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Enthaltung im Nacken

AUSWÄRTIGES Wachsendes Gewicht in Europa und die Suche nach einer neuen außenpolitischen Rolle

15.07.2013
2023-08-30T12:24:02.7200Z
4 Min

Diplomatisches Parkett ist glatt - das weiß niemand besser als ein Außenminister. Für manchen Beobachter schien es so, als seien Guido Westerwelle (FDP) und die Bundesregierung am 17. März 2011 ins Schlingern geraten: In New York hatten sich an jenem Tag die Vertreter des UN-Sicherheitsrates versammelt, darunter Deutschland als damals nichtständiges Mitglied, um über ein Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg zu beraten. Die Bundesregierung entschied sich für eine Enthaltung, betonte aber gleichzeitig, die Ziele der Resolution zu unterstützen. Berlin stimmte somit nicht mit seinen traditionellen Verbündeten in EU und Nato für einen Einsatz in Libyen und löste damit Irritationen bei manchem Bündnispartner und Fragen nach der außenpolitischen Berechenbarkeit Deutschlands aus.

Lernprozess

Ob "Arabischer Frühling", Truppenabzug aus Afghanistan, die Abschaffung der Wehrpflicht und der Umbau der Bundeswehr oder das wachsende Gewicht Deutschlands im Europa in Zeiten der Schuldenkrise: Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik war in den vergangenen vier Jahren mit einer Vielzahl von Herausforderungen und anstehenden Weichenstellungen konfrontiert. Vieles deutet darauf hin, dass Deutschland seine neue Rolle auf internationalem Parkett noch sucht und das zeigen auch eine ganze Reihe von außenpolitischen Grundsatzdebatten im Bundestag. So unterstrich zum Beispiel der FDP-Außenexperte Rainer Stinner im Februar 2012 in einer Debatte zum Umgang mit aufstrebenden "Gestaltungsmächten": Die multipolare Welt entwickele sich nicht nur nach europäischen Maßstäben und Werten. Deutschland müsse lernen, auch mit Staaten umzugehen, "die anders ticken als wir". Und Philipp Mißfelder (CDU) betonte, dass sich das "Gestaltungsmächte-Konzept" der Bundesregierung den globalen Herausforderungen sehr konkret stelle: Die Welt warte nicht darauf, "dass wir sie belehren und ihr erklären, was wir für den besten Weg halten; vielmehr müssen wir aus unserer wirtschaftlichen Stärke heraus unsere politische Konzeption so glaubwürdig vertreten, dass sie als das attraktivste Lebensmodell der Welt erscheint". Gernot Erler (SPD) hingegen kritisierte, dass der Begriff der "neuen Kraftzentren" eines der Hauptargumente in der Kontroverse nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates zum Lufteinsatz in Libyen gewesen sei. Der Begriff sei nichts anderes als Westerwelles "großes Aber zu unseren historisch gewachsenen, nicht aufgebbaren Partnerschaften".

Streit um "Leo"

Immer wieder beschäftigte die Parlamentarier zudem die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, so etwa in einer Aktuellen Stunde im Juli 2011 zu dem von einigen Medien berichteten geplanten Export von 200 "Leopard"-Panzern nach Saudi-Arabien. Während sich die Bundesregierung mit Verweis auf die geheimen Beratungen im Bundessicherheitsrat in Schweigen hüllte und auf den kommenden Rüstungsexportbericht verwies, monierte die Opposition einen Verstoß gegen die Richtlinien für solche Ausfuhrgenehmigungen. Das Argument, Saudi-Arabien sei Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, sei fadenscheinig, solange einflussreiche saudische Familien der Al-Qaida Geld überweisen würden, kritisierte etwa Linksfraktionschef Gregor Gysi im Juli 2011. "Wie glaubwürdig ist ein Krieg gegen Terrorismus, wenn man Panzer gleichzeitig an diejenigen liefert, die den Terrorismus bezahlen?", fragte Gysi und forderte die Parlamentszuständigkeit: "Wenn es schon einen Waffenexport gibt, dann soll das Parlament das wissen und darüber entscheiden."

Insbesondere für die Opposition markiert die Rüstungspolitik einen außenpolitischen Kurswechsel. Sie verweist dabei auf eine Grundsatzrede der Bundeskanzlerin im Oktober 2012: "Es liegt in unserem Interesse, wenn wir Partner dazu befähigen, sich für die Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden in ihren Regionen wirksam einzusetzen", sagte Angela Merkel (CDU) bei einer Bundeswehrtagung in Strausberg. Diese häufig als "Merkel-Doktrin" bezeichnete Linie bedeutet: Statt die Bundeswehr in weitere Auslandseinsätze zu entsenden, um dort für Frieden und Stabilität zu sorgen, sollen dies ausgewählte "strategische Partner" in den Regionen selbst übernehmen. Dafür müssen sie jedoch entsprechend aufgerüstet, werden.

Der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel erkannte darin in einer Debatte im Dezember 2012 nicht weniger als "einen Paradigmenwechsel nicht nur in der Rüstungsexportpolitik, sondern möglicherweise in der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik". Und Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) fügte sarkastisch hinzu: "Schlau daran ist, dass Rüstungsexporte hinter verschlossener Tür genehmigt werden, während Militäreinsätze dummerweise immer im Parlament diskutiert werden müssen."

Abzugsperspektive

Eine der wichtigsten Weichenstellungen dieser Wahlperiode wird Abgeordnete des künftigen Bundestages und die nächste Bundesregierung weiterhin beschäftigen: Der Truppenabzug aus Afghanistan und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Sicherheitskräfte ist beschlossene Sache. Das Land wird damit aber nicht sich selbst überlassen. Zuletzt hatte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) die zivile Hilfe aus Deutschland für Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan auf jährlich bis zu 430 Millionen Euro beziffert, davon 250 Millionen Euro aus dem Etat seines Hauses und 180 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt. Die Bundesregierung habe den politischen Willen bekundet, diese Hilfe auf zehn Jahre "auf ungefähr gleichem Niveau" bereitzustellen, sie aber gleichzeitig auch an sichtbare Reformfortschritte in Afghanistan geknüpft.