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Wenig Frauen, viele Ältere und vor allem Akademiker

SOZIALSTRUKTUREN Das Mitgliedergefüge der etablierten deutschen Parteien unterscheidet sich deutlich vom Querschnitt der Bevölkerung

08.04.2013
2023-08-30T12:23:57.7200Z
4 Min

"Ich will etwas bewegen. Das geht am ehesten in einer Partei", sagt Annie Dreßler. Die 22-jährige Berlinerin ist seit Mitte 2012 SPD-Mitglied und absolviert beim SPD-Bundestagsabgeordneten Ernst Dieter Rossmann eine Ausbildung als Kauffrau. Den Sprüchen Gleichaltriger, Parteien seien von gestern und man könne dort nichts bewegen, widerspricht sie: "Wer sich einbringt und hart arbeitet, kann durchaus einiges bewegen." Das brauche aber Kraft wie Zeit und man dürfe nicht nur herummeckern. Annie Dreßler ist eine seltene Spezies in Deutschlands Parteien: jung und weiblich. Laut einer Studie von Professor Oskar Niedermayer von der FU Berlin (siehe Text oben) sind Frauen und jüngere Menschen in den Parteien deutlich unterrepräsentiert.

Viele Frauen bei den Grünen

Die Analyse der Sozialstrukturen in den Parteien ist ein wichtiges Feld der Parteienforschung. Welche soziologischen Strukturen sind typisch für eine Gruppierung, was sind Gemeinsamkeiten oder Unterschiede ihrer Mitglieder im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, was lässt sich daraus über Chancen und Zukunftsaussichten einer Partei herleiten? Zurück zu den Frauen: An ihnen mangelt es in den deutschen Parteien, obwohl sie im Volk etwas mehr als 50 Prozent ausmachen. Allerdings mit deutlichen Unterschieden in den Parteien, wie Studien der FU Berlin zeigen. Auch wenn der Frauenanteil seit Jahrzehnten in der Union und SPD langsam ansteigt, waren Ende 2011 nur 25,6 Prozent der CDU-Mitglieder weiblich, 31,3 Prozent in der SPD und 19,3 Prozent in der CSU. Am meisten weibliche Angehörige hatten die Linkspartei und die Grünen mit je 37,3 Prozent. In der FDP waren es 23,0 Prozent, nur bei den Liberalen ist der Frauenanteil über einen längeren Zeitraum gesehen sinkend bzw. stagnierend. In der Linkspartei ist der Frauenanteil im Vergleich zur PDS seit der Fusion mit der stärker männerdominierten WASG 2007 gesunken: Waren 2006 noch 44,4 Prozent der PDS-Mitglieder weiblich, sank ihr Anteil in der fusionierten Partei Ende 2011 auf 37,3 Prozent.

Allen Parteien mangelt es an Nachwuchs, sie überaltern - laut Deutschem Zentrum für Altersfragen schneller als das Volk. Das Durchschnittsalter der Mitgliederschaft bewegt sich zwischen 47 Jahren bei den Grünen und 60 bei den Linken. Die großen Parteien CDU und SPD haben - auf der Basis der Zahlen von 2010 von Oskar Niedermayer - bei den über 60-Jährigen einen Proportionalitätsquotienten von 1,68 bzw. 1,64. Das heißt, im Vergleich zur Altersstruktur der Gesamtbevölkerung sind Senioren mehr als eineinhalb Mal so stark in CDU und SPD vertreten. Bei den Linken beträgt dieser Koeffizient wie bei der CDU 1,68. 49 Prozent der Linken-Mitglieder waren 2011 über 60. Bei CDU (49,1) oder SPD (49,0) sieht es ähnlich aus.

Am "jüngsten" sind die Grünen mit dem Proportionalitätskoeffizienten von 0,45 bei den über 60-Jährigen. Spiegelbildlich sind 16,4 Prozent ihrer Mitglieder bis 30 Jahre alt - der Spitzenwert unter den Bundestagsparteien. Die Überalterung der Parteien wird beim Rückblick deutlich: So betrug 1991 der Koeffizient der über 60-Jährigen bei der CDU 1,24 und bei der SPD 1,04. Bei der Linkspartei ist die Überalterung, teils durch Wegsterben alter Mitglieder wie durch die Zufuhr jüngerer Parteigenossen seit der Fusion mit der WASG nicht mehr so dramatisch wie früher: 1999 betrug der Koeffizient der über 60-Jährigen bei der PDS noch 2,65.

Wie sehr Parteien heute an Attraktivität für Jüngere verloren haben, zeigen auch die Mitgliederzahlen ihrer Jugendorganisationen: Hatten die Jusos 1973 noch 300.000 Mitglieder, sind es heute keine 70.000 mehr. Bei den bis zu 25-Jährigen liegen die Proportionalitatskoeffizienten bei allen Parteien unter 1, am höchsten bei den Grünen mit 0,87.

Unterrepräsentierte Arbeiter

Ein Faktor für Wählerverhalten ist das Abschmelzen traditioneller Milieus. So waren Arbeiter in der SPD in der Anfangsphase der Bundesrepublik noch deutlich überrepräsentiert, seit den siebziger Jahren sind sie unterrepräsentiert. Arbeiter machen heute bei den Erwerbstätigen 23 Prozent aus, in der SPD-Mitgliedschaft sind sie nach Forschungen Niedermayers noch mit 16 Prozent vertreten, am meisten bei den Linken mit 19 Prozent, bei der CDU aber nur mit 7 und in der FDP mit 3 Prozent.

Selbstständige waren in der Frühphase der Bundesrepublik vor allem in der CDU-Mitgliedschaft deutlich überrepräsentiert und ihr Einfluss ist später durch das Hereinströmen "neuer Mittelschichten" relativiert worden. Gleichwohl sind Selbstständige auch heute noch über dem Bevölkerungsanteil in der CDU, CSU und FDP vertreten.

Näher aneinander gerückt sind die Parteien auch bei Gewerkschaftsmitgliedern. Am meisten sind diese mit 42 Prozent aller SPD-Mitglieder vertreten - immerhin drei Mal so viel wie in der Bevölkerung - und in der Linkspartei mit 32 Prozent. Unterrepräsentiert sind Gewerkschafter nur in der FDP.

Die Union bleibt trotz weniger Kirchenmitgliedern wie in den fünfziger Jahren die große Kraft des katholischen Milieus. 49 Prozent der Mitglieder in der CDU und 77,1 Prozent in der CSU sind katholisch.

Parteien ziehen vor allem Bürger mit höherer Bildung an. Deutlich mehr als die Hälfte der Parteimitglieder hat Abitur, in der Gesamtbevölkerung nur ein Viertel. Zwei Fünftel der Parteimitglieder hat ein Hochschulstudium absolviert. Am meisten formal höchst Gebildete haben die Grünen, wo laut einer Studie des Düsseldorfer Parteienforschers Professor Ulrich von Alemann 67 Prozent der Mitglieder ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben, gefolgt von der FDP mit 54 Prozent. Am unteren Ende der Skala liegt die CSU mit einem Drittel Hochgebildeter.

Arbeitslose sind in Parteien deutlich unter-, Rentner überrepräsentiert. Ebenso der öffentliche Dienst, der fünfmal so stark im Vergleich zur Bevölkerung in den Parteien vertreten ist. Die meisten Staatsdiener tummeln sich mit 45 Prozent der Mitglieder bei den Grünen, die wenigsten (27) in der FDP.