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Vom "Eurodistrikt" und "Dreyeckland": Das Leben in der Grenzregion

ZUSAMMENARBEIT Parlamentarier sind sich der besonderen Verbindung zu Frankreich bewusst. Zu Hause den Wahlkreisen ist sie gelebter Alltag

02.01.2013
2023-08-30T12:23:50.7200Z
4 Min

Ganze zehn Wahlkreise in drei Bundesländern grenzen an das Nachbarland Frankreich: Pirmasens und Südpfalz in Rheinland-Pfalz, Saarbrücken, Saarlouis und Homburg im Saarland sowie Rastatt, Offenburg, Emmendingen-Lahr, Freiburg und Lörrach-Müllheim in Baden-Württemberg.

Stellvertretend für alle Bundestagsabgeordneten der Region berichten fünf Parlamentarier von der deutsch-französischen Zusammenarbeit vor Ort und den Erfahrungen aus ihren Wahlkreisen (von Norden nach Süden).

Thomas Lutze (Die Linke), Saarbrücken

Als ich 1991 nach Saarbrücken gezogen bin, war es das Erste, was man mir zeigte: Die offene Grenze nach Frankreich. Zwar musste man damals noch mit Francs bezahlen, aber die Saarländer kannte sich eigentlich besser jenseits der Grenze als im eigenen Land aus.

Und heute? Neidisch kann man schon sein, wenn man über die nicht vorhandene Grenze schaut: Zum Jahreswechsel wurde der gesetzliche Mindestlohn auf 9,34 Euro angehoben. "Bei uns" wird vielerorts noch für sechs bis sieben Euro pro Stunde gearbeitet.

Man muss aber auch kritisch nach drüben schauen. Genau im Dreiländereck Lothringen, Luxemburg und Saarland steht mit dem Atomkraftwerk Cattenom eine tickende Zeitbombe. Ein Pannenreaktor, der wöchentlich negative Schlagzeilen produziert. In dieser Hinsicht steckt Europa noch in den Kinderschuhen, weil die französische Seite leider nicht bereit ist, die Sorgen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Schade eigentlich.

Sibylle Laurischk (FDP), Offenburg

Die Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich zum 40. Jahrestag lautete, dass ein "Eurodistrikt Strasbourg-Kehl" gegründet wird. Als frisch in den Bundestag gewählte Abgeordnete war dies für mich ein Signal, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu intensivieren und dies auch politisch zu begleiten.

Nach einer Legislaturperiode war für mich deutlich, dass der Schwerpunkt der Arbeit auf kommunaler Ebene liegen wird, was ich dann auch als Kreisrätin begleiten konnte. Mittlerweile gibt es einen Eurodistriktrat Strasbourg/Ortenau, der grenzüberschreitend wichtige Fragen unter starker kommunaler Beteiligung bearbeitet. Dazu gehören beispielsweise der grenzüberschreitende öffentliche Personennahverkehr und die Entwicklung entsprechendem Kartenmaterials. Die Förderung der Zweisprachigkeit und das Erlernen der jeweiligen Sprache des Nachbarn sind weitere Schwerpunkte, weil auch die grenzüberschreitende wirtschaftliche Kooperation wesentlich vom wechselweisen Verständnis abhängt. Aber auch Fragen der Drogen- und Suchtbekämpfung und die Einrichtung eines sozialmedizinischen deutsch-französischem Zentrums mit Standort in Strasbourg sind praktische Themen.

Das Treffen des französischen Parlaments und des Deutschen Bundestages vor zehn Jahren in Paris hat für meinen Wahlkreis mit der Gründung des Eurodistrikts Strasbourg/Ortenau eine Fülle von Anregungen gebracht und die Kooperation mit den französischen Nachbarn intensiviert. Ich freue mich auf das Treffen der Parlamente am 22. Januar 2013!

Kerstin Andreae (Die Grünen), Freiburg

Die Region Freiburg und die benachbarte Region im Elsass zwischen Colmar und Mulhouse haben 2006 mit dem Eurodistrikt eine Vereinbarung geschlossen, um die bestehende Zusammenarbeit zu intensivieren. Der Schnellzug TGV hält ab Ende August 2013 vier Mal täglich direkt in Freiburg, drei Stunden und 40 Minuten später ist man in der französischen Hauptstadt. Auch beim Bereich Berufliche Mobilität arbeitet man nun enger zusammen: ein Grenzüberschreitendes Forum zur Beschäftigung und eine Kooperation zwischen der Industrie- und Handwerkskammer südlicher Oberrhein, der Arbeitsagentur und ihrem französischem Pendant haben zu etlichen Job-Vermittlungen geführt. Ganz besonders eng arbeitet man in Stadt- und Kreisververwaltungen von Freiburg, Mulhouse und den umliegenden Kreisen über Mitarbeiteraustausch zusammen.

Gernot Erler (SPD), Freiburg

Es war der Plan eines deutschen Chemiekonzerns, auf der anderen Seite des Rheins in Marckolsheim (Elsass) ein Blei-Chemiewerk zu bauen, der im Sommer 1974 zur Gründung eines Internationalen Komitees der 21 Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen führte. Der Protest dieser Gruppen, die im "Dreyeckland" Baden-Elsass-Nordwestschweiz alle Grenzen überwanden, durchweg gewaltlos agierten, aber die Betreiber mit Bauplatzbesetzungen von ihren Plänen abbringen wollten, war erfolgreich: Weder in Marckolsheim wurde gebaut, noch die Atomkraftwerke in Wyhl (Kaiserstuhl) oder in Kaiseraugst (Schweiz). Ein später Erfolg dieser "Anderen Wacht am Rhein" (Walter Mossmann) stellt die Ankündigung des französischen Staatspräsidenten François Hollande im September 2012 dar, das grenznahe älteste französische AKW Fessenheim bis Ende 2016 zu schließen. Der Erfolg der Anti-Atombewegung von Wyhl wirkt bis heute weit über die Grenzen auch international. Hier dabei gewesen zu sein, prägte eine ganze Generation, die erfahren hat, was grenzüberschreitende Kooperation engagierter Bürger leiten kann: kein zu vernachlässigender "Erinnerungsort" ("lieu de mémoire") zum großen Jahrestag des Élysée-Vertrages!

Armin Schuster (CDU), Lörrach-Müllheim

Samstagmorgens auf der Dreiländerbrücke. Zur Linken thront das Basler Münster über dem Rhein, vor mir liegt das Mittelmeer: In einer guten Viertelstunde radle ich mit dem Velo zu meinem elsässischen Fischhändler. Die Auswahl beeindruckt mich immer wieder. Ich entscheide mich für eine Dorade, daheim wartet schon ein kräftiger Grauburgunder aus meiner südbadischen Heimat. Die Gäste können kommen.

Wir im Dreiländereck leben Europa - jeden Tag. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeiten Politiker aus dem südlichen Südbaden, dem Südelsass und der Nordwestschweiz bei der interkommunalen Planung über die Grenzen hinweg zusammen. Daraus entstand 2007 der "Trinationale Eurodistrikt Basel": Vertreter der Region entwickeln Lösungen für die Alltagsprobleme der Menschen im Dreiland.

Adenauer und de Gaulle haben die Gräben der Feindschaft zugeschüttet. Auf diesem Fundament bauen wir unser Europa. Ich möchte an keinem anderen Ort leben.