. Wenige Blätter haben dies so eindrucksvoll vorgeführt wie Deutschlands erste nationale Zeitung, die "Deutsche Zeitung" (DZ), über die ein Geheimagent Fürst Metternichs berichtete: "Die Zeitung ist das beste Oppositionsblatt, das jemals in Deutschland erschien und muss als solches schon in der nächsten Zeit einen Einfluss ausüben, der weit über alle Berechnungen hinausgehen dürfte."

Revolutionäre Leitartikel

Aber es war nicht nur das entschiedene Bekenntnis zu einem nationalen Verfassungsstaat, das die Öffentlichkeit in den deutschen Einzelstaaten aufhorchen ließ, sondern es waren auch innovative redaktionelle Methoden. Geradezu revolutionär mutete der tägliche Leitartikel an, den die Heidelberger Zeitungsmacher, liberale Abgeordnete, Wirtschaftsbürger und Professoren, ihren Nachrichten voranstellten. Leitartikel waren im vormärzlichen Deutschland, ganz im Gegensatz zu England und Frankreich, noch völlig unüblich und noch 1847 wies Johann Cotta, Verleger Goethes wie auch der renommierten "Augsburger Allgemeinen", die Frage danach harsch ab: "Ihre Ansicht, dass die Allgemeine Zeitung sich jetzt als Macht gerieren und mit täglichen leitenden Artikeln vorgehen müsse, kann ich nicht teilen… und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie sich nie über die Geschichte stellen zu dürfen glaubte." Genau dafür entscheiden sich jedoch die Herausgeber der DZ.

Der umfangreiche Leitartikel wurde zum Herzstück der Zeitung und sollte "so entfernt als möglich von gelehrter Behandlung und doctrinärer Natur, und so sehr als möglich von den unmittelbaren Fragen des Tages angeregt sein". Das konnte die politische Grundsatzfrage berühren, ob die neue Staatsnation ein Deutschland mit oder ohne Österreich sein sollte oder auch ein Plädoyer sein für "Arbeiter-Assoziationen zum Zwecke der Vereinbarung mit den Arbeit-Gebern über einen angemessen Lohn, wie in England".

Das alle Erwartungen übersteigende Erlebnis der Revolution von 1848/49 holte die liberalen Zeitungsmacher schnell vom Sockel allzu theoretischer Reflexion, denn auch sie hatten ihre Programme bisher ohne greifbare Realisierungschancen präsentiert. Fast über Nacht rückten die Akteure des Blattes jetzt in die Schaltstellen parlamentarischer Macht ein, der Aachener Industrielle David Hansemann als Minister, Zeitungsverleger Friedrich Daniel Bassermann als Staatssekretär und führende Korrespondenten als "Revolutionsminister" in den deutschen Einzelstaaten.

Von der engen Kommunikation zwischen Korrespondenten, Herausgebern und Redaktion profitierte nicht nur die Qualität des Blattes, dessen Auflage im Juli 1848 4.000 Stück erreichte, sondern auch das erste deutsche Parlament, das im Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat. Nicht nur dessen Führungsgruppe um Heinrich von Gagern, auch rund ein Viertel der Abgeordneten hatte sich zuvor über die Deutsche Zeitung kennengelernt und ihre Vorstellungen ausgetauscht. Umso leichter gelang es, neben dem Leitartikel als Herzstück nun eine ausführliche Parlamentsberichterstattung einzuführen. Meist als eigenständige Beilage erschienen umfangreiche Berichte von den Verhandlungen der Frankfurter Paulskirche wie auch der Preußischen Nationalversammlung. Ob es die großen Parlamentsdebatten über die Frage Monarchie oder Republik waren, ob es um Deutschlands zukünftige Grenzen ging oder das Problem, wie ein deutscher Nationalstaat mit ethnischen und religiösen Minderheiten umgehen solle: Berichte über die Diskussionen und Entscheidungen der Abgeordneten wurden zum festen Bestandteil der Zeitung.

Alltagskultur

Die Neutralität der Parlamentsberichte, die zunächst alle Positionen des entstehenden Parteienspektrums berücksichtigten, sollte sich bewusst von der Parteilichkeit des Leitartikels abheben. Es war gerade dieser Gegensatz, der die Leser besonders ansprach. Denn er bot in besonderem Maße Gelegenheit zur Diskussion, war doch Zeitungslesen im Vormärz kein einsames Geschäft. Vielmehr wurde gerade die Reflexion der Tagespolitik zunehmend Teil der bürgerlichen Alltagskultur. So berichtete die Frankfurterin Clothilde Koch-Gontard, Gastgeberin vieler Abgeordneter der Paulskirche, über ein Abendessen in ihrem Hause: "Es herrschte die beste Stimmung. Gagern teilte tüchtige Hiebe aus über die scharfen Artikel, die über ihn in der Deutschen Zeitung erscheinen."

Doch gerade der Gegensatz zwischen neutraler Berichterstattung und meinungsstarkem Kommentar fiel im Sommer 1849 der Parteibindung zum Opfer. Nach dem Scheitern der Paulskirche erlahmte das Interesse der Gesellschaft an Zeitungen, die so stark auf die parlamentarische Ebene konzentriert waren wie die DZ. Immer weniger Anzeigenkunden fanden sich, das Niveau sank. Nur in der Umwandlung des Blattes zum Parteiorgan des konstitutionellen Liberalismus sah der Verleger eine Möglichkeit, die Zeitung überleben zu lassen. Doch die strenge Zensur, der das Blatt als offizielles Organ der "Gothaer Partei" nun unterworfen war, hebelte Meinungsvielfalt und Lebendigkeit aus, so dass ein ehemaliger Abonnent zu dem Urteil kam, "er fühle sich deutsch genug und brauche deshalb keine schwarz-weiße Germanisierungsanstalt."

Im Dezember 1850 musste Deutschlands erste nationale Zeitung ihr Erscheinen einstellen Während ihrer Glanzzeit jedoch, zwischen 1847 und 1849, gelang es ihr, der Vielfalt liberaler Stimmen eine gemeinsame Plattform zu geben, auf der ein gesamtdeutscher Dialog stattfand. Parlamentsberichterstattung in Deutschland nahm hier ihren Anfang.

Die Autorin ist Professorin am Historischen Institut der Uni Rostock und hat mit einer Arbeit zur "Deutschen Zeitung" promoviert.