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Russland strafen, Ukraine stärken

KRIM-KRISE Neue Sanktionen gegen Moskau. Teil des Assoziierungsabkommens zwischen Brüssel und Kiew unterzeichnet

24.03.2014
2023-08-30T12:26:11.7200Z
5 Min

Was ein Frühlingsgipfel werden sollte, wurde zum Krisengipfel in Sachen Ukraine-Konflikt: Eigentlich wollten die 28 Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag und Freitag über die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union beraten, über Wachstum und Beschäftigung, Klima- und Energiepolitik. Doch das alles rückte angesichts der Entwicklungen im Osten Europas in den Hintergrund. Russlands Präsident Wladimir Putin hat in nur drei Wochen Fakten geschaffen, die bis vor kurzem wohl kaum ein westlicher Politiker für möglich gehalten hätte: Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim, Austausch von Regionalregierung und Regionalparlament, Referendum über einen Beitritt der Krim zu Russland, Angliederung der Krim an Russland. Am Donnerstag ratifizierte das russische Parlament, die Duma, den Krim-Beitrittsvertrag. 443 Abgeordnete stimmten dafür, nur einer dagegen. Am Freitag unterzeichnete Putin die Gesetze zur Aufnahme der Krim in die Russische Föderation. Noch heute soll auf der Halbinsel der russische Rubel wieder eingeführt werden. Russland druckt bereits neue Landkarten.

Entschlossene Antworten

Was Putin als "Wiedervereinigung" bezeichnet, ist für den Westen eine verfassungs- und völkerrechtswidrige Annexion. Der Ton im Umgang mit Russland wird nun von Tag zu Tag schärfer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte am Donnerstag im Bundestag kurz vor ihrem Abflug zum Brüsseler Gipfel klar: Der Westen werde das "sogenannte Referendum" auf der Krim nicht anerkennen. Es handle sich dabei um eine "einseitige Veränderung von Grenzen", ein Vorgehen, das "die entschlossene wie geschlossene Antwort Europas und seiner Partner" erfordere. Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), fügte hinzu: "Nichts wäre schlimmer, als wenn Putin auch noch den Erfolg hätte, dass wir uns in Europa über die notwendigen Maßnahmen zerstreiten." Europa müsse zusammenhalten.

Wenige Stunden später folgten den Worten Taten: Die Staats- und Regierungschefs der EU sagten den EU-Russland-Gipfel im Juni ab und einigten sich auf Sanktionen der Stufe zwei, konkret Reisebeschränkungen und Kontensperrungen für nun 33 Personen, die für die Abspaltung der bislang ukrainischen Halbinsel Krim und deren Angliederung an Russland verantwortlich gemacht werden. Während US-Präsident Barack Obama noch am Freitag per Erlass den Weg für Sanktionen gegen ganze russische Wirtschaftszweige frei machte - und von Moskau im Gegenzug prompt mit Einreisesperren für US-Vertreter belegt wurde -, bereiteten Merkel und Co. in Brüssel mögliche Wirtschaftssanktionen zunächst nur vor. Doch hatte die Bundeskanzlerin schon am Morgen angekündigt, dass die EU "ohne Zweifel" auch diesen Weg gehen werde, sollte sich die Lage weiter zuspitzen. Für Russland haben die Sanktionen schon jetzt Konsequenzen: Die Moskauer Börse rutschte am Freitag deutlich ins Minus, der Rubel verlor an Wert. Doch auch politisch steht das Land im Abseits. Merkel machte im Bundestag klar, dass Russland in allen internationalen Organisationen "weitgehend isoliert" sei. Zur Zukunft des Landes in der Gruppe der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen (G8) sagte sie: "Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G 8 nicht gegeben ist, gibt es sie nicht mehr, weder den Gipfel noch die

G 8 als solches."

Mit Ausnahme der Linksfraktion unterstützten alle Bundestagsfraktionen den Kurs Merkels. Anton Hofreiter, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete den Dreistufenplan für Sanktionen als "richtig", ebenso das "Zünden der zweiten Stufe". Die russische Regierung trete mit der Annexion der Krim das Völkerrecht mit Füßen. "Hier herrscht nicht das Recht, sondern das Unrecht des Stärkeren", sagte er. Hofreiter begrüßte die Entscheidung der Regierung, den Export eines Gefechtsübungszentrums nach Russland zu stoppen. Er machte aber auch klar, dass das in seinen Augen nicht reicht. Deutschland habe allein im Jahr 2011 für 140 Millionen Euro Waffen nach Russland exportiert, 2012 für 40 Millionen Euro. "Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen ein Waffenembargo in Richtung Russland", forderte der Grünen-Abgeordnete.

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, verwies auf eine Passage aus der Rede Putins am Dienstag vor der Duma. Darin habe er die Russen als "das größte geteilte Volk der Welt" bezeichnet. Oppermann warnte: Wenn sich hinter diesen Worten eine "neue Putin-Doktrin" verbergen sollte, "nach dem Motto, überall wo Russen leben, ist auch Russland", dann verhieße dies "nichts Gutes". Das liefe auf ein automatisches Interventionsrecht hinaus, sobald Putin die Interessen im Ausland lebender Russen bedroht sehe. Ein solches Recht aber "gibt es nicht und kann es gar nicht geben", machte er klar.

Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linken, kritisierte als einziger Redner den Umgang der EU mit der Krise. "Lassen Sie diesen Unsinn mit den Sanktionen", riet er Merkel. "Sie müssen sie eines Tages sowieso wieder zurücknehmen." Neue Zuspitzungen nützten nichts. Gysi warf der Kanzlerin auch die Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung in Kiew vor. Diese sei nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen, außerdem gehörten ihr "Faschisten" an - eine Anspielung auf drei Minister von der nationalistischen "Swoboda-Partei". Nach Ansicht Gysis müssten "faschistische Organisationen und Parteien sowie paramilitärische Einheiten und andere illegale bewaffnete Formationen in der Ukraine" aufgelöst werden. Darauf müsse die Bundesregierung bestehen, bevor sie Kiew "einen einzigen Euro" überweise oder Verträge abschließe.

Interessant waren im Gegensatz dazu die Äußerungen des Vorsitzenden des Vereins Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine, Josef Zissels, am Tag zuvor im Menschenrechtsausschuss des Bundestages: Der stellvertretende Vorsitzende des World Jewish Congress hatte erklärt, dass radikale Gruppen in der Ukraine keine Gefahr darstellten. Sowohl Zivilgesellschaft als auch Staatsmacht seien stark genug, die Probleme des Landes zu schultern. Zu "Swoboda" sagte Zissels, in den Biografien der Swoboda-Minister habe man bisher keine antisemitischen Aussagen finden können. Seine Organisation sei dagegen, sie aus der Regierung zu entfernen.

Am vergangenen Dienstag sorgte allerdings ein brutaler Angriff mehrerer Abgeordneter der "Swoboda-Partei" auf den Chef des ukrainischen Fernsehens für Kritik. Der Sender hatte Ausschnitte der Rede Putins vor der Duma gezeigt.

Solidarität mit Ukraine

Die EU-Chefs, das machten sie auf dem Gipfel in Brüssel klar, halten jedoch an ihrer Ukraine-Politik fest. Sie wollen einserseits Russland in seine Schranken weisen und andererseits die Ukraine stärken. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten Zollerleichterungen für das Land und unterschrieben am Freitag zusammen mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk demonstrativ den politischen Teil des umstrittenen Assoziierungsabkommens. Die Weigerung des früheren Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch, das von ihm mit ausgehandelte Vertragswerk mit der EU im November zu unterzeichnen, hatte die landesweiten Proteste erst ausgelöst.

Der wirtschaftliche Teil des Abkommens soll erst später besiegelt werden, zunächst verpflichtet sich die Ukraine zu einer engen Kooperation mit der EU, freier Marktwirtschaft und der Respektierung der Menschenrechte. Merkel betonte im Bundestag, dass sie den Abschluss des Abkommens als "ein politisches Signal der Solidarität und der Unterstützung für die Ukraine" verstanden wissen will. In Brüssel sprach sie der ukrainischen Regierung zudem ihr Vertrauen aus. Ministerpräsident Jazenjuk habe ihr versichert, auch die Ukrainer im Osten und Süden des Landes vertreten zu wollen. Außerdem habe er den Angriff von "Swoboda"-Abgeordneten auf den Chef des ukrainischen Fernsehens "absolut verurteilt", erklärte sie.

Jazenjuk ist auf die Unterstützung des Westens dringend angewiesen: Der Ukraine droht der Staatsbankrott. Seit einigen Tagen sind Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Kiew, um über Finanzhilfen in Millairdenhöhe zu sprechen. Die EU hat der Ukraine bereits ein Hilfspaket von mehr als elf Milliarden Euro in Aussicht gestellt.