Piwik Webtracking Image

Ein Satz dreht die ganze Verfassung um

OKTOBERREFORM 1918 Der (zu) späte Sieg des deutschen Parlamentarismus

02.01.2013
2023-08-30T12:23:50.7200Z
25 Min

Nur ein schlichter Satz. Gerade einmal zehn Wörter stellten das Verfassungsgefüge Deutschlands auf den Kopf. Denn sie machten aus der konstitutionellen Monarchie des preußisch-deutschen Kaiserreichs einen parlamentarisch regierten Staat. Zehn Wörter, die im Rückblick betrachtet selbstverständlich klingen - und die doch eine Zäsur waren.

"Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages." Es waren diese zehn Wörter, beinahe versteckt im zweiten Absatz des "Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung" vom 28. Oktober 1918, um die Sozialdemokraten, Zentrum und Liberale teilweise seit Jahrzehnten gekämpft hatten.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde verfassungsmäßig festgelegt, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit im Parlament brauchen sollte. Bis dahin hatten Preußens Ministerpräsidenten und Deutschlands Kanzler stets nur des Vertrauens des jeweiligen Monarchen bedurft. Zwar verfügten der preußische Landtag seit 1848 und der Reichstag ab 1871 über die Budgethoheit. Doch der Einfluss auf die aktuelle Politik war begrenzt.

Freiwillig hatten Kaiser Wilhelm II. und seine konservativen Unterstützer diesen Umsturz der Machtverhältnisse nicht eingeräumt. Es war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Westfront, die den starken Mann der Obersten Heeresleitung, General Erich Ludendorff, am 29. September 1918 zu einer überraschenden Volte bewegt hatte. Nachdem der Weltkrieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war, forderte Ludendorff einen Waffenstillstand auf Grundlage der "14 Punkte" des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Gleichzeitig stahl sich der General aus seiner Verantwortung: Er forderte, die bisherige Opposition solle eingebunden werden, vor allem SPD und Zentrum. Die Reichstagsfraktionen beider Parteien hatten zwar seit August 1914 die Politik der Reichsleitung überwiegend unterstützt, aber seit 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Parlaments mit der liberalen Fortschrittspartei auf eine Beendigung des Krieges mittels eines Verständigungsfriedens hingearbeitet.

Kanzlerwechsel

Der gewählte US-Präsident würde sicher mit einem parlamentarisch gestützten Reichskanzler eher verhandeln als mit einem Repräsentanten der alten konstitutionellen Monarchie, glaubte Ludendorff. Daher folgte ein Wechsel im Amt des Reichskanzlers: Auf den glücklosen Zentrumskanzler Georg von Hertling, der persönlich die Parlamentarisierung ablehnte, sich aber trotzdem vom Interfraktionellen Ausschuss stützen ließ, folgte nun mit Prinz Max von Baden ein liberaler Hochadliger. Weil der Thronfolger des Großherzogtums im Südwesten öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war, schien er der richtige Kandidat für Verhandlungen mit den USA zu sein.

Max von Baden, verfassungsrechtlich ausschließlich vom Vertrauen des Kaisers abhängig, berief als Zeichen guten Willens auch zwei Sozialdemokraten in sein Kabinett - doch die von der SPD geforderte Parlamentarisierung lehnte er ab. Zwar betonte er, selbstverständlich sei seine Amtsführung vom Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig. Doch in Verfassungsrecht gießen wollte er das nicht.

Die Antwortnote der USA auf sein Angebot war ernüchternd: Außenminister Robert Lansing fragte undiplomatisch direkt, ob der neuen Kanzler "nur für diejenigen Gewalten des Reiches" spreche, "die bisher den Krieg geführt haben". Lansings deutscher Kollege Wilhelm Solf antwortete: "Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages."

Um das zu unterstreichen, brachte das Reichskabinett Gesetzentwürfe auf den Weg, die ein Zugehen auf die USA signalisieren sollten. Doch den entscheidenden Schritt hin zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament, mochte Max von Baden nicht gehen. Vielleicht konnte er es auch nicht. Nicht einmal, als Lansing im nächsten Telegramm klarmachte, dass "ohne Vernichtung jeder willkürlichen Macht" oder mindestens "ihre Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohnmacht" Verhandlungen unmöglich seien. "Willkürliche Macht" - das zielte auf das Gottesgnadentum Wilhelms II., der "vernichtet", also abgesetzt, oder "herabgemindert", also wenigstens in politischer Bedeutungslosigkeit verschwinden sollte.

Noch einen Anlauf unternahm Max von Baden, um die formale Parlamentarisierung des Reiches zu verhindern: Am 22. Oktober 1918 bekannte er im Reichstag, kein Kanzler könne im Amt bleiben, "wenn er das Vertrauen der Mehrheit des Hauses verloren" habe. Doch sein Vorschlag zur Verfassungsänderung sah lediglich die Gründung eines Staatsgerichtshofes vor, dem gegenüber sich der Regierungschef verantworten solle.

Inzwischen hatten die führenden Politiker des Interfraktionellen Ausschusses erkannt, welches Druckmittel ihnen Wilson und Lansing in die Hand gegeben hatten. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert forderte in seiner Rede klugerweise nichts, sondern stellte nur fest: "Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, dass unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht mehr entwinden lassen wird." Und er nahm Max von Badens Erklärung wider besseres Wissen als Bestätigung der faktisch bereits vollzogenen Parlamentarisierung. Sein Kabinett habe seine Existenz von der Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht. Das stimmte formal nicht, denn immer noch galt die Verfassung von 1871.

Doch nun war der Reichskanzler in der Zwickmühle. Er konnte nicht mehr hinter seine Aussagen zurück, und die gültige Auslegung hatte Ebert ihm geschickt aufgedrängt. So musste Max von Baden einen Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses annehmen und als Regierungsvorschlag an den Reichstag weiterleiten, der die entscheidenden zehn Wörter enthielt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages."

Zwischen zweiter und dritter Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für eine Verfassungsänderung wurde diese entscheidende Erweiterung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und schließlich am 26. Oktober 1918 mit Mehrheit verabschiedet. Als auch der Kaiser und der Bundesrat als Vertretung der Fürsten zustimmten, trat die Änderung der Reichsverfassung am 28. Oktober in Kraft: Fortan war Deutschland nicht mehr eine konstitutionelle, sondern eine parlamentarische Monarchie.

Formal rechtswidrig

Doch ausgerechnet diese entscheidende Veränderung zugunsten der gewählten Volksvertretung war rein formal betrachtet auf verfassungswidrige Weise zustande gekommen. Denn was Max von Baden als Regierungsvorschlag eingebracht hatte, war eine unzulässige Erweiterung des Entwurfes. Die Opposition beklagte dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Reichstags gemäß zu Recht, dass eine so weitreichende Veränderung eines neuen Gesetzgebungsverfahren bedurft hätte.

Ihr Sprecher, Kuno Graf Westarp, sah in der Verfassungsänderung "eine verhängnisvolle Wendung, von der wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vaterlandes befürchten". Klar sprach der Fraktionsvorsitzende der Deutschkonservativen Partei aus, was die Verfassungsänderung bedeutete: "Aus dem monarchisch-konstitutionellen Reich ist ein nach den Grundsätzen der westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat geworden."

So deutlich hätte Friedrich Ebert das wohl nicht formuliert. Doch inhaltlich hatte Westarp Recht: Die Verfassungsänderung entfaltete genau diese Wirkung. In wenig demokratischer Art jedoch stimmte die Reichstagsmehrheit die Einwände der Konservativen nieder. Die Parlamentarisierung des Reichs erfolgte auf formal rechts- und damit verfassungswidrige Weise.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden und die Monarchie retten konnte dieser späte, zu späte Schritt zur Demokratisierung aber nicht mehr: Als von Kiel ausgehend die Revolution sich ihren Weg bahnte, musste er am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und seines Sohnes verkünden. Außerdem übergab er die Regierungsgeschäfte an Ebert, der seine Übergangsregierung den "Rat der Volksbeauftragten" nannte. Die Novemberrevolution verdrängte die Oktoberreformen in die Bedeutungslosigkeit.

Niemand konnte damals ahnen, dass ausgerechnet Erich Ludendorff und sein Vorgesetzter Paul von Hindenburg, hauptverantwortlich für die ausweglose Lage des Reiches im Herbst 1918, die Verantwortung dafür demokratisch gesinnten Politikern wie Ebert zuschieben könnten. Mit der Dolchstoß-Legende (siehe Seite 8) entlasteten sich die beiden Ex-Generäle vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit - und beschädigten damit zugleich die erste deutsche Demokratie, die am 28. Oktober 1918 mit der Verfassungsänderung begonnen hatte.

Nur ein schlichter Satz. Gerade einmal zehn Wörter stellten das Verfassungsgefüge Deutschlands auf den Kopf. Denn sie machten aus der konstitutionellen Monarchie des preußisch-deutschen Kaiserreichs einen parlamentarisch regierten Staat. Zehn Wörter, die im Rückblick betrachtet selbstverständlich klingen - und die doch eine Zäsur waren.

"Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages." Es waren diese zehn Wörter, beinahe versteckt im zweiten Absatz des "Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung" vom 28. Oktober 1918, um die Sozialdemokraten, Zentrum und Liberale teilweise seit Jahrzehnten gekämpft hatten.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde verfassungsmäßig festgelegt, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit im Parlament brauchen sollte. Bis dahin hatten Preußens Ministerpräsidenten und Deutschlands Kanzler stets nur des Vertrauens des jeweiligen Monarchen bedurft. Zwar verfügten der preußische Landtag seit 1848 und der Reichstag ab 1871 über die Budgethoheit. Doch der Einfluss auf die aktuelle Politik war begrenzt.

Freiwillig hatten Kaiser Wilhelm II. und seine konservativen Unterstützer diesen Umsturz der Machtverhältnisse nicht eingeräumt. Es war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Westfront, die den starken Mann der Obersten Heeresleitung, General Erich Ludendorff, am 29. September 1918 zu einer überraschenden Volte bewegt hatte. Nachdem der Weltkrieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war, forderte Ludendorff einen Waffenstillstand auf Grundlage der "14 Punkte" des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Gleichzeitig stahl sich der General aus seiner Verantwortung: Er forderte, die bisherige Opposition solle eingebunden werden, vor allem SPD und Zentrum. Die Reichstagsfraktionen beider Parteien hatten zwar seit August 1914 die Politik der Reichsleitung überwiegend unterstützt, aber seit 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Parlaments mit der liberalen Fortschrittspartei auf eine Beendigung des Krieges mittels eines Verständigungsfriedens hingearbeitet.

Kanzlerwechsel

Der gewählte US-Präsident würde sicher mit einem parlamentarisch gestützten Reichskanzler eher verhandeln als mit einem Repräsentanten der alten konstitutionellen Monarchie, glaubte Ludendorff. Daher folgte ein Wechsel im Amt des Reichskanzlers: Auf den glücklosen Zentrumskanzler Georg von Hertling, der persönlich die Parlamentarisierung ablehnte, sich aber trotzdem vom Interfraktionellen Ausschuss stützen ließ, folgte nun mit Prinz Max von Baden ein liberaler Hochadliger. Weil der Thronfolger des Großherzogtums im Südwesten öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war, schien er der richtige Kandidat für Verhandlungen mit den USA zu sein.

Max von Baden, verfassungsrechtlich ausschließlich vom Vertrauen des Kaisers abhängig, berief als Zeichen guten Willens auch zwei Sozialdemokraten in sein Kabinett - doch die von der SPD geforderte Parlamentarisierung lehnte er ab. Zwar betonte er, selbstverständlich sei seine Amtsführung vom Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig. Doch in Verfassungsrecht gießen wollte er das nicht.

Die Antwortnote der USA auf sein Angebot war ernüchternd: Außenminister Robert Lansing fragte undiplomatisch direkt, ob der neuen Kanzler "nur für diejenigen Gewalten des Reiches" spreche, "die bisher den Krieg geführt haben". Lansings deutscher Kollege Wilhelm Solf antwortete: "Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages."

Um das zu unterstreichen, brachte das Reichskabinett Gesetzentwürfe auf den Weg, die ein Zugehen auf die USA signalisieren sollten. Doch den entscheidenden Schritt hin zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament, mochte Max von Baden nicht gehen. Vielleicht konnte er es auch nicht. Nicht einmal, als Lansing im nächsten Telegramm klarmachte, dass "ohne Vernichtung jeder willkürlichen Macht" oder mindestens "ihre Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohnmacht" Verhandlungen unmöglich seien. "Willkürliche Macht" - das zielte auf das Gottesgnadentum Wilhelms II., der "vernichtet", also abgesetzt, oder "herabgemindert", also wenigstens in politischer Bedeutungslosigkeit verschwinden sollte.

Noch einen Anlauf unternahm Max von Baden, um die formale Parlamentarisierung des Reiches zu verhindern: Am 22. Oktober 1918 bekannte er im Reichstag, kein Kanzler könne im Amt bleiben, "wenn er das Vertrauen der Mehrheit des Hauses verloren" habe. Doch sein Vorschlag zur Verfassungsänderung sah lediglich die Gründung eines Staatsgerichtshofes vor, dem gegenüber sich der Regierungschef verantworten solle.

Inzwischen hatten die führenden Politiker des Interfraktionellen Ausschusses erkannt, welches Druckmittel ihnen Wilson und Lansing in die Hand gegeben hatten. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert forderte in seiner Rede klugerweise nichts, sondern stellte nur fest: "Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, dass unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht mehr entwinden lassen wird." Und er nahm Max von Badens Erklärung wider besseres Wissen als Bestätigung der faktisch bereits vollzogenen Parlamentarisierung. Sein Kabinett habe seine Existenz von der Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht. Das stimmte formal nicht, denn immer noch galt die Verfassung von 1871.

Doch nun war der Reichskanzler in der Zwickmühle. Er konnte nicht mehr hinter seine Aussagen zurück, und die gültige Auslegung hatte Ebert ihm geschickt aufgedrängt. So musste Max von Baden einen Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses annehmen und als Regierungsvorschlag an den Reichstag weiterleiten, der die entscheidenden zehn Wörter enthielt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages."

Zwischen zweiter und dritter Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für eine Verfassungsänderung wurde diese entscheidende Erweiterung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und schließlich am 26. Oktober 1918 mit Mehrheit verabschiedet. Als auch der Kaiser und der Bundesrat als Vertretung der Fürsten zustimmten, trat die Änderung der Reichsverfassung am 28. Oktober in Kraft: Fortan war Deutschland nicht mehr eine konstitutionelle, sondern eine parlamentarische Monarchie.

Formal rechtswidrig

Doch ausgerechnet diese entscheidende Veränderung zugunsten der gewählten Volksvertretung war rein formal betrachtet auf verfassungswidrige Weise zustande gekommen. Denn was Max von Baden als Regierungsvorschlag eingebracht hatte, war eine unzulässige Erweiterung des Entwurfes. Die Opposition beklagte dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Reichstags gemäß zu Recht, dass eine so weitreichende Veränderung eines neuen Gesetzgebungsverfahren bedurft hätte.

Ihr Sprecher, Kuno Graf Westarp, sah in der Verfassungsänderung "eine verhängnisvolle Wendung, von der wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vaterlandes befürchten". Klar sprach der Fraktionsvorsitzende der Deutschkonservativen Partei aus, was die Verfassungsänderung bedeutete: "Aus dem monarchisch-konstitutionellen Reich ist ein nach den Grundsätzen der westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat geworden."

So deutlich hätte Friedrich Ebert das wohl nicht formuliert. Doch inhaltlich hatte Westarp Recht: Die Verfassungsänderung entfaltete genau diese Wirkung. In wenig demokratischer Art jedoch stimmte die Reichstagsmehrheit die Einwände der Konservativen nieder. Die Parlamentarisierung des Reichs erfolgte auf formal rechts- und damit verfassungswidrige Weise.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden und die Monarchie retten konnte dieser späte, zu späte Schritt zur Demokratisierung aber nicht mehr: Als von Kiel ausgehend die Revolution sich ihren Weg bahnte, musste er am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und seines Sohnes verkünden. Außerdem übergab er die Regierungsgeschäfte an Ebert, der seine Übergangsregierung den "Rat der Volksbeauftragten" nannte. Die Novemberrevolution verdrängte die Oktoberreformen in die Bedeutungslosigkeit.

Niemand konnte damals ahnen, dass ausgerechnet Erich Ludendorff und sein Vorgesetzter Paul von Hindenburg, hauptverantwortlich für die ausweglose Lage des Reiches im Herbst 1918, die Verantwortung dafür demokratisch gesinnten Politikern wie Ebert zuschieben könnten. Mit der Dolchstoß-Legende (siehe Seite 8) entlasteten sich die beiden Ex-Generäle vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit - und beschädigten damit zugleich die erste deutsche Demokratie, die am 28. Oktober 1918 mit der Verfassungsänderung begonnen hatte.

Nur ein schlichter Satz. Gerade einmal zehn Wörter stellten das Verfassungsgefüge Deutschlands auf den Kopf. Denn sie machten aus der konstitutionellen Monarchie des preußisch-deutschen Kaiserreichs einen parlamentarisch regierten Staat. Zehn Wörter, die im Rückblick betrachtet selbstverständlich klingen - und die doch eine Zäsur waren.

"Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages." Es waren diese zehn Wörter, beinahe versteckt im zweiten Absatz des "Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung" vom 28. Oktober 1918, um die Sozialdemokraten, Zentrum und Liberale teilweise seit Jahrzehnten gekämpft hatten.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde verfassungsmäßig festgelegt, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit im Parlament brauchen sollte. Bis dahin hatten Preußens Ministerpräsidenten und Deutschlands Kanzler stets nur des Vertrauens des jeweiligen Monarchen bedurft. Zwar verfügten der preußische Landtag seit 1848 und der Reichstag ab 1871 über die Budgethoheit. Doch der Einfluss auf die aktuelle Politik war begrenzt.

Freiwillig hatten Kaiser Wilhelm II. und seine konservativen Unterstützer diesen Umsturz der Machtverhältnisse nicht eingeräumt. Es war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Westfront, die den starken Mann der Obersten Heeresleitung, General Erich Ludendorff, am 29. September 1918 zu einer überraschenden Volte bewegt hatte. Nachdem der Weltkrieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war, forderte Ludendorff einen Waffenstillstand auf Grundlage der "14 Punkte" des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Gleichzeitig stahl sich der General aus seiner Verantwortung: Er forderte, die bisherige Opposition solle eingebunden werden, vor allem SPD und Zentrum. Die Reichstagsfraktionen beider Parteien hatten zwar seit August 1914 die Politik der Reichsleitung überwiegend unterstützt, aber seit 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Parlaments mit der liberalen Fortschrittspartei auf eine Beendigung des Krieges mittels eines Verständigungsfriedens hingearbeitet.

Kanzlerwechsel

Der gewählte US-Präsident würde sicher mit einem parlamentarisch gestützten Reichskanzler eher verhandeln als mit einem Repräsentanten der alten konstitutionellen Monarchie, glaubte Ludendorff. Daher folgte ein Wechsel im Amt des Reichskanzlers: Auf den glücklosen Zentrumskanzler Georg von Hertling, der persönlich die Parlamentarisierung ablehnte, sich aber trotzdem vom Interfraktionellen Ausschuss stützen ließ, folgte nun mit Prinz Max von Baden ein liberaler Hochadliger. Weil der Thronfolger des Großherzogtums im Südwesten öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war, schien er der richtige Kandidat für Verhandlungen mit den USA zu sein.

Max von Baden, verfassungsrechtlich ausschließlich vom Vertrauen des Kaisers abhängig, berief als Zeichen guten Willens auch zwei Sozialdemokraten in sein Kabinett - doch die von der SPD geforderte Parlamentarisierung lehnte er ab. Zwar betonte er, selbstverständlich sei seine Amtsführung vom Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig. Doch in Verfassungsrecht gießen wollte er das nicht.

Die Antwortnote der USA auf sein Angebot war ernüchternd: Außenminister Robert Lansing fragte undiplomatisch direkt, ob der neuen Kanzler "nur für diejenigen Gewalten des Reiches" spreche, "die bisher den Krieg geführt haben". Lansings deutscher Kollege Wilhelm Solf antwortete: "Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages."

Um das zu unterstreichen, brachte das Reichskabinett Gesetzentwürfe auf den Weg, die ein Zugehen auf die USA signalisieren sollten. Doch den entscheidenden Schritt hin zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament, mochte Max von Baden nicht gehen. Vielleicht konnte er es auch nicht. Nicht einmal, als Lansing im nächsten Telegramm klarmachte, dass "ohne Vernichtung jeder willkürlichen Macht" oder mindestens "ihre Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohnmacht" Verhandlungen unmöglich seien. "Willkürliche Macht" - das zielte auf das Gottesgnadentum Wilhelms II., der "vernichtet", also abgesetzt, oder "herabgemindert", also wenigstens in politischer Bedeutungslosigkeit verschwinden sollte.

Noch einen Anlauf unternahm Max von Baden, um die formale Parlamentarisierung des Reiches zu verhindern: Am 22. Oktober 1918 bekannte er im Reichstag, kein Kanzler könne im Amt bleiben, "wenn er das Vertrauen der Mehrheit des Hauses verloren" habe. Doch sein Vorschlag zur Verfassungsänderung sah lediglich die Gründung eines Staatsgerichtshofes vor, dem gegenüber sich der Regierungschef verantworten solle.

Inzwischen hatten die führenden Politiker des Interfraktionellen Ausschusses erkannt, welches Druckmittel ihnen Wilson und Lansing in die Hand gegeben hatten. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert forderte in seiner Rede klugerweise nichts, sondern stellte nur fest: "Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, dass unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht mehr entwinden lassen wird." Und er nahm Max von Badens Erklärung wider besseres Wissen als Bestätigung der faktisch bereits vollzogenen Parlamentarisierung. Sein Kabinett habe seine Existenz von der Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht. Das stimmte formal nicht, denn immer noch galt die Verfassung von 1871.

Doch nun war der Reichskanzler in der Zwickmühle. Er konnte nicht mehr hinter seine Aussagen zurück, und die gültige Auslegung hatte Ebert ihm geschickt aufgedrängt. So musste Max von Baden einen Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses annehmen und als Regierungsvorschlag an den Reichstag weiterleiten, der die entscheidenden zehn Wörter enthielt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages."

Zwischen zweiter und dritter Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für eine Verfassungsänderung wurde diese entscheidende Erweiterung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und schließlich am 26. Oktober 1918 mit Mehrheit verabschiedet. Als auch der Kaiser und der Bundesrat als Vertretung der Fürsten zustimmten, trat die Änderung der Reichsverfassung am 28. Oktober in Kraft: Fortan war Deutschland nicht mehr eine konstitutionelle, sondern eine parlamentarische Monarchie.

Formal rechtswidrig

Doch ausgerechnet diese entscheidende Veränderung zugunsten der gewählten Volksvertretung war rein formal betrachtet auf verfassungswidrige Weise zustande gekommen. Denn was Max von Baden als Regierungsvorschlag eingebracht hatte, war eine unzulässige Erweiterung des Entwurfes. Die Opposition beklagte dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Reichstags gemäß zu Recht, dass eine so weitreichende Veränderung eines neuen Gesetzgebungsverfahren bedurft hätte.

Ihr Sprecher, Kuno Graf Westarp, sah in der Verfassungsänderung "eine verhängnisvolle Wendung, von der wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vaterlandes befürchten". Klar sprach der Fraktionsvorsitzende der Deutschkonservativen Partei aus, was die Verfassungsänderung bedeutete: "Aus dem monarchisch-konstitutionellen Reich ist ein nach den Grundsätzen der westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat geworden."

So deutlich hätte Friedrich Ebert das wohl nicht formuliert. Doch inhaltlich hatte Westarp Recht: Die Verfassungsänderung entfaltete genau diese Wirkung. In wenig demokratischer Art jedoch stimmte die Reichstagsmehrheit die Einwände der Konservativen nieder. Die Parlamentarisierung des Reichs erfolgte auf formal rechts- und damit verfassungswidrige Weise.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden und die Monarchie retten konnte dieser späte, zu späte Schritt zur Demokratisierung aber nicht mehr: Als von Kiel ausgehend die Revolution sich ihren Weg bahnte, musste er am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und seines Sohnes verkünden. Außerdem übergab er die Regierungsgeschäfte an Ebert, der seine Übergangsregierung den "Rat der Volksbeauftragten" nannte. Die Novemberrevolution verdrängte die Oktoberreformen in die Bedeutungslosigkeit.

Niemand konnte damals ahnen, dass ausgerechnet Erich Ludendorff und sein Vorgesetzter Paul von Hindenburg, hauptverantwortlich für die ausweglose Lage des Reiches im Herbst 1918, die Verantwortung dafür demokratisch gesinnten Politikern wie Ebert zuschieben könnten. Mit der Dolchstoß-Legende (siehe Seite 8) entlasteten sich die beiden Ex-Generäle vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit - und beschädigten damit zugleich die erste deutsche Demokratie, die am 28. Oktober 1918 mit der Verfassungsänderung begonnen hatte.

Nur ein schlichter Satz. Gerade einmal zehn Wörter stellten das Verfassungsgefüge Deutschlands auf den Kopf. Denn sie machten aus der konstitutionellen Monarchie des preußisch-deutschen Kaiserreichs einen parlamentarisch regierten Staat. Zehn Wörter, die im Rückblick betrachtet selbstverständlich klingen - und die doch eine Zäsur waren.

"Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages." Es waren diese zehn Wörter, beinahe versteckt im zweiten Absatz des "Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung" vom 28. Oktober 1918, um die Sozialdemokraten, Zentrum und Liberale teilweise seit Jahrzehnten gekämpft hatten.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde verfassungsmäßig festgelegt, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit im Parlament brauchen sollte. Bis dahin hatten Preußens Ministerpräsidenten und Deutschlands Kanzler stets nur des Vertrauens des jeweiligen Monarchen bedurft. Zwar verfügten der preußische Landtag seit 1848 und der Reichstag ab 1871 über die Budgethoheit. Doch der Einfluss auf die aktuelle Politik war begrenzt.

Freiwillig hatten Kaiser Wilhelm II. und seine konservativen Unterstützer diesen Umsturz der Machtverhältnisse nicht eingeräumt. Es war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Westfront, die den starken Mann der Obersten Heeresleitung, General Erich Ludendorff, am 29. September 1918 zu einer überraschenden Volte bewegt hatte. Nachdem der Weltkrieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war, forderte Ludendorff einen Waffenstillstand auf Grundlage der "14 Punkte" des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Gleichzeitig stahl sich der General aus seiner Verantwortung: Er forderte, die bisherige Opposition solle eingebunden werden, vor allem SPD und Zentrum. Die Reichstagsfraktionen beider Parteien hatten zwar seit August 1914 die Politik der Reichsleitung überwiegend unterstützt, aber seit 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Parlaments mit der liberalen Fortschrittspartei auf eine Beendigung des Krieges mittels eines Verständigungsfriedens hingearbeitet.

Kanzlerwechsel

Der gewählte US-Präsident würde sicher mit einem parlamentarisch gestützten Reichskanzler eher verhandeln als mit einem Repräsentanten der alten konstitutionellen Monarchie, glaubte Ludendorff. Daher folgte ein Wechsel im Amt des Reichskanzlers: Auf den glücklosen Zentrumskanzler Georg von Hertling, der persönlich die Parlamentarisierung ablehnte, sich aber trotzdem vom Interfraktionellen Ausschuss stützen ließ, folgte nun mit Prinz Max von Baden ein liberaler Hochadliger. Weil der Thronfolger des Großherzogtums im Südwesten öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war, schien er der richtige Kandidat für Verhandlungen mit den USA zu sein.

Max von Baden, verfassungsrechtlich ausschließlich vom Vertrauen des Kaisers abhängig, berief als Zeichen guten Willens auch zwei Sozialdemokraten in sein Kabinett - doch die von der SPD geforderte Parlamentarisierung lehnte er ab. Zwar betonte er, selbstverständlich sei seine Amtsführung vom Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig. Doch in Verfassungsrecht gießen wollte er das nicht.

Die Antwortnote der USA auf sein Angebot war ernüchternd: Außenminister Robert Lansing fragte undiplomatisch direkt, ob der neuen Kanzler "nur für diejenigen Gewalten des Reiches" spreche, "die bisher den Krieg geführt haben". Lansings deutscher Kollege Wilhelm Solf antwortete: "Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages."

Um das zu unterstreichen, brachte das Reichskabinett Gesetzentwürfe auf den Weg, die ein Zugehen auf die USA signalisieren sollten. Doch den entscheidenden Schritt hin zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament, mochte Max von Baden nicht gehen. Vielleicht konnte er es auch nicht. Nicht einmal, als Lansing im nächsten Telegramm klarmachte, dass "ohne Vernichtung jeder willkürlichen Macht" oder mindestens "ihre Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohnmacht" Verhandlungen unmöglich seien. "Willkürliche Macht" - das zielte auf das Gottesgnadentum Wilhelms II., der "vernichtet", also abgesetzt, oder "herabgemindert", also wenigstens in politischer Bedeutungslosigkeit verschwinden sollte.

Noch einen Anlauf unternahm Max von Baden, um die formale Parlamentarisierung des Reiches zu verhindern: Am 22. Oktober 1918 bekannte er im Reichstag, kein Kanzler könne im Amt bleiben, "wenn er das Vertrauen der Mehrheit des Hauses verloren" habe. Doch sein Vorschlag zur Verfassungsänderung sah lediglich die Gründung eines Staatsgerichtshofes vor, dem gegenüber sich der Regierungschef verantworten solle.

Inzwischen hatten die führenden Politiker des Interfraktionellen Ausschusses erkannt, welches Druckmittel ihnen Wilson und Lansing in die Hand gegeben hatten. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert forderte in seiner Rede klugerweise nichts, sondern stellte nur fest: "Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, dass unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht mehr entwinden lassen wird." Und er nahm Max von Badens Erklärung wider besseres Wissen als Bestätigung der faktisch bereits vollzogenen Parlamentarisierung. Sein Kabinett habe seine Existenz von der Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht. Das stimmte formal nicht, denn immer noch galt die Verfassung von 1871.

Doch nun war der Reichskanzler in der Zwickmühle. Er konnte nicht mehr hinter seine Aussagen zurück, und die gültige Auslegung hatte Ebert ihm geschickt aufgedrängt. So musste Max von Baden einen Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses annehmen und als Regierungsvorschlag an den Reichstag weiterleiten, der die entscheidenden zehn Wörter enthielt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages."

Zwischen zweiter und dritter Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für eine Verfassungsänderung wurde diese entscheidende Erweiterung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und schließlich am 26. Oktober 1918 mit Mehrheit verabschiedet. Als auch der Kaiser und der Bundesrat als Vertretung der Fürsten zustimmten, trat die Änderung der Reichsverfassung am 28. Oktober in Kraft: Fortan war Deutschland nicht mehr eine konstitutionelle, sondern eine parlamentarische Monarchie.

Formal rechtswidrig

Doch ausgerechnet diese entscheidende Veränderung zugunsten der gewählten Volksvertretung war rein formal betrachtet auf verfassungswidrige Weise zustande gekommen. Denn was Max von Baden als Regierungsvorschlag eingebracht hatte, war eine unzulässige Erweiterung des Entwurfes. Die Opposition beklagte dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Reichstags gemäß zu Recht, dass eine so weitreichende Veränderung eines neuen Gesetzgebungsverfahren bedurft hätte.

Ihr Sprecher, Kuno Graf Westarp, sah in der Verfassungsänderung "eine verhängnisvolle Wendung, von der wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vaterlandes befürchten". Klar sprach der Fraktionsvorsitzende der Deutschkonservativen Partei aus, was die Verfassungsänderung bedeutete: "Aus dem monarchisch-konstitutionellen Reich ist ein nach den Grundsätzen der westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat geworden."

So deutlich hätte Friedrich Ebert das wohl nicht formuliert. Doch inhaltlich hatte Westarp Recht: Die Verfassungsänderung entfaltete genau diese Wirkung. In wenig demokratischer Art jedoch stimmte die Reichstagsmehrheit die Einwände der Konservativen nieder. Die Parlamentarisierung des Reichs erfolgte auf formal rechts- und damit verfassungswidrige Weise.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden und die Monarchie retten konnte dieser späte, zu späte Schritt zur Demokratisierung aber nicht mehr: Als von Kiel ausgehend die Revolution sich ihren Weg bahnte, musste er am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und seines Sohnes verkünden. Außerdem übergab er die Regierungsgeschäfte an Ebert, der seine Übergangsregierung den "Rat der Volksbeauftragten" nannte. Die Novemberrevolution verdrängte die Oktoberreformen in die Bedeutungslosigkeit.

Niemand konnte damals ahnen, dass ausgerechnet Erich Ludendorff und sein Vorgesetzter Paul von Hindenburg, hauptverantwortlich für die ausweglose Lage des Reiches im Herbst 1918, die Verantwortung dafür demokratisch gesinnten Politikern wie Ebert zuschieben könnten. Mit der Dolchstoß-Legende (siehe Seite 8) entlasteten sich die beiden Ex-Generäle vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit - und beschädigten damit zugleich die erste deutsche Demokratie, die am 28. Oktober 1918 mit der Verfassungsänderung begonnen hatte.

Nur ein schlichter Satz. Gerade einmal zehn Wörter stellten das Verfassungsgefüge Deutschlands auf den Kopf. Denn sie machten aus der konstitutionellen Monarchie des preußisch-deutschen Kaiserreichs einen parlamentarisch regierten Staat. Zehn Wörter, die im Rückblick betrachtet selbstverständlich klingen - und die doch eine Zäsur waren.

"Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages." Es waren diese zehn Wörter, beinahe versteckt im zweiten Absatz des "Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung" vom 28. Oktober 1918, um die Sozialdemokraten, Zentrum und Liberale teilweise seit Jahrzehnten gekämpft hatten.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde verfassungsmäßig festgelegt, dass der Regierungschef die Unterstützung der Mehrheit im Parlament brauchen sollte. Bis dahin hatten Preußens Ministerpräsidenten und Deutschlands Kanzler stets nur des Vertrauens des jeweiligen Monarchen bedurft. Zwar verfügten der preußische Landtag seit 1848 und der Reichstag ab 1871 über die Budgethoheit. Doch der Einfluss auf die aktuelle Politik war begrenzt.

Freiwillig hatten Kaiser Wilhelm II. und seine konservativen Unterstützer diesen Umsturz der Machtverhältnisse nicht eingeräumt. Es war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der Westfront, die den starken Mann der Obersten Heeresleitung, General Erich Ludendorff, am 29. September 1918 zu einer überraschenden Volte bewegt hatte. Nachdem der Weltkrieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war, forderte Ludendorff einen Waffenstillstand auf Grundlage der "14 Punkte" des US-Präsidenten Woodrow Wilson.

Gleichzeitig stahl sich der General aus seiner Verantwortung: Er forderte, die bisherige Opposition solle eingebunden werden, vor allem SPD und Zentrum. Die Reichstagsfraktionen beider Parteien hatten zwar seit August 1914 die Politik der Reichsleitung überwiegend unterstützt, aber seit 1917 im Interfraktionellen Ausschuss des Parlaments mit der liberalen Fortschrittspartei auf eine Beendigung des Krieges mittels eines Verständigungsfriedens hingearbeitet.

Kanzlerwechsel

Der gewählte US-Präsident würde sicher mit einem parlamentarisch gestützten Reichskanzler eher verhandeln als mit einem Repräsentanten der alten konstitutionellen Monarchie, glaubte Ludendorff. Daher folgte ein Wechsel im Amt des Reichskanzlers: Auf den glücklosen Zentrumskanzler Georg von Hertling, der persönlich die Parlamentarisierung ablehnte, sich aber trotzdem vom Interfraktionellen Ausschuss stützen ließ, folgte nun mit Prinz Max von Baden ein liberaler Hochadliger. Weil der Thronfolger des Großherzogtums im Südwesten öffentlich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eingetreten war, schien er der richtige Kandidat für Verhandlungen mit den USA zu sein.

Max von Baden, verfassungsrechtlich ausschließlich vom Vertrauen des Kaisers abhängig, berief als Zeichen guten Willens auch zwei Sozialdemokraten in sein Kabinett - doch die von der SPD geforderte Parlamentarisierung lehnte er ab. Zwar betonte er, selbstverständlich sei seine Amtsführung vom Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig. Doch in Verfassungsrecht gießen wollte er das nicht.

Die Antwortnote der USA auf sein Angebot war ernüchternd: Außenminister Robert Lansing fragte undiplomatisch direkt, ob der neuen Kanzler "nur für diejenigen Gewalten des Reiches" spreche, "die bisher den Krieg geführt haben". Lansings deutscher Kollege Wilhelm Solf antwortete: "Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages."

Um das zu unterstreichen, brachte das Reichskabinett Gesetzentwürfe auf den Weg, die ein Zugehen auf die USA signalisieren sollten. Doch den entscheidenden Schritt hin zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Parlament, mochte Max von Baden nicht gehen. Vielleicht konnte er es auch nicht. Nicht einmal, als Lansing im nächsten Telegramm klarmachte, dass "ohne Vernichtung jeder willkürlichen Macht" oder mindestens "ihre Herabminderung bis zur tatsächlichen Ohnmacht" Verhandlungen unmöglich seien. "Willkürliche Macht" - das zielte auf das Gottesgnadentum Wilhelms II., der "vernichtet", also abgesetzt, oder "herabgemindert", also wenigstens in politischer Bedeutungslosigkeit verschwinden sollte.

Noch einen Anlauf unternahm Max von Baden, um die formale Parlamentarisierung des Reiches zu verhindern: Am 22. Oktober 1918 bekannte er im Reichstag, kein Kanzler könne im Amt bleiben, "wenn er das Vertrauen der Mehrheit des Hauses verloren" habe. Doch sein Vorschlag zur Verfassungsänderung sah lediglich die Gründung eines Staatsgerichtshofes vor, dem gegenüber sich der Regierungschef verantworten solle.

Inzwischen hatten die führenden Politiker des Interfraktionellen Ausschusses erkannt, welches Druckmittel ihnen Wilson und Lansing in die Hand gegeben hatten. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert forderte in seiner Rede klugerweise nichts, sondern stellte nur fest: "Niemand in der Welt braucht daran zu zweifeln, dass unser Volk das Recht der Selbstbestimmung sich nicht mehr entwinden lassen wird." Und er nahm Max von Badens Erklärung wider besseres Wissen als Bestätigung der faktisch bereits vollzogenen Parlamentarisierung. Sein Kabinett habe seine Existenz von der Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht. Das stimmte formal nicht, denn immer noch galt die Verfassung von 1871.

Doch nun war der Reichskanzler in der Zwickmühle. Er konnte nicht mehr hinter seine Aussagen zurück, und die gültige Auslegung hatte Ebert ihm geschickt aufgedrängt. So musste Max von Baden einen Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses annehmen und als Regierungsvorschlag an den Reichstag weiterleiten, der die entscheidenden zehn Wörter enthielt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages."

Zwischen zweiter und dritter Lesung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für eine Verfassungsänderung wurde diese entscheidende Erweiterung in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und schließlich am 26. Oktober 1918 mit Mehrheit verabschiedet. Als auch der Kaiser und der Bundesrat als Vertretung der Fürsten zustimmten, trat die Änderung der Reichsverfassung am 28. Oktober in Kraft: Fortan war Deutschland nicht mehr eine konstitutionelle, sondern eine parlamentarische Monarchie.

Formal rechtswidrig

Doch ausgerechnet diese entscheidende Veränderung zugunsten der gewählten Volksvertretung war rein formal betrachtet auf verfassungswidrige Weise zustande gekommen. Denn was Max von Baden als Regierungsvorschlag eingebracht hatte, war eine unzulässige Erweiterung des Entwurfes. Die Opposition beklagte dem Wortlaut der Geschäftsordnung des Reichstags gemäß zu Recht, dass eine so weitreichende Veränderung eines neuen Gesetzgebungsverfahren bedurft hätte.

Ihr Sprecher, Kuno Graf Westarp, sah in der Verfassungsänderung "eine verhängnisvolle Wendung, von der wir schwere Gefahren für die Zukunft des deutschen Vaterlandes befürchten". Klar sprach der Fraktionsvorsitzende der Deutschkonservativen Partei aus, was die Verfassungsänderung bedeutete: "Aus dem monarchisch-konstitutionellen Reich ist ein nach den Grundsätzen der westlichen Demokratien parlamentarisch regierter Staat geworden."

So deutlich hätte Friedrich Ebert das wohl nicht formuliert. Doch inhaltlich hatte Westarp Recht: Die Verfassungsänderung entfaltete genau diese Wirkung. In wenig demokratischer Art jedoch stimmte die Reichstagsmehrheit die Einwände der Konservativen nieder. Die Parlamentarisierung des Reichs erfolgte auf formal rechts- und damit verfassungswidrige Weise.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden und die Monarchie retten konnte dieser späte, zu späte Schritt zur Demokratisierung aber nicht mehr: Als von Kiel ausgehend die Revolution sich ihren Weg bahnte, musste er am 9. November 1918 eigenmächtig den Thronverzicht des Kaisers und seines Sohnes verkünden. Außerdem übergab er die Regierungsgeschäfte an Ebert, der seine Übergangsregierung den "Rat der Volksbeauftragten" nannte. Die Novemberrevolution verdrängte die Oktoberreformen in die Bedeutungslosigkeit.

Niemand konnte damals ahnen, dass ausgerechnet Erich Ludendorff und sein Vorgesetzter Paul von Hindenburg, hauptverantwortlich für die ausweglose Lage des Reiches im Herbst 1918, die Verantwortung dafür demokratisch gesinnten Politikern wie Ebert zuschieben könnten. Mit der Dolchstoß-Legende (siehe Seite 8) entlasteten sich die beiden Ex-Generäle vor großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit - und beschädigten damit zugleich die erste deutsche Demokratie, die am 28. Oktober 1918 mit der Verfassungsänderung begonnen hatte.