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Stochern im Dickicht

Enquete Schwierige Suche nach neuem Wohlfahrtsmodell

15.07.2013
2023-08-30T12:24:03.7200Z
2 Min

Der Schreck saß noch in den Knochen, als Ende 2010 der Bundestag die Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" einsetzte. Im Golf von Mexiko war eine Ölplattform explodiert, Millionen Fische und Vögel starben, Tourismus und Fischerei kamen zum Erliegen. Trotz der Milliardenschäden puschte dieses Desaster das US-Wachstum: Die Investitionen zur Bekämpfung der Katastrophe wurden als Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) registriert. Gigantische Schäden mutierten zum Wohlstandsgewinn.

Nicht nur dieses Paradox lässt die Gleichsetzung von Lebensqualität, auch Wohlfahrt, Wohlergehen oder Wohlstand genannt, und Wachstum fragwürdig erscheinen: Banken- und Finanzkrisen vernichten riesige Vermögenswerte, der Klimawandel schreitet voran, soziale Ungerechtigkeiten grassieren, Bildung erreicht nicht alle - aber für all dies interessiert sich das BIP nicht.

Konzept gesucht

17 Abgeordnete und 17 Wissenschaftler sollten die Fixierung auf Wachstum als einzigem Maßstab für Wohlfahrt durchbrechen und ein differenzierteres Konzept zur Messung von Wohlergehen als Wegweiser zum nachhaltigen Wirtschaften entwerfen. Ein Beispiel: Ist ein Sozialstaat ohne Wachstum machbar? Oder: Lässt sich die Erhöhung der Wirtschaftsleistung vom Ressourcenverbrauch entkoppeln?

Eine anspruchsvolle Aufgabe. Der erhoffte Glanz eines politischen Highlights der Legislaturperiode verblasste indes etwas. Unions-Obmann Georg Nüßlein (CSU) wertet es als "größten Erfolg", dass man Forderungen nach einer "Veränderung der Gesellschaftsstruktur" abgewehrt und die soziale Marktwirtschaft gegen "fundamentale Wachstumskritik" verteidigt habe. Auch die FDP lehnt eine politische Begrenzung des Wachstums ab, das erst die Mittel schaffe, um Nachhaltigkeit zu fördern, Finanz- und Umweltkrisen zu meistern oder Beschäftigung, Sozialleistungen und Schuldenabbau zu ermöglichen.

SPD, Linke und Grüne kritisieren, die Koalition erkenne den Ernst der Lage nicht, die herkömmliche Wachstumspolitik sei doch mitverantwortlich für die Krisen. SPD-Obfrau Edelgard Bulmahn spricht von einer "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft mit einer aktiven Rolle des Staats".

Zu einigen vermochte sich die Kommission nur auf wenige konkrete Vorstöße: etwa auf Vorschläge für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und für eine ökologische Umorientierung der Chemiebranche als Muster für die gesamte Wirtschaft. Bei der Frage nach einer zukunftsfähigen Arbeitswelt paralysierten sich freilich beide Lager. Zwar teilt man die Überzeugung, dass der Ressourcenverbrauch spürbar sinken müsse. Aber wie? Gemeinsame Konzepte sind nicht zu finden. "Manchmal", meint Bulmahn, "sind wir unter unseren Möglichkeiten geblieben."

Als Erfolg werten Union, SPD und FDP das von ihnen entwickelte "W3-Indikatorenmodell", das die Lebensqualität nicht mehr nur mit Hilfe des BIP, sondern über die drei Größen "Ökologie", "materieller Wohlstand" sowie "Soziales und Teilhabe" berechnen soll. Diese drei Kriterien werden mit insgesamt 20 "Leitindikatoren", "Warnlampen" und "Hinweislampen" wie etwa Einkommensverteilung, BIP, Beschäftigungsquote, Ausstoß von Treibhausgasen oder Artenvielfalt gemessen. Die Politik soll eingreifen, wenn "W3" Alarm schlägt, weil etwa das Beschäftigungsniveau zurückgeht oder sich der Zustand der Umwelt verschlechtert.