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Schicksalsfrage

BILDUNG Die Bundesregierung will eine Offensive in der Lehrerausbildung starten - 500 Millionen Euro ist ihr das wert

29.04.2013
2023-08-30T12:23:58.7200Z
4 Min

Lange sind die Zeiten vorbei, in denen der Lehrer eine Respektsperson war und sich, ähnlich wie der Pfarrer, größten Ansehens in der Gesellschaft erfreute. Der Beruf des Lehrers ist in Verruf geraten. Zu wenig Motivation, zu viel Burn-Out, keine Kompetenz. Doch stimmt dieses öffentliche Bild? Einig ist sich die Politik zumindest darin, dass etwas getan werden muss und die Lehrerausbildung reformiert werden soll. Lehrer sollen viel mehr als bislang auf die Veränderungen in der Gesellschaft vorbereitet werden und das auch schon während des Studium und des Referendariats. Dies war der Tenor in der Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag. Beraten wurden je ein Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP (17/9937), den der Bundestag annahm, sowie der SPD-Fraktion (17/11322) und der Linksfraktion (17/10100), die jedoch abgelehnt wurden.

Helge Braun (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium, unterstrich die immense gesellschaftliche Relevanz der Pädagogen. Die Bildungsforschung der letzten Jahre habe gezeigt, dass es viele Faktoren gebe, die auf Bildung einen Einfluss hätten. "Aber den größten Einfluss auf die Qualität der Bildung an sich hat die Qualifikation der Lehrer." Braun zitierte den Philosophen Karl Jaspers: "Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch geprägt, wie sie ihre Lehrer achtet."

Mit der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung", für die der Bund in den nächsten zehn Jahren 500 Millionen Euro ausgeben will, möchte der Bund die größten Missstände beseitigen. "Die Regierung hat immer gesagt, wir betrachten Bildung als eine gesamtstaatliche Aufgabe und wir wollen einen relevanten Beitrag leisten, damit die Bildungsrepublik Deutschland blüht", sagte Braun. Das Angebot des Bundes sei daran geknüpft gewesen, dass es in Zukunft eine wechselseitige Anerkennung der Lehrer in den einzelnen Bundesländern gibt. Zudem müsse an der Vergleichbarkeit der Curricula und an gemeinsamen Bildungsstandards gearbeitet werden.

Lehrermangel

Durch die Offensive sollen zur Verbesserung der Qualität und zur Modernisierung der Lehrerausbildung innovative Konzepte an Hochschulen als Best-Practice-Modelle mit Vorbildcharakter gefördert werden, die dann in den einzelnen Ländern umgesetzt werden sollen. Grundsätzlich soll der Lehramtsstudiengang einen höheren Stellenwert bekommen und vor allem für junge Menschen wieder attraktiv werden. Denn nicht nur in Sachen Qualität besteht Nachholbedarf. In Zukunft droht ein eklatanter Lehremangel an Deutschlands Schulen. Schon jetzt sind knapp die Hälfte aller Lehrer über 50 Jahre alt. Bis zum Jahr 2020 werden rund 460.000 Lehrer in den Ruhestand gehen, davon allein 300.000 bis zum Jahr 2015. Im Gegenzug werden momentan aber jährlich nur 26.000 Lehrer neu ausgebildet.

Inklusion von Behinderten

Der SPD-Parlamentarier Oliver Kaczmarek bezeichnete die Neuausrichtung der Lehrerausbildung als eine der wichtigsten "Schlüsselstellen" im Bildungswesen. Der Problemdruck sei in den Schulen spürbar. Gerade das Thema Inklusion, die wegen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen seit 2009 auf der Tagesordnung stehe, sei eine Aufgabe, die jetzt in den Schulen angegangen werde. Dafür müssten die Länder hohe Summen aufwenden. "Die zusätzlichen Mittel des Bundes werden helfen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und den Transfer zu beschleunigen", lobte Kaczmarek: "Nur gemeinsam können Bund und Länder die Neuausrichtung der Lehrerausbildung profilieren."

Sylvia Canel (FDP) sagte, gute Bildung sei die absolute Grundlage, um den Fortschritt voranzutreiben. Zum Fortschritt gehöre neben besserer Gesundheit, einem längeren Leben und Wohlstand vor allem Aufklärung. Nur wer die Fremdeinflüsse auf sich erkenne, habe die Freiheit selbst zu entscheiden, welche Einflüsse er zulasse. "Die Schulen sind die Wiege der Demokratie", sagte Canel. "Das sollte uns als Politiker im Herzen berühren." Das Engagement in den Klassenzimmern der Republik verdiene höchste gesellschaftliche Anerkennung.

Multiprofessionalität

Genauso wie Canel plädierte auch Rosemarie Hein (Die Linke) für Multiprofessionalität an der Schule. Schulen bräuchten neben sehr gut ausgebildetem Personal eine bessere Vernetzung zwischen den Schulfächern, eine bessere Vernetzung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, der Gesundheitsprävention und eine Quartiersentwicklung vor Ort. Hein bemängelte, dass trotz der Vereinbarungen zwischen den Bundesländern die Lehrerausbildung in Teilen immer weiter auseinandergehe.

Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) plädierte für eine zügige Weiterentwicklung der Lehrerausbildung: "Die Bund-Länder-Initiative muss ein Erfolg werden." In der öffentlichen Debatte über Lehramtsabsolventen spiele die Mobilität bislang die herausragende Rolle. Das sei zwar ein wichtiges Anliegen, dürfe aber nicht die inhaltliche, konzeptionelle und praxisnahe Modernisierung des Lehramtsstudiums in den Hintergrund treten lassen. "Die wachsenden beruflichen Anforderungen an Lehrkräfte müssen bei einer Reform der Lehrerausbildung maßgeblich sein." Zukünftig müsse es eine Lehr- und Lernkultur geben, die Integration und Inklusion verbessere. "Herkunft darf nicht zum Hindernis werden." Gehring bemängelte, das die Mittel für die Qualitätsoffensive noch nicht im Haushaltsentwurf 2014 verankert seien. Es werde über Geld geredet, das Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) noch gar nicht habe.

Marcus Weinberg (CDU) zitierte eine McKinsey-Studie, wonach nicht die finanziellen Mittel und auch nicht die Ganztagsbetreuung von Kindern ausschlaggebend für den Lernerfolg von Schülern seien. "Entscheidend bleiben gute Lehrer", sagte Weinberg. Der Parlamentarier schilderte ein Experiment in Dallas im US-Bundesstaat Texas. Dort hätten Top-Lehrer durchschnittliche Schüler unterrichtet. Diese schafften es schließlich unter die Top fünf Prozent ihres Jahrganges. In einem zweiten Experiment hätten dann weniger gut ausgebildete Lehrer durchschnittliche Schüler unterrichtet. Diese hätten im Vergleich relativ schlecht abgeschnitten.