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Schritt für Schritt wird alles reguliert

FInanzen Gegen Fehlentwicklungen an den Kapitalmärkten wird vorgegangen

15.07.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
6 Min

Eindringlich tönten die Worte durch die hohe Halle des Paul-Löbe-Hauses, den überdachten Zwischenraum zwischen zwei großen Bürotrakten mit den Ausschusssälen des Bundestages: "In dieser Entwicklung, in der Märkte der Politik den Takt vorgeben, droht die parlamentarische Demokratie unter die Räder zu kommen. Denn Parlamente brauchen Zeit." Martin Schulz (SPD) sagte das in der "Europa-Rede" am 9. November 2012, zu der die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Stiftung Zukunft Berlin und die Robert-Bosch-Stiftung den Präsidenten des Europaparlaments eingeladen hatten. In immer schnellerer Folge tage der EU-Rat, klagte Schulz, treffe Entscheidungen zu Detailfragen und "höhlt die Demokratie aus".

Es war nicht nur die Sorge vor wirtschaftlichem Niedergang, welche Parlamentarier in der Folge der Finanzkrise umtrieb, sondern auch die Sorge um die politische Stabilität, verstärkt durch den Zuwachs nationalistischer Kräfte in vielen EU-Mitgliedsländern. All das bewirkte im Bundestag eine große Ernsthaftigkeit bei der Bewältigung der Krise. Immer wieder haben Oppositionspolitiker Bedenken zurückgestellt, um Beschlüssen zu einer breiten Mehrheit zu verhelfen. Gleichzeitig haben die Fraktionen in bisher nicht dagewesener Weise "Abweichlern" in den eigenen Reihen Gelegenheit gegeben, ihre Ansichten vor dem Plenum vorzutragen.

In dieser Legislaturperiode galt es, nachdem der letzte Bundestag mit den unmittelbaren Folgen der Lehman-Pleite von 2008 zu kämpfen hatte, in zäher Kleinarbeit die Ursachen für Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten zu beseitigen. 30 Gesetze hat der Bundestag dazu auf den Weg gebracht. Meist waren es europäische Beschlüsse, die in nationale Gesetzgebung umgesetzt wurden, oder die Bundesregierung wurde zu bestimmten Entscheidungen im EU-Rat ermächtigt. Manchmal preschte der deutsche Gesetzgeber auch ohne internationale Beschlüsse vor. Dazu lieferten immer neue milliardenschwere Rettungspakete für strauchelnde Euro-Länder die dramatische Begleitmusik.

"Zu lange hat man geglaubt, dass sich die Märkte selbst regulieren", sagte Bundestags-Vizepräsident Eduard Oswald (CSU) am 13. Juni 2013 bei der Debatte über das letzte dieser Gesetze, welches der Regierung die Zustimmung zu einer europäischen Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank erlaubte. "Dass dieser Weg nicht der richtige war, wissen wir jetzt. Und wir haben die richtigen Lehren gezogen." Und noch etwas hat der Bundestag laut Oswald in dieser Legislaturperiode gezeigt, nämlich "dass wir auf Europa setzen, statt die Bürgerinnen und Bürger mit Euro-Austrittsfantasien zu beunruhigen".

Gesetze in schneller Folge

Schon in den ersten Monaten dieser Legislaturperiode fiel eine Reihe wichtiger Entscheidungen. So wurde eine EU-Verordnung zur schärferen Überwachung von Ratingagenturen umgesetzt. Ratingagenturen hatten im Vorfeld der Lehman-Pleite Wertpapiere, in denen faule Kredite von Hausbesitzern versteckt waren, falsch bewertet. Eine EU-Richtlinie, die erhöhte Anforderungen an solche Verbriefungen stellt, setzte der Bundestag in verschärfter Form in nationales Recht um. Als weitere Krisenursache gelten Erfolgsboni, die zu riskanten Entscheidungen verleiten. Der Bundestag beschloss ein Gesetz, das Bonuszahlungen für Bank- und Versicherungsmanager begrenzt. Mit dem Verbot ungedeckter Leerverkäufe wurde gegen hochspekulative Finanztransaktionen, welche die Stabilität der Märkte bedrohen, vorgegangen. Auf internationaler Ebene war darüber zunächst keine Einigung möglich gewesen.

Im zweiten Halbjahr 2010 beschloss der Bundestag dann ein aus Sicht der Koalitionsfraktionen zentrales Vorhaben: das Banken-Restrukturierungsgesetz. Es regelt, wie Kreditinstitute, die in eine Schieflage geraten sind, entweder saniert oder abgewickelt werden. Damit für Rettungsmaßnahmen künftig nicht der Steuerzahler aufkommen muss, wurde eine Bankenabgabe eingeführt, die in einen Restrukturierungsfonds fließt. Der Opposition gingen die Vorkehrungen allerdings nicht weit genug. Von einer "Mogelpackung" sprach der SPD-Abgeordnete Manfred Zöllmer. "Am Ende wird doch der Steuerzahler wieder zur Kasse gebeten." Für die Grünen forderte Gerhard Schick eine Beteiligung der Gläubiger bei der Sanierung oder Abwicklung von Pleitebanken. Ein solches "Bail-In" ist inzwischen auf dem EU-Gipfel Ende Juni 2013 im Grundsatz vereinbart worden, wird aber kaum vor 2015 eingeführt werden.

2011 ging es weiter mit einem Gesetz zum Anlegerschutz. Es führte unter anderem ein bundesweites Register für Anlageberater sowie Produktinformationsblätter ("Beipackzettel") ein. Zudem verschärfte das Gesetz die Anforderungen an Offene Immobilienfonds. Außerdem nahm der Bundestag den "grauen Kapitalmarkt" ins Visier. Bankunabhängige Anlagenvermittler müssen nun unter anderem einen Sachkundenachweis sowie eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen und Provisionen offen legen.

Angesichts der Tatsache, dass die Steuerzahler mit erheblichen Summen für Fehler der Finanzwirtschaft aufkommen mussten, gerieten auch Steuerhinterzieher verstärkt ins Visier. Die Koalition verschärfte die Voraussetzungen für eine strafbefreiende Selbstanzeige. Dieser Beschluss erhielt eine besondere Bedeutung Anfang 2013, nachdem das Steuerabkommen mit der Schweiz am Bundesrat gescheitert war und sich vermehrt Steuerhinterzieher selbst anzeigten, darunter der Fußballmanager Dieter Hoeneß.

Der Kampf gegen Steuerhinterziehung wird den Bundestag in der kommenden Legislaturperiode verstärkt beschäftigen. Zum einen machen Bemühungen um einen automatischen Informationsaustausch zwischen den europäischen Staaten über Zins- und Wertpapiereinkünfte Fortschritte, nachdem zuletzt Luxemburg und Österreich eingelenkt haben. Zum anderen kommt der Kampf gegen "kreative Steuergestaltung" internationaler Konzerne voran, die ganz legal unterschiedliche Steuergesetze einzelner Länder ausnutzen. Die Industrieländerorganisation OECD hat Ende Juni einen Aktionsplan vorgelegt, wie erreicht werden kann, dass Steuern künftig da gezahlt werden, wo Wertschöpfung stattfindet.

2012, das Jahr, in dem europäische Fiskalpakt beschlossen und vom Bundesverfassungsgericht unter Auflagen gebilligt wurde, brachte auch auf dem Feld der Finanzmarktregulierung weitere wichtige Entscheidungen. Das erwähnte nationale Verbot ungedeckter Leerverkäufe wurde durch einheitliche europäische Bestimmungen ersetzt. Im Vorgriff auf mögliche EU-Regelungen wurde mit dem Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht ein Frühwarnsystem geschaffen: Die Deutsche Bundesbank erhielt den Auftrag, "Gefahren für die Finanzstabilität zu identifizieren" und "Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu erarbeiten". Außerdem wurden gemäß einer EU-Verordnung Derivate einer strengeren Regulierung unterworfen. Diese Finanzprodukte waren während der Lehman-Krise besonders in Verruf geraten.

Hochfrequenzhandel eingeschränkt

Anfang dieses Jahres wurde der als risikoreich geltende Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren eingeschränkt. Eine Vielzahl von Maßnahmen soll extreme, irrationale Kursschwankungen ohne jeden Bezug zu realwirtschaftlichen Entwicklungen verhindern. Eigentlich hatte die Bundesregierung schon früh auf die Finanztransaktionssteuer als Mittel gegen exzessiven Hochfrequenzhandel gesetzt. Doch die Widerstände unter den G20-Staaten wie auch innerhalb der EU waren groß. Zwar konnte die Bundesregierung inzwischen genügend Unterstützer in der EU finden, um mit einer "verstärkten Zusammenarbeit" gemäß dem Lissabon-Vertrag vorzupreschen, doch eine Einführung der Finanztransaktionssteuer gelang in dieser Legislaturperiode nicht mehr.

Dafür wurde der G20-Beschluss von 2009, wonach kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt unbeaufsichtigt bleiben dürfe, umgesetzt. Gemäß einer EU-Richtlinie werden unregulierte Finanzprodukte aus dem "grauen Kapitalmarkt" geholt und, ebenso wie ihre Verwalter, der Finanzaufsicht unterstellt. Gleichzeitig wurden Hedgefonds für Privatanleger verboten, um diese vor besonders risikoreichen Anlagen zu schützen.

Kurz vor Ende der Legislaturperiode beschloss der Bundestag dann noch mehrere Gesetze zum Schutz vor Bankenpleiten. Eines erhöht gemäß internationalen Abkommen die Eigenkapital-Vorschriften für Banken. Ein weiteres führt, im Vorgriff auf eine angestrebte europäische Regelung, für systemrelevante Geldhäuser das Trennbankensystem ein - sie müssen den spekulativen Handel in rechtlich selbständige Einheiten auslagern - und verpflichtet sie zu Vorkehrungen für ihre eigene Abwicklung. Und schließlich billigte der Bundestag wie schon erwähnt die europäische Bankenaufsicht.

Die Debatte über sie wurde auch genutzt, um eine Bilanz der bisherigen Finanzmarktregulierung zu ziehen. "Wir kommen Schritt für Schritt voran", lobte Volker Wissing (FDP). "Wir werden die europäischen Finanzmärkte damit stabiler machen und einen Schutzwall für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bauen." Die Opposition dagegen kritisierte, die Koalition habe notwendige Eingriffe oft hinausgezögert. "Es ist ein Armutszeugnis der Politik und sicher auch einer der Gründe, warum die Politikverdrossenheit zunimmt", befand Barbara Höll (Die Linke), "dass Sie viel zu spät gehandelt haben und handeln." In einem sind sich aber alle Fraktionen einig: Dass die Finanzmarktregulierung noch längst nicht abgeschlossen ist.