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Der lange Weg zu einem Staat

SOMALIA Die Sicherheitslage in dem vom Bürgerkrieg geplagten Land ist katastrophal, die Not der Menschen unvorstellbar

24.03.2014
2023-08-30T12:26:11.7200Z
5 Min

Die Wände des Raumes sind mit Stoff ausgeschlagen, was eine warme Atmosphäre verbreitet. Außerdem stehen zwei Liegen in dem kleinen Zimmer. Als Sharifa Mohamed (Name geändert) vor einigen Monaten zum ersten Mal hier war, nahm sie das alles nicht wahr. Die 28-jährige war in der Nacht davor vergewaltigt worden und verzweifelt. Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Save Somali Women and Children" erkannten ihre Not und nahmen sie mit in den wohnlichen Raum, in dem sie auch jetzt wieder sitzt. Sharifa hatte sich spät abends auf den Weg gemacht, um noch etwas Essen für ihre Kinder zu kaufen. Plötzlich standen drei Männer vor ihr und zogen sie in eine dunkle Ecke. Erst nach anderthalb Stunden ließen die Angreifer von ihr ab. Weinend kehrte sie zu ihrer einfachen Hütte in einem der Flüchtlingslager von Mogadischu zurück.

Noch immer leben in der somalischen Hauptstadt bis zu 370.000 Menschen in diesen sehr provisorischen Lagern, schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR. Die hygienischen Verhältnisse in den Camps sind eine Katastrophe. Mehr als 400 Menschen teilen sich eine Latrine, der Zugang zu sauberem Wasser ist knapp.

Boomendes Wirtschaftsleben

Die handgemachten Rundhütten stehen auf den Trümmergrundstücken und Brachflächen, die den Eindruck von Mogadischu nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg immer noch prägen. Nur die Gebäude entlang einiger Hauptverkehrsstraßen sind wieder aufgebaut, dort sitzen Männer in Straßencafés und reden bei einem Cappuccino aus italienischer Kaffeemaschine über ihre Geschäfte. Das Wirtschaftsleben in Mogadischu boomt, überall wird gebaut und gehämmert, werden kriegszerstörte Gebäude saniert. Dienstleistungen aller Art und der Handel florieren. Entlang der wichtigsten Verkehrsadern stehen solarbetriebene Straßenlaternen, die zusammen mit neuen gelben Taxen den Eindruck von Normalität vermitteln. Aber nur ein paar Viertel weiter ist damit schon wieder Schluss.

Zwar hat das Land im äußersten Osten Afrikas seit Sommer 2012 unter Präsident Hassan Sheikh Mohamud wieder eine international anerkannte Regierung, aber diese Regierung ist schwach. Die meisten Leistungen, die Europäer ganz selbstverständlich von ihrem Staat erwarten, bleibt sie ihren Bürgern auch weiterhin schuldig. Das gilt an erster Stelle für die Sicherheitslage. Die zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehörende Shabaab-Miliz verübt in Mogadischu und anderen Städten regelmäßig schwere Attentate. Nachdem sich die Sicherheitslage ab Sommer 2011 durch militärische Erfolge einer Eingreiftruppe der Afrikanischen Union namens AMISOM zunächst verbessert hatte, geht der Trend derzeit in die andere Richtung. Das räumt auch Nicholas Kay ein, der UN-Sondergesandte für Somalia. "Aber immerhin kontrolliert die Regierung die gesamte Hauptstadt", sagt Kay.

Bis August 2011 beherrschte die Shabaab-Miliz die meisten Viertel Mogadischus und ganz Südwest-Somalia. Inzwischen wurden die Islamisten in der Hauptstadt von der AMISOM besiegt und mussten ihre Stellungen in Mogadischu räumen. Aber noch immer beherrschen sie viele Teile des Landes. Nicholas Kay wirbt für noch mehr Geduld mit Somalia. Nach der "erschreckend langen" Zeit von mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg könne niemand eine schnelle Stabilisierung erwarten.

Anlass für Hoffnung

Somalia versank im Chaos, nachdem der letzte Diktator Siad Barre 1991 von Clan-Milizen gestürzt wurde. Anschließend kämpften Clanführer, Kriegsherren und später Islamisten um die Macht, eine zentrale Regierung gab es nicht mehr. Die Kombination von Bürgerkrieg und Dürre führte mehrfach zu katastrophalen Hungersnöten. Erst die militärische Intervention der Afrikanischen Union brachte nach vielen Jahren einer fast erfolglosen Mission ab 2011 schließlich doch eine gewisse Stabilität in der Hauptstadt Mogadischu. Die Wahl des Präsidenten im September 2012 war ein weiterer Anlass für Zuversicht. Anders als viele Politiker Somalias hat Hassan Sheikh Mohamud keine Vorgeschichte als "Warlord". Stattdessen arbeitete der Universitätsdozent für mehrere internationale Friedens- und Entwicklungsorganisationen. Auch der internationalen Gemeinschaft galt er deshalb als Hoffnungsträger.

Doch trotz einiger positiver Berichte habe sich die Lage in Somalia nicht wirklich verbessert, sagt die Somalia-Expertin der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch", Laetitia Bader. So seien die Einkommen der Bevölkerungsmehrheit nicht gestiegen, kritisiert sie. Nur in der Hauptstadt Mogadischu profitiere eine geschäftstüchtige städtische Elite von einem regional eng begrenzten Wirtschaftsaufschwung. Hassans Regierung gilt als ausgesprochen korrupt und wenig effizient. In Baders Augen ist es selbst mit der Kontrolle der Hauptstadt durch den neuen Staat und seine Armee nicht weit her. Zuletzt hätten die islamistischen Milizionäre in einigen Stadtteilen sogar wieder die Kontrolle übernommen. "Und die Al-Shabaab-Miliz ist bei weitem nicht das einzige Problem", warnt Bader. "Alte Clan-Konflikte brechen wieder auf, die Lage ist sehr unübersichtlich."

Der Kampf der unterschiedlichen Clans um die Vorherrschaft in Somalia zeigt sich nicht zuletzt in den Konflikten zwischen der Zentralregierung und den unterschiedlichen regionalen Einheiten. Die Übergangsverfassung ist in diesem Punkt ausgesprochen vage und lässt jedem Raum für seine Auslegung: Präsident Hassan Sheikh Mohamud, der möglichst viel Macht für Mogadischu beansprucht - und Staaten wie Puntland, Jubaland und andere, die möglichst viel Autonomie verlangen. Dass in den Regionen jeweils andere Clans die Mehrheit haben, ist eine gefährliche Lunte in den oberflächlich politischen Auseinandersetzungen. "Die Regierung hat viel versprochen, aber wenig erfüllt", meint Somalia-Expertin Bader. Sharifa, die mit ihrem Mann und ihren Kindern schon seit Jahren in einer undichten Notunterkunft haust, sei kein Einzelfall: Diejenigen, die in den Flüchtlingslagern campieren, sind Kriminellen aller Art schutzlos ausgeliefert. Vergewaltigungen seien fast an der Tagesordnung, kritisieren nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen immer wieder, ohne dass sich etwas ändert.

Auch Soldaten der somalischen Armee beteiligten sich am Missbrauch der Vertriebenen in den Lagern. Und in keiner Sekunde kam Sharifa auf die Idee, nach ihrer Vergewaltigung zur Polizei zu gehen. Zwar wurde deren Aufbau seit vielen Jahren mit viel Geld auch aus Deutschland unterstützt, aber die Truppe ist bis heute wenig effektiv. Sharifa fand deshalb nur Hilfe bei der Organisation, in deren Raum sie jetzt sitzt. Sie wurde medizinisch behandelt und psychologisch betreut.

"Save Somali Women and Children" bietet Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, außerdem juristische Unterstützung an. "Aber kaum jemand wendet sich an die Justiz", sagt Fartuma Ibrahimi, die für die Organisation arbeitet. Die meisten Frauen behielten die Verbrechen für sich, das Reden über eine Vergewaltigung sei ein Tabu.

Selbst nach einer Anzeige wird die Justiz meist nicht tätig, kritisiert Ilwad Elman von der somalischen Menschenrechtsorganisation "Elman peace and human rights center": "Sexuelle Gewalt wird fast nie bestraft." Stattdessen würden die Opfer von Polizei und Justiz wie Kriminelle behandelt. "Diejenigen, die sich trauen, Gerechtigkeit zu suchen, werden häufig auch noch Opfer von Racheakten."

Qasim Mohamed Nur erwartet aus diesen und anderen Gründen vom Staat nicht mehr viel. Er ist Marketing-Direktor des "Lido Seafood Restaurant" am Strand von Mogadischu. Eine Gruppe von Somaliern sanierte das kriegszerstörte Gebäude in bester Lage und serviert dort seitdem Hummer und andere Meeresfrüchte. Der Laden ist regelmäßig voll, trotz der konstanten Anschlagsgefahr. "Wir Somalier sind gute Geschäftemacher", fasst Qasim Mohamed Nur seine Sicht der Dinge zusammen. "Aber leider sind wir sehr schlecht darin, einen Staat aufzubauen."