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Kurz notiert

17.12.2012
2023-08-30T12:17:44.7200Z
4 Min

Während in Berlin das Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti feierlich eingeweiht wurde, liefen die Abschiebungen von Roma nach Osteuropa zeitgleich weiter. Der gängige doppelte Umgang mit den Roma - Mitleid einerseits, Verachtung andererseits - spiegelt sich auch im Titel des Buches "Arme Roma, Böse Zigeuner".

Der langjährige Balkan-Korrespondent der "Frankfurter Rundschau", Norbert Mappes-Niediek, beantwortet gängige Fragen über die größte Minderheit in Europa: Sind die Roma eine Nation oder eine soziale Unterschicht? Warum kommen sie hierher? Sind sie ein Problem oder haben sie eines? Durch Fakten gelingt es ihm, Vorurteile abzubauen, zum Beispiel, dass die Roma faul seien.

In Rumänien, wo mit die meisten Roma in Europa leben, gab es beim Zerfall des Kommunismus acht Millionen Erwerbstätige, heute sind es nur noch viereinhalb Millionen. Fast alle, die entlassen wurden, waren Roma, weil sie die schlechteste Ausbildung und die einfachsten Jobs hatten. Rund zwei Millionen Rumänen suchten Arbeit in Westeuropa, die meisten von ihnen waren jedoch keine Roma.

Nach den Recherchen von Mappes-Niediek differenziert kein europäisches Land die Täter in der Kriminalitätsstatistik nach der "Volksgruppe". Die gängige Behauptung, die Roma seien besonders kriminell, lässt sich also weder beweisen noch dementieren. In 70 Prozent der Medienberichte über Roma geht es aber um Kriminalität. Ein Umstand, der gängigen Vorurteile verfestigt.

In Deutschland gelten die Roma als gut integriert. Um Diskriminierungen zu entgehen, gaben sie sich aber als Jugoslawen aus, nach 1991 als Serben oder Mazedonier.

Es gibt kein "Roma-Problem" in Europa , betont Norbert Mappes-Niediek, sondern ein großes Armutsproblem, das den Roma angelastet wird. "Arme Roma, böse Zigeuner" ist ein sehr lesenswertes Buch, das vieles Klischees zerstreut und bildhaft und poetisch das Leben in den Roma-Siedlungen beschreibt.

Norbert Mappes-Niediek:

Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt.

Ch. Links Verlag, Berlin 2012, 208 S., 16,90 €

Den NSU-Mördern war es völlig gleich, ob ihre Opfer gut oder schlecht Deutsch sprachen, ob sie gut oder schlecht integriert waren. Mit Kopfschüssen hingerichtet wurden sie allein deshalb, weil sie Migranten waren. Auf Bekennerschreiben, wie es sonst in der Terrorszene üblich ist, verzichteten sie. Ihre Botschaft waren die Morde selbst. Diese waren der grausame Beleg dafür, dass Parolen wie "Vernichtet den Feind" auf den T-Shirts von Neonazis hätten ernst genommen werden müssen. Oder wenn sie in Liedern die "Deutschen" aufrufen, gegen die vermeintliche "Überfremdung" ihres Volkes aufzubegehren und "national befreite Zonen" zu schaffen.

Der Journalist Patrick Gensing verzichtet in seinem exzellenten Buch über den "Terror von rechts" darauf, apokalyptische Zustände wie den Untergang der Demokratie oder eine Machtübernahme der Neonazis herbei zu schreiben. Aber er beschreibt, wie in den ländlichen Regionen Ostdeutschland der Rechtsextremismus Rückhalt und Anhänger findet. Dort existiere eine ganz reale Bedrohung: Denn die politische Erfolg- und Perspektivlosigkeit radikalisiere vor allem junge Männer und treibe sie dem Nazi-Terrorismus in die Arme.

Hätte es den NSU nicht gegeben, könnte man Gensings Thesen als bloße theoretische Gedankenspielereien abtun. Doch die Existenz dieser Terrorzelle, die im Untergrund jahrelang unentdeckt ihrem blutigen Handwerk nachgehen konnte, belegt die Richtigkeit vieler seiner Beobachtungen. Das Morden der NSU offenbare nicht nur das Versagen von Polizei und Verfassungsschutz im Kampf gegen den Rechtsterrorismus, sondern auch die Ignoranz vieler wissenschaftlichen Experten angesichts einer Radikalisierung der Szene in den letzten Jahren. Immerhin benennt Gensing zwei bekannte Rechtsextremismus-Forscher und kritisiert deren fehlerhafte Einschätzungen. Allzu hart geht er mit ihnen aber nicht ins Gericht. Obwohl deren Bewertungen dazu beitrugen, Politik und Behörden in einer trügerischen Sicherheit vor dem Entstehen des Neonazi-Terrors zu wiegen.

Patrick Gensing:

Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik.

Rotbuch Verlag, Berlin 2012; 240 S., 14,95 €