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Sieg der Protestparteien

TSCHECHIEN Etablierte Kräfte mussten erhebliche Verluste hinnehmen. Führungsstreit bei Sozialdemokraten

04.11.2013
2023-08-30T12:24:06.7200Z
3 Min

Nach der vorgezogenen Neuwahl in Tschechien kommt es zu einer erheblichen Verschiebung des Machtgefüges im Land. Zugleich ist in der sozialdemokratischen Partei CSSD, die als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen ist, ein offener Machtkampf ausgebrochen, von dessen Ausgang wohl die Besetzung des Amtes des Regierungschefs abhängt. Eine tragende Rolle kommt dabei dem Staatspräsidenten Miloš Zeman zu: Er will offenbar hinter dem Rücken des Partechefs eine sozialdemokratische Führungsriege etablieren, die ihm treu ergeben ist. In Tschechien mehrt sich allerdings der Widerstand gegen das eigenmächtige Gebaren des Präsidenten. Als wahrscheinlich gilt derzeit eine Dreierkoalition aus Sozialdemokraten, der neu ins Parlament eingezogenen Bewegung ANO und der kleinen christdemokratischen Partei.

Zu den Siegern der Wahl zählen vor allem Protestparteien und die unreformierten Kommunisten. Letztere erzielten mit 14,9 Prozent ihr bestes Ergebnis seit mehr als einem Jahrzehnt. Zur entscheidenden Kraft im Abgeordnetenhaus wurde die Partei des Milliardärs Andrej Babiš, die "Allianz der unzufriedenen Bürger" (ANO). Sie erzielte aus dem Stegreif 18,7 Prozent und landete damit als zweitgrößte Fraktion nur knapp hinter der CSSD (20,5 Prozent). ANO besteht mehrheitlich aus politisch unerfahrenen Seiteneinsteigern und verfügt lediglich über ein schnell zusammengestelltes, rudimentäres Programm. Auch die populistische Partei Usvit ("Tagesanbruch") übersprang mit 6,9 Prozent deutlich die Fünf-Prozent-Hürde. Insgesamt sind sieben Parteien im Abgeordnetenhaus vertreten. Die einstigen Volksparteien haben in der Wählergunst deutlich eingebüßt. Die bürgerlich-demokratische Partei ODS, deren Premierminister Petr Necas nach einem Abhörskandal und Korruptionsvorwürfen im Juni zurückgetreten ist, erreichte lediglich 7,7 Prozent und wurde selbst von ihrem einstigen Juniorpartner, der Partei Top09 um den früheren Außenminister Karel Schwarzenberg, übertroffen (12,0 Prozent). Ein erneutes Mitte-Rechts-Bündnis, das aus mindestens vier Parteien bestehen müsste, ist damit unwahrscheinlich geworden.

"Die bisherigen Regierungsparteien haben versagt und die Opposition, die sie ersetzen sollte, auf gewisse Weise ebenso", bilanzierte Präsident Miloš Zeman das Wahlergebnis in einer ersten Reaktion. Mit dem Wort von der Opposition zielte er vor allem auf die Sozialdemokraten: Die CSSD hat ein historisch schlechtes Wahlergebnis eingefahren, obwohl sie noch wenige Wochen zuvor als klare Favoritin galt. Für das angepeilte Links-Bündnis gibt es somit keine ausreichende Mehrheit; ursprünglich wollte die CSSD unter kommunistischer Duldung regieren.

In der Partei ist indes ein offener Streit um die Führung ausgebrochen: Der stellvertretende Vorsitzende Michal Hašek hat den CSSD-Chef Bohuslav Sobotka zum Rücktritt aufgefordert und eigenmächtig ein Verhandlungsteam für die Koalitionsgespräche zusammengestellt, in dem Sobotka nicht vertreten ist. Dieser spricht von einem "Putsch" und kündigte an, sein Amt weiter auszuüben. Unterstützung bekam er auf einer spontanen Demonstration vor der Prager Burg, zu der sich einige hundert Anhänger zusammengefunden haben. In dem Führungsstreit geht es nur vordergründig um das schlechte Wahlergebnis der Partei; vor allem steht die künftige Ausrichtung zur Debatte. Der Vize-Vorsitzende Hašek ist die Führungsfigur eines Parteiflügels, der für eine bedingungslose Gefolgschaft des Staatspräsidenten Miloš Zeman eintritt. Sobotka hingegen vertritt ein eigenständiges Profil der Sozialdemokraten und hat dem Präsidenten in der Vergangenheit mehrfach Paroli geboten.