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Wunsch und Wirklichkeit

AUSSENPOLITIK Deutschland und Frankreich arbeiten zusammen, setzen aber traditionell unterschiedliche Schwerpunkte

02.01.2013
2023-08-30T12:23:50.7200Z
3 Min

Nichts verkörpert die wachsende außenpolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich besser als die zunehmende Zahl diplomatischer "Wohngemeinschaften". Nicht bloß aus Ersparnisgründen sind an einigen Orten rund um die Welt die Vertretungen der beiden EU-Staaten unter einem Dach untergebracht. In Liberia und Malawi sind die französischen Diplomaten Untermieter in der deutschen Botschaft, in Banja Luka (Bosnien und Herzegowina) haben Paris und Berlin bei den Behörden der Republik Srpska eine gemeinsame Vertretung eröffnet. Wer darin bereits Vorboten deutsch-französischer Auslandsvertretungen weltweit sieht, greift freilich der Geschichte vor. Reibungsloser funktioniert die Zusammenarbeit im Bereich der Kulturinstitute. So haben in Ramallah das Goethe-Institut und das Centre Culturel Français 2004 ein deutsch-französisches Kulturzentrum gegründet. Ähnliche Initiativen gibt es in Palermo und Luxemburg. In Pakistan, Uganda und Bolivien arbeitet die Alliance Française mit dem Goethe-Zentrum unter einem Dach.

Atommacht

So einvernehmlich war die internationale Zusammenarbeit freilich nicht immer - und sie ist es auch heute bei weitem nicht in allen außenpolitischen Belangen. Die Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg war zu unterschiedlich. Musste das besetzte und geteilte Deutschland zuerst seine Souveränität und seinen Platz als demokratische Nation in der europäischen Völkergemeinschaft finden, trumpfte Frankreich international als Siegesnation, wenig später als Atommacht und ständiges UN-Sicherheitsratsmitglied auf. Konstant war Paris dabei darauf bedacht, Distanz zu den USA zu wahren.

Bündnistreue

Dieses von Präsident Charles de Gaulle verkörperte Autonomiestreben in der Zeit des Kalten Kriegs verhinderte eine gemeinsame Außenpolitik mit der Bundesrepublik, für die der amerikanische Schutzschirm nie diskutabel war. Frankreich unterstrich seine Sonderrolle 1966 mit dem Austritt aus der integrierten militärischen Führungsstruktur der Nato. Bis heute gilt dagegen für die deutsche Diplomatie, was Bundeskanzlerin Angela Merkel 2009 vor dem Bundestag als Prinzip formuliert hat: "Deutsche Sonderwege sind grundsätzlich keine Alternative deutscher Außenpolitik."

Diese unterschiedliche Startposition der frühen Jahre der deutsch-französischen Freundschaft wirkt sich, weniger in den Grundsätzen als im Auftreten, bis heute aus. Historisch bedingt ist auch die Tatsache, dass man aus Berlin nicht nur aus Treue zum atlantischen Bündnis vor allem Richtung Großbritannien und USA schaut, sondern auch zu bedeutenden Handelspartnern wie Russland oder Polen. Frankreich verteidigt dagegen immer noch seinen Einfluss als ehemalige Kolonialmacht in den Maghreb-Staaten und im frankophonen Afrika und betont darüber hinaus eine Führungsrolle im Mittelmeerraum.

Zwar sind die Zeiten der neokolonialistisch wirkenden, unter dem Begriff "Françafrique" bekannten Hinterhofpolitik auf dem Schwarzen Kontinent vorbei. Früher griff Frankreich direkt mit Truppen im Tschad oder in der Elfenbeinküste ein oder setzte sich mit einer Parteinahme in Ruanda sogar dem Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord aus. In den letzten Jahren beschränkt man sich auf die Unterstützung von UN-Missionen oder wünscht - wie derzeit im Fall Mali - Aktionen der afrikanischen Partner. Dennoch verteidigt Frankreich im Namen universeller Werte sowie der geschichtlichen Bande seine wirtschaftliche, kulturelle und militärische Präsenz auf diesem Kontinent.

Wie das zu Spannungen führen kann, belegte 2008 Staatspräsident Nicolas Sarkozys ursprüngliche Absicht, ohne Deutschland eine Mittelmeerunion zu gründen. Ein Beispiel für Gemeinsamkeit hingegen war die Ablehnung des Irak-Kriegs durch Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Mit mehreren Stimmen

Der Riss, der in der Frage der Beteiligung an diesem Krieg quer durch Europa ging, führte zu der Einsicht, dass die EU in außenpolitischen Fragen mit einer Stimme sprechen müsse. So wurde die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) mit dem Vertrag von Lissabon 2009 gestärkt, das Amt der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik wurde aufgewertet, ein Europäischer Auswärtiger Dienst aufgebaut. Dass Anspruch und Wirklichkeit trotzdem auseinanderfallen und die Mitgliedstaaten nach wie vor ihre eigenen außenpolitischen Agenden verfolgen, zeigt das Beispiel Libyen: Die von Frankreich mit initiierte und getragene militärische Intervention 2011 in Libyen, die zu Gaddafis Sturz führte, wollte Deutschland in dieser Form nicht mittragen.

Der Autor ist freier Korrespondent in Paris.