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Die Gesetzretter

VERMITTLUNGSAUSSCHUSS Einigungen zwischen Bundestag und Bundesrat zu finden, ist oft schwierig und langwierig

18.11.2013
2023-08-30T12:24:07.7200Z
5 Min

In diesen Februartagen brennt im Sitzungssaal 1.128 des ehemaligen Preußischen Herrenhauses, dem Sitz des Bundesrates, wie schon so oft, das Licht bis spät in die Nacht. So auch am Dienstagabend, dem 22. Februar 2011, als die Mitglieder des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag erneut versuchen, einen Kompromiss über die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zu finden - vorerst scheinbar vergeblich. "Die Wochen, als es um die Hartz-IV-Reform ging, waren besonders aufwühlend, ja fast dramatisch", erinnert sich der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), der sowohl in der 16. als auch in der 17. Legislaturperiode für den Bundesrat den Vorsitz im Vermittlungsausschuss (VA) inne hatte. "Auf der einen Seite standen die Finanzfragen, die für Länder und Kommunen von eminenter Bedeutung waren, und auf der anderen Seite stand die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze zunächst um fünf und anschließend um drei weitere Euro", sagt er und fügt hinzu: "Aber das Scheitern wurde in letzter Minute abgewendet, da der Vermittlungsausschuss ein Paket vorlegte, das Bundestag und Bundesrat passieren konnte." Denn obwohl die offizielle Sitzung des Vermittlungsausschusses (in der Nacht zum Mittwoch) vorerst beendet worden war, ging die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) verkündet am 23. Februar 2011 gemeinsam mit SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig und dem damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland Pfalz, Kurt Beck (SPD), den Kompromiss: "Wir sind erschöpft, aber zufrieden. Das war eine schwere Geburt, aber es hat sich gelohnt, die Strapazen auf sich zu nehmen", sagt sie. Kurz darauf beschließt der VA einen entsprechenden Einigungsvorschlag.

Die Ministerin wusste, wovon sie sprach, denn wäre die Hartz-IV-Reform zwischen Bund und Ländern gescheitert, wäre damit auch die monatelange Arbeit von Beamten, Abgeordneten und Ländervertretern in einem komplizierten Gesetzgebungsverfahren umsonst gewesen. Genau das aber soll der Vermittlungsausschuss verhindern und in strittigen Fragen eine Einigung zwischen Bund und Ländern erreichen. Grundlage dafür ist Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes. Darin ist festgelegt, dass für den Fall, dass ein Gesetzesbeschluss nicht die Billigung des Bundesrates erhält, drei Wochen nach Eingang des Gesetzes "ein aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuss einberufen wird", heißt es darin. Wie das Bundesverfassungsgericht 2004 genauer ausführte, sollen dabei die unterschiedlichen Vorstellungen von Bund und Ländern ausgeglichen und Lösungen gefunden werden, die für beide Seiten akzeptabel sind.

Neue Machtkonstellation

Am Anfang des Vermittlungsverfahrens steht immer ein politischer Konflikt zwischen Bundestag und Bundesrat - wie auch bei der Beratung über die Hartz-Regelsätze. Im Februar 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die Berechnung der Regelleistung für Hartz-IV für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, bis Ende 2010 ein neues Gesetz vorzulegen. Das von der schwarz-gelben Koalition vorgelegte Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, wurde von der Opposition heftig kritisiert und fiel bei der Abstimmung im Bundesrat Ende Dezember 2010 durch. "Es war das erste Mal, dass wir die neue rot-grüne Machtkonstellation im Bundesrat nutzen konnten", erinnert sich Elke Ferner, die in der vergangenen Legislaturperiode für die SPD im Vermittlungsausschuss saß. "Wir hatten im Bundesrat zwar keine Gestaltungsmehrheit, aber dafür eine Verhinderungsmehrheit. Die Koalition wusste, dass sie kein Vermittlungsergebnis über die Rampe gebracht hätte, wenn es nicht zu einem echten Kompromiss gekommen wäre", sagt Ferner.

Von der Möglichkeit, politische Differenzen und unterschiedliche Machtkonstellationen in Bund und Ländern durch ein Vermittlungsverfahren auszugleichen, wurde seit 1949 in der Bundesrepublik häufig Gebrauch gemacht: Insgesamt wurde das Gremium 894 Mal angerufen. Das geschah am häufigsten durch den Bundesrat (827 Anrufungen), aber auch durch die Bundesregierung (91 Anrufungen) oder den Bundestag (20 Anrufungen).

Auch im Fall der Hartz-IV-Reform rief der Bundesrat das Gremium an. Mehrere Monate tagten die 32 Mitglieder des Ausschusses und verschiedene Regierungsmitglieder hinter verschlossenen Türen. Dabei ist, sagt Thomas Strobl (CDU), in der 17. Wahlperiode Vorsitzender des Gremiums auf Seiten des Bundestags, nicht immer die politische Couleur ausschlaggebend: "Selbstverständlich spielen auch parteipolitische Überlegungen eine Rolle, aber viel weniger als sonst üblich. Bestimmender sind etwa Bund-Länder-Interessen oder es gibt andere Konstellationen wie leistungsfähige Länder gegen weniger leistungsfähige Länder oder alte gegen neue Bundesländer." Doch die Beratungen über das Hartz-IV-Paket zeigten auch, dass der VA den gordischen Knoten nicht immer zerschlagen kann. Zwar nickte die Mehrheit des VA einen Einigungsvorschlag für ein Hartz-IV-Paket ab. Da diese Einigung aber mit der knappen Mehrheit von CDU/CSU und FDP im Ausschluss beschlossen worden war, ging der Vorschlag als "unechter Kompromiss" in die Annalen ein: Denn die schwarz-gelbe Regierung hatte zu diesem Zeitpunkt im Bundesrat keine Mehrheit der Länder mehr hinter sich. So kam dieser Einigungsvorschlag nach der Debatte des Bundesrates erst gar nicht zur Abstimmung. Stattdessen rief der Bundesrat den Vermittlungsausschuss zum zweiten Mal an.

Um bei solchen scheinbar unlösbaren Gegensätzen doch noch zu einer Lösung zu kommen, treffen sich die Parlamentarier auch gerne einmal abseits des Sitzungssaals."Häufig wird nicht nur im VA gesprochen, sondern auch außerhalb der Sitzungen", sagt Strobl, "sowohl in formellen Untergruppen als auch in informellen Arbeitsgruppen."

Für Ferner sind diese Gespräche auf der Suche nach konstruktiven Lösungen besonders wichtig: "Man muss auch mal abseits des Protokolls ein paar Varianten durchspielen können, ohne gleich als Verräter dazustehen", sagt sie. Ein Sitz im VA ist daher auch, meint Strobl, "nicht unbedingt etwas für Berufsanfänger, sondern für gestandene Parlamentarier". Der Vermittlungsausschuss sei daher auch weniger "ein Gremium für Fachpolitiker", sondern etwas für "kampferprobte Generalisten, die eine gewisse parlamentarische Verhandlungserfahrung mitbringen", betont er. Denn: "Man muss von Null auf den Stand kommen, an dem andere Jahre arbeiten", erklärt Strobl.

Auch Ferner findet, dass ein Abgeordneter für die Arbeit in diesem Gremium besonders geeignet sein muss: "Man braucht ein gehöriges Maß an gesundem Menschenverstand und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verstehen zu können. Dazu gehört eben auch die Fähigkeit, Kompromisse schließen zu können."

Gegenseitiges Vertrauen

Vertrauen ist daher zwischen den Mitgliedern des VA besonders wichtig. Die Mitglieder des Ausschusses dürfen daher auch nur bis zu viermal in einer Legislaturperiode ausgetauscht werden, um die Kontinuität des Gremiums zu wahren. Außerdem sind die Mitglieder des VA nicht an Weisungen und Aufträge gebunden, was für Bundestagsabgeordnete sowieso nicht der Fall ist, für Mitglieder des Bundesrates aber durchaus relevant sein kann. "Wir sind als Ausschuss autark und ich habe eine verhältnismäßig große Freiheit", sagt Strobl. Natürlich spreche man im Vorfeld über Dinge, "aber ich rufe nicht, wenn wir uns einem Ergebnis nähern, gleich die Kanzlerin an", erklärt Strobl.

Für Ferner ist es wichtig, "ob man eine Linie überschreitet, die zuvor eine Haltelinie war, denn das Ergebnis muss ja nochmals im Bundestag bestätigt werden", gibt sie zu bedenken.

Nach außen dringen dürfen aus dem Ausschuss nur die offiziellen Ergebnisse. Das Gremium tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Protokolle der Verhandlungen bleiben zwei Legislaturperioden unter Verschluss. Die Frage, welches Geben und Nehmen eine Einigung über das Hartz-IV-Paket ermöglichte, wird noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Aber vielleicht gilt auch dafür die Überzeugung Strobls: "Es gibt viele Kompromisse, bei denen sich eines Tages herausstellt, dass es letztlich sogar die bessere Lösung ist als das, was man selbst ursprünglich intendiert hatte."