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Formatierungen der Realität

ZWISCHENRUF Wie Politik immer mehr zur Unterhaltung wird und der Journalismus darunter leidet

27.08.2012
2023-08-30T12:17:36.7200Z
5 Min

Jeden Tag geschieht in der Welt gerade so viel, dass es in eine Zeitung passt. Das hat schon Karl Valentin verwundert. Offenbar gibt es drei Arten von Ereignissen: Da wären Dinge, die ganz unabhängig davon geschehen, ob über sie berichtet wird oder nicht - ein Erdbeben oder ein Verkehrsunfall zum Beispiel. Im Zeitalter der Handy-Kameras kann man allerdings davon ausgehen, dass fast nichts mehr von Bedeutung geschieht, das nicht irgendwie aufgezeichnet würde. Sodann gibt es Ereignisse, die auf ihre mediale Berichterstattung hin maßgeschneidert sind - Parteitage oder Sportveranstaltungen zum Beispiel. Und schließlich gibt es reine Medienereignisse, also Dinge, die nur geschehen, damit sie von den Massenmedien weltweit verbreitet werden - wie etwa Greenpeace-Aktionen.

Realität der Massenmedien

Wir haben es hier mit unterschiedlichen Intensitätsstufen der Durchdringung von Realität und Medien zu tun. Und in der Regel ist die Realität, in der wir leben, die Realität der Massenmedien. Man muss kein Konstruktivist sein, um zu erkennen, dass die Medien in die Poren unseres Alltags eingedrungen sind und dass es gar nicht mehr möglich ist, sich ein Bild von der Welt zu machen, das unabhängig von ihnen wäre.

Jeder Bericht über die Wirklichkeit ist auch eine Konstruktion dieser Wirklichkeit. Für die politische Tagesberichterstattung heißt das, dass sie nicht über eine von ihr unabhängige politische Wirklichkeit berichtet, sondern vielmehr gemeinsam mit dem politischen System unsere Alltagswirklichkeit konstruiert.

Die 15 Minuten "Tagesschau" oder die 150 Seiten des "Spiegel" sind Formatierungen der Realität. Dass das nicht mehr im Stile der bürgerlichen Öffentlichkeit geschieht, konnte Jürgen Habermas schon vor 50 Jahren beobachten. Die wesentlichsten Veränderungen gegenüber der klassischen Zeit des Journalismus kann man sehr genau benennen. Es geht jeweils um die Einebnung einer Differenz: Nachrichten und Meinungen werden nicht mehr sauber getrennt; Politik und Unterhaltung gehen ineinander über; die Grenze zwischen privat und öffentlich verwischt zunehmend. Das hat gravierende Folgen sowohl für den Journalisten, als auch für den Politiker.

Wir haben uns längst daran gewöhnt, unseren politischen Alltag als Mediendemokratie zu beschreiben. Das heißt im Klartext, dass das Parlament nicht mehr das entscheidende Publikum für die Selbstdarstellung des Spitzenpolitikers ist.

Der marxistische Kritiker Walter Benjamin hatte schon in den 1930er Jahren erkannt, dass man vor Medienapparaturen nicht repräsentieren kann. Moderne Politik stellt sich vor der Kamera dar, nicht im Parlament. An die Stelle der politischen Repräsentation tritt die medienästhetische Präsentation. Mediendemokratie besagt also, dass sich die politische Öffentlichkeit an den Darstellungsprinzipien der Massenmedien ausrichtet.

Darüber hinaus gibt es einen wachsenden Wunsch der Bürger nach politischer Partizipation. Formen direkter Demokratie werden wieder attraktiv. Das ist natürlich nur mit den Medien und in den Medien möglich. Man denke nur an die stetig wachsende Bedeutung der Demoskopie, die den Rahmen politischer Entscheidungen definiert. Eine völlig neue Qualität hat dieser Wunsch nach Partizipation durch die sozialen Netzwerke im Internet bekommen. Hier sehen sich die Bürger endlich auf Augenhöhe mit den Berufspolitikern.

Forderung nach Transparenz

Eng damit verknüpft ist die Forderung nach Transparenz in Wirtschaft und Politik, prominent vorgetragen von Wikileaks und Transparency International. Diese Forderung steht natürlich ganz und gar in der Tradition der Aufklärung, ist aber ruinös für die klassische Politik. Ironischerweise hat der antiparlamentarische Affekt mittlerweile selbst einen parlamentarischen Repräsentanten gefunden, nämlich die Piraten.

Politik ist heute wesentlich Public Relations ihrer selbst: In Talkshows tritt der Politiker als Markenartikel auf. Entsprechend erwarten die Zuschauer der Talkshows keine Programmatik, sondern Performance. Deshalb werden Medienberater immer wichtiger. Sie behandeln den Politiker wie das Produkt einer Firma, die den Kunden mit einer Kultmarke faszinieren will. Bei dieser Ästhetisierung der Politik macht man sich die sozialpsychologische Einsicht zunutze, dass das, was jemand sagt, fast keinen Einfluss auf seine Wirkung hat. Es kommt nur auf das Wie an. So entfaltet sich heute eine Politik ohne Botschaft.

Das Parlament ist für solche Inszenierungen denkbar ungeeignet. Die politischen Designer brauchen Formate, die weniger störanfällig sind, nämlich das Hof-Interview und die Talkshow. Wer hier auftritt, ist ein Star. Er bietet keine Argumente, sondern Politainment: das Politische als Einheit von Nachricht, Werbung und Unterhaltung.

Mediendarwinismus

An die Stelle der noch von Max Weber gefeierten Auslese im Parlament tritt eine Art Mediendarwinismus. Wer in den Talkshows dominiert, kann den Eindruck erwecken, kraftvoll zu handeln. Wer den Eindruck erweckt, kraftvoll zu handeln, fasziniert die Aufmerksamkeit. Und wer die Aufmerksamkeit fasziniert, sichert damit seine Dominanz.

Die Talkshow ersetzt heute nicht nur das Parlament, sondern auch das räsonierende Publikum; man lässt diskutieren. Das ist in einer modernen Massendemokratie durchaus funktional.

Talk ist das Medium, in dem politisches Vertrauen dort aufgebaut wird, wo mehr Information nur zu mehr Konfusion führen würde. Und gleichzeitig macht Talk immun gegen alles, was nicht auf der Agenda steht. Politischer Talk ist das emotionale Management dessen, was man faktisch nicht managen kann.

Nicht anders sieht es aber auch bei den Sendungen aus, die schon durch ihren Titel signalisieren wollen, dass sie das politische Tagesgeschehen präsentieren, also "Tagesschau" und "heute", vor allem aber bei ihren durch ziemlich ungezügelten Meinungsjournalismus vertieften Varianten "Tagesthemen" und "heute Journal". Auch hier bietet sich die Personalisierung von Politik als Ausweg aus der - journalistischen - Inkompetenz an. Das Urteil über Personen ersetzt das Urteil über Sachfragen. Politische Probleme werden nicht durchdacht, sondern gefühlt.

Emotionen statt Inhalte

Die Moralisierung eines politischen Problems ermöglicht es ja denen, die von der Sache nichts verstehen, an der Diskussion teilzunehmen. Das Publikum kann seine Gefühle und Sympathiewerte frei verteilen. Gegen die Macht der Unterscheidung von Sympathie und Antipathie kommt man mit Sachfragen der Politik nicht an. Und die kritischen Journalisten? In den Printmedien gibt es sie noch, im Fernsehen aber haben sie längst kapituliert. Seit die Ideologie durch die Propaganda und die Propaganda durch ein Branding der Politik ersetzt worden ist; seit Politiker nicht mehr argumentieren, sondern Themen besetzen, läuft die Tagesberichterstattung auf eine Rhetorik der Statements hinaus.

Zum modernen politischen Design gehört eine Form von Journalismus, die man Soft-Interview nennen könnte: Wer hat die Fragen zu meinen Antworten?

Der Philosoph Nobert Bolz ist

Professor für Medienwissenschaft

und Leiter des Fachgebiets an der Technischen Universität Berlin.