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Chaos im Sicherheitsapparat

NSU-AUSSCHUSS Blick auf die Thüringer Fahndung

04.02.2013
2023-08-30T12:23:52.7200Z
3 Min

Die brisante Frage steht unausgesprochen hinter jedem Wortwechsel im NSU-Untersuchungsausschuss mit den aus Thüringen angereisten Zeugen: Hätten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen schon Ende der 1990er Jahre entdeckt werden können? Mutmaßlich wäre es dann nicht zu zehn Morden an türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zwischen 2000 und 2007 gekommen, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zugerechnet werden. Zum NSU mutierte das Trio erst im Laufe der Zeit nach dem Januar 1998: Damals verschwand die Gruppe während der Durchsuchung mehrerer Garagen in Jena, bei der sich Bombenmaterial fand.

All das, was vergangene Woche über Pannen, Fehlgriffe, Desorganisation, handwerkliches Versagen, Informationslücken und Blockaden beim Landeskriminalamt (LKA) wie beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) publik wird, lässt die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zuweilen konsterniert dreinblicken.

Das Team des Zielfahnders Sven Wunderlich galt beim LKA als effiziente Elitetruppe. Doch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren einfach nicht zu packen. Der Zeuge erhebt schwere Vorwürfe gegen den Geheimdienst, aber auch gegen die eigene Behörde. So könne er sich "nicht erklären", warum ihm die LKA-Ermittler jene Liste mit Kontaktadressen, die bei der Garagenaktion auftauchte, seinerzeit nicht ausgehändigt hätten. "Mit Erschrecken", besonders wegen des Vermerks zu potenziellen Aufenthaltsorten des Trios, habe er diese Liste erstmals in den Medien gesehen. Egon Luthardt, von 1997 bis 2000 LKA-Chef, räumt bei seinem Auftritt ein, dass "die Zielfahnder oft allein gelassen wurden".

Zu seinem Erstaunen fand Wunderlich die ominöse Adressenliste einige Tage vor seiner Vernehmung im Ausschuss plötzlich in den einst von ihm angelegten Akten. Mehrere Abgeordnete äußern den Verdacht, die Dokumente könnten nachträglich "frisiert" worden sein.

Schlagkräftig scheint das LKA nicht gewesen zu sein. Luthardt war offenbar ein Chef ohne große Autorität. Die kommissarische Leitung übernahm er eher widerwillig, nach seinen Worten wurde aus dem Thüringer Landes-Innenministerium öfter an ihm vorbei in seine Behörde hineinregiert. In Thüringen "waren viele Türen für mich verschlossen", meinte Egon Luthardt vor den Abgeordneten. Beim Landeskriminalamt seien im Jahr 1997 viele Planstellen unbesetzt gewesen, das Personal habe über wenig Berufserfahrung verfügt.

"Wir waren sehr nah dran, aber wir kamen immer zu spät", bilanziert Luthardt die erfolglose Fahndung. Wegen dieses Fiaskos bekommt der Geheimdienst sein Fett weg. Hinweise auf Aufenthaltsorte des Trios hätten existiert, so Luthardt, "aber die waren nicht bei uns". Die Informationen des Landesamtes für Verfassungsschutz seien "gering, dünn, spärlich" gewesen, kritisiert Wunderlich: "Man hat uns ausgetrickst." Empört zeigt sich der Zeuge, dass der Geheimdienst nichts über das Bemühen der Zelle mitgeteilt habe, sich Waffen zu besorgen: "Das hätte für uns tödlich sein können." Die Fahnder hätten angenommen, bei der Gruppe handele es sich nur um junge Leute, "die in Garagen Blödsinn machen". Nun hat aber jüngst der ehemalige LfV-Vize Peter Jörg Nocken gegenüber den Parlamentariern beteuert, man habe das LKA umfassend über eigene Erkenntnisse unterrichtet. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy sagt über die widersprüchlichen Aussagen: "Einer hat gelogen."

Verblüfft ist das Bundestags-Gremium über Wunderlichs Hinweis, das LfV habe die Fahnder gemahnt, bei ihrer Suche im rechtsextremen Milieu "nicht für Unruhe zu sorgen". Beim LKA keimte sogar der Verdacht, der Geheimdienst behindere bewusst die Fahndung, um V-Leute zu schützen. Laut Ex-LKA-Chef Luthardt existierten dafür aber keine Belege. Der Vater von Mundlos erzählte Wunderlich, Zschäpe sei eine "Quelle" des Landesamtes für Verfassungsschutz. Der fand diese These "sehr glaubwürdig", überprüfte den Verdacht indes nicht näher. Der Ausschuss staunt.