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Abspaltungen und Fusionen

GESCHICHTE Die wechselvolle Entwicklung der liberalen Parteien in Deutschland bis 1933

04.11.2013
2023-08-30T12:24:07.7200Z
4 Min

Die Liberalen waren Erben der Ideen der Französischen Revolution, etwa der Forderung nach Freiheit und Gleichheit. Auch in der Frankfurter Nationalversammlung gab es 1848 eine Reihe liberaler Gruppen, von denen die konstitutionell-liberalen mehr zu den Konservativen und die parlamentarisch-liberalen mehr zur Linken tendierten. Heinrich von Gagern gelang es, beide Flügel hinter sich zu versammeln und so eine Mehrheit für die Idee einer Erbmonarchie zu gewinnen, doch der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die angebotene Kaiserkrone ab.

Kurze Dominanz

Als erste Partei in Deutschland wurde 1861 die liberale Deutsche Fortschrittspartei gegründet. Zu ihren Mitgliedern gehörten der Mediziner Rudolf Virchow, der Historiker Theodor Mommsen, der spätere SPD-Vorsitzende Paul Singer und der Industrielle Werner Siemens. Die Partei stellte die größte Fraktion im preußischen Abgeordnetenhaus, doch diese Dominanz war nur von kurzer Dauer. Das wichtigste Recht des Parlaments war damals das Budgetrecht. Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte sich darüber hinweg gesetzt und die von ihm geforderte Militärreform ohne genehmigtes Budget durchgeführt. Das Indemnitätsgesetz, das dieses Vorgehen im Nachhinein billigen sollte, wurde 1866 von den Konservativen gebilligt, von der Fortschrittspartei aber abgelehnt, woraufhin 15 Abgeordnete, unter ihnen Eugen Lasker, Johannes von Miquel und Ludwig Bamberger, austraten und 1867 die Nationalliberale Partei gründeten, die dann zu einer Hauptstütze von Bismarcks Politik wurde.

Die Proklamation des Deutschen Kaiserreichs 1871 war ein Akt der deutschen Fürsten, Volksvertreter waren nicht daran beteiligt. Unterstützt wurde diese Reichsgründung von oben von den Konservativen und den Nationalliberalen. Sie gingen auch als Sieger aus den ersten Reichstagswahlen hervor und waren in den ersten Jahren die wichtigsten Stützen für die Politik des nunmehrigen Reichskanzlers Bismarck. Die junge sozialdemokratische Partei lehnte die neue Staats- und Verfassungsordnung ab, und gegen das katholische Zentrum führte Bismarck einen "Kulturkampf". Doch 1879 kam es zu einem Systemwechsel: Nur ein kleiner Teil der Nationalliberalen war bereit, die neue Schutzzollpolitik mitzutragen, die vor allem den Interessen der Schwerindustrie und der Großagrarier diente, weshalb Bismarck sich fortan auf die Konservativen und nun auch das Zentrum stützte.

Kriegskurs unterstützt

Von diesem Bedeutungsverlust erholte sich die Nationalliberale Partei nicht. Bei der Reichstagswahl 1881 verlor die Partei mehr als die Hälfte aller Sitze. Im Jahr zuvor hatten 28 Abgeordnete, die für mehr Unabhängigkeit von Bismarck eintraten und auch dem gegen die SPD gerichteten Sozialistengesetz kritisch gegenüber standen, die Partei verlassen und die Liberale Vereinigung gegründet. Diese Vereinigung schloss sich 1884 mit der noch immer existierenden Deutschen Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei zusammen. Allerdings kam es 1893 erneut zu einer Spaltung in die Freisinnige Volkspartei und die Freisinnige Vereinigung. Streitpunkt war wiederum eine Militärvorlage. 1910 fusionierten die beiden linksliberalen Parteien dann zur Fortschrittlichen Volkspartei.

Der evangelische Theologe Friedrich Naumann hatte 1896 den Nationalsozialen Verein gegründet, der zunächst Nationalsozialistischer Verein heißen sollte, um seine arbeiterfreundliche Haltung noch deutlicher zu akzentuieren. Der Begriff National-Sozialismus kennzeichnete ursprünglich eine konservative Antwort auf die sozialen Probleme der industrialisierten Gesellschaft, die internationalistisch orientierte Arbeiterschaft sollte in die nationale Gemeinschaft integriert werden. Naumanns Nationalsozialem Verein blieb allerdings der Erfolg in der politischen Arena versagt, 1903 schloss er sich der Freisinnigen Vereinigung an.

Im Ersten Weltkrieg unterstützen die Liberalen wie alle anderen Parteien den Kriegskurs der Regierung und bewilligten die nötigen Kriegskredite. Als aber 1917 eine Friedensresolution mit dem Ziel eines Verständigungsfriedens im Reichstag zur Abstimmung stand, wurde sie von der Fortschrittlichen Volkspartei ebenso unterstützt wie von der SPD und vom Zentrum. Es waren diese drei Kräfte, die dann die Weimarer Republik und ihre Verfassung trugen. Bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 war die Zustimmung für sie mit insgesamt 76,2 Prozent der Stimmen sehr groß, doch dieser Erfolg ruhte auf Treibsand. Schon bei der ersten Reichstagswahl ein Jahr später erreichten die drei zusammen nur noch 43,6 Prozent.

Nach Kriegsende hatten die Nationalliberalen und die Fortschrittliche Volkspartei zunächst über die Gründung einer gemeinsamen Partei verhandelt, jedoch keine Einigung erzielt. So konstituierten sich die Nationalliberalen unter der Führung von Gustav Stresemann als Deutsche Volkspartei (DVP), während die Linksliberalen sich in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) sammelten. Die DDP bot vielen eine Heimat, die im Ersten Weltkrieg versucht hatten, der Vernunft eine Stimme zu verleihen. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die Publizisten Theodor Heuss und Theodor Wolff, die Professoren Max und Alfred Weber, der "Vernunftrepublikaner" Friedrich Meinecke und der bürgerliche Pazifist Ludwig Quidde. Auch der Völkerrechtler Walther Schücking spielte eine wichtige Rolle in der Partei. Er hatte sich während des Krieges für die Idee eines Völkerbundes eingesetzt, wurde 1919 in die deutsche Delegation für die Verhandlungen über den Versailler Friedensvertrag berufen und war ab 1930 als einziger Deutscher als Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag tätig.

Unter den Gründern der DDP waren zahlreiche Juden, neben Theodor Wolff zum Beispiel Julius Bab, Albert Einstein und der Zeitungsverleger Rudolf Mosse. Auch in der Wählerschaft war diese Bindung stark. Etwa 60 Prozent der wahlberechtigten Juden wählten die DDP. Zwei jüdische Parteimitglieder von herausragender Bedeutung waren Walther Rathenau und Hugo Preuß. Der Staatsrechtler Preuß war als Jude nicht auf eine Professur berufen worden, hatte sich gleichwohl intensiv an Diskussionen über eine Verfassungsreform beteiligt und nach dem Sturz des Kaiserreichs dazu aufgerufen, eine "auf der Gleichberechtigung aller Volksgenossen ruhenden politisch-demokratischen Organisation" zu schaffen. Als Innenminister hatte er maßgeblichen Anteil an der Verfassung der Weimarer Republik.

Massive Verluste

Der Liberalismus blieb in der Weimarer Republik gespalten. Beide Parteien waren bis zur Zeit der Präsidialkabinette, die 1930 begann, in fast allen Reichsregierungen vertreten, verloren aber zugleich nahezu jede Unterstützung in der Bevölkerung. 1919 hatten DVP und DDP bei der Wahl zur Nationalversammlung zusammen 23 Prozent der Stimmen erreicht, 1933 waren es nur noch 1,9 Prozent. Diese dramatischen Verluste sind symptomatisch für den Niedergang der ersten deutschen Demokratie. Ihr folgte die nationalsozialistische Diktatur, ein totalitäres System, das die Illiberalität zum Prinzip erhob.