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Der Mini wächst

ARBEITSMARKT Bundestag verabschiedet umstrittenes Gesetz zur geringfügigen Beschäftigung

29.10.2012
2023-08-30T12:17:40.7200Z
3 Min

Chance oder Nachteil, Segen oder Fluch, Zukunft oder Vergangenheit: Die Positionen beim Thema Minijobs könnten nicht widersprüchlicher sein. Für die Koalition sind Minijobs "Teil des erfolgreichen deutschen Arbeitsmarkts" und ein "wichtiger Schritt". Für die Opposition dagegen ein "kapitaler Fehler", eine "biografische Sackgasse" und "Diskriminierung von Frauen". Nichtsdestotrotz hat der Bundestag am vergangenen Donnerstag ein Gesetz der Koalitionsfraktionen zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (17/10773) verabschiedet.

Minijobber dürfen künftig mehr verdienen. Damit wird die Arbeitsentgeltgrenze bei Minijobs zum 1. Januar 2013 von 400 auf 450 Euro angehoben. Die bisherige Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Möglichkeit der vollen Versicherungspflicht für geringfügig entlohnte Beschäftigte wird zugleich in eine Rentenversicherungspflicht mit Befreiungsmöglichkeit umgewandelt (siehe Beitrag unten).

"Ich halte das für einen sehr wichtigen Schritt in der Sozialpolitik und ich glaube, dass wir damit vielen Menschen in diesem Land einen Gefallen tun", sagte der Koalitionspolitiker Karl Schiewerling (CDU) in der Plenardebatte über die Neuerung. "Und ich hoffe sehr, dass viele Menschen die Chancen, die damit verbunden sind, erkennen und nutzen."

Mögliche Folgen

Genau das aber bezweifeln Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände. Zum einen sei es möglich, dass die Arbeitgeber die Minijobber auffordern, von der Befreiungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Dann sparen sie die neuen Lohnnebenkosten. Denn zur Rentenversicherung müssten sie ihren Arbeitgeberanteil entrichten. Zum anderen sei zu befürchten, dass die geringfügig Beschäftigten von sich aus auf die Rentenversicherung verzichten, um Geld zu sparen. Der Eigenanteil könne bis zu 22 Euro im Monat betragen. Und das Plus von 50 Euro sei bloß eine Erhöhung der Lohnobergrenze, keine Lohnerhöhung.

Der FDP-Abgeordnete Johannes Vogel lenkte aber den Blick von den Details auf das große Ganze: "Minijobs sind ein Teil des erfolgreichen deutschen Arbeitsmarkts, der von vielen Menschen gebraucht wird." Sie gäben den Menschen in "ganz unterschiedlichen Lebenssituationen" die Möglichkeit, sich etwas dazuzuverdienen. Als Beispiel führte er einen Feuerwehrmann an, der sich am Wochenende etwas Geld dazu verdient. Dem widersprach die Linke-Abgeordnete Diana Golze heftig. Sie sei überzeugt, dass der Feuerwehrmann "gerne ein Gehalt hätte, von dem er leben und mit dem er seine Familie ernähren kann". Minijobs seien "organisiertes Lohndumping", sagte Diana Golze weiter. 80 Prozent der Minijobber würden laut Statistischem Bundesamt im Niedriglohnbereich arbeiten. Nötig seien flächendeckende Mindestlöhne. Und eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro Entgelt. Diese beiden Forderungen sind Inhalt eines Antrags (17/7386) der Linksfraktion, den sie in die Debatte eingebracht hatte. Er wurde bei Enthaltung von SPD und Grünen abgelehnt.

"Sackgasse für Frauen"

Die SPD-Abgeordnete Annette Kramme nahm insbesondere zu den möglichen Nachteilen für Frauen in geringfügiger Beschäftigung Stellung. Für die seien Minijobs "eine biografische Sackgasse". Der Stundenlohn sei wesentlich geringer als bei einer regulären sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, es gebe "Diskriminierung bei bezahltem Urlaub und Mutterschutz". Außerdem hätten viele Frauen nach der Babypause "gar keine andere Chance, als einen Minijob zu bekommen". Diese Faktoren würde das neue Gesetz nicht berücksichtigen, sagte Kramme weiter. Es führe lediglich zu einer Ausweitung der Minijobs "und damit zu einer Verfestigung dieser katastrophalen Beschäftigung".

Dem pflichtete Brigitte Pothmer (Bündnis 90/Die Grünen) bei. Minijobs würden Frauen "am Arbeitsmarkt klein halten", ihr Potenzial verkümmere. In letzter Konsequenz sorge die geringfügige Beschäftigung bei Frauen für "lebenslange ökonomische Abhängigkeit", entweder von ihren Ehemännern oder von staatlichen Transferleistungen, sagte Pothmer weiter. Bereits im Vorfeld hatten die oppositionellen Abgeordneten im Ausschuss für Arbeit und Soziales diese möglichen Konsequenzen zugespitzt und von einem Rückschritt in das Patriachat gesprochen. Außerdem, so argumentieren sie, sei die Altersarmut vorprogrammiert. Vor allem für Frauen.

Auch aus arbeitsmarktpolitischer Sicht sei die Ausweitung der Minijobs "ein kapitaler Fehler", sagte Pothmer weiter. Mit dem neuen Gesetz werde "die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt" vorangetrieben.

Der Gesetzentwurf wurde in zweiter Lesung angenommen. In dritter Lesung fand auf Wunsch der SPD-Fraktion eine namentliche Abstimmung statt: 583 Stimmen wurden abgegeben; 315 davon waren für, 268 gegen den Entwurf. Enthaltungen gab es keine. Damit folgten die Abgeordneten mehrheitlich der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (17/11174).

Und somit werden diese Neuregelungen ab dem kommenden Jahr für jeden fünften Arbeitnehmer in Deutschland gelten. Die öffentlichen Kassen kostet die Reform durch Mindereinnahmen bei den Steuern und Sozialabgaben jährlich etwa 300 Millionen Euro.