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Rote Karte für Lohn-Dumping

Tarifpaket Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist der Kern des Paketes, das aber noch viel mehr enthält

10.06.2014
2023-08-30T12:26:15.7200Z
5 Min

Weltweit mehr als 100 Staaten haben den flächendeckenden Mindestlohn bereits eingeführt. Darunter sind 21 von 28 EU-Staaten. Nun soll nach den Plänen der Bundesregierung das Tarifautonomiestärkungsgesetz (18/1558) auch in Deutschland ab 2015 einen solchen Mindestlohn einführen. Der Gesetzentwurf, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll, reformiert darüber hinaus auch das System der Branchentarifverträge. Was sieht das Tarifpaket im Einzelnen vor und wer wird davon profitieren?

Mindestlohn

Die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde ist zweifellos der Kern des Tarifpaketes. Er soll bereits ab Januar 2015 gelten. Jedoch zunächst nicht für alle Beschäftigten, denn Tarifverträge mit niedrigeren Brutto-Stundenlöhnen sollen in einer Übergangszeit noch bis Ende 2016 gültig bleiben können. Das bedeutet, dass der Mindestlohn erst ab 1. Januar 2017 voll greift und dann für alle Arbeitnehmer, egal ob in- oder ausländisch, unabhängig von Arbeitszeit oder Umfang der Beschäftigung gilt. Auch Minijobber und Saisonarbeiter profitieren also davon. Im Jahr 2020 soll das Gesetz erstmals auf seine Wirksamkeit hin evaluiert werden.

Arbeitszeiten

Künftig müssen die auf einem Arbeitszeitkonto erfassten Überstunden spätestens nach zwölf Monaten ausgeglichen sein. Das kann durch Freizeit, aber auch durch Lohnzahlung geschehen. Die auf das Zeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen monatlich jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen. Allerdings verfügt die Mehrheit der Betriebe in Deutschland über keine Regelungen zu Arbeitszeitkonten, wie aus einer aktuellen Antwort (18/1402) der Bundesregierung zum Thema Überstunden hervorgeht. Demnach gab es 2013 nur in 38 Prozent der Betriebe Arbeitszeitkonten, in zwei Prozent der Betriebe waren solche geplant.

Haftung

Analog zu den Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz soll auch für den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn die Generalunternehmerhaftung gelten. Das bedeutet, dass sowohl der Generalunternehmer wie auch die einzelnen Subunternehmen in einer Kette von Verträgen, die zur Ausführung von Arbeiten geschlossen werden, zur Zahlung des Mindestlohnes verpflichtet werden. Anders als es noch im Referentenentwurf vorgesehen war, soll nach derzeitiger Regelung die Haftung des Generalunternehmers für die Zahlung des Mindestlohnes durch seine Nachunternehmer entfallen. Und zwar dann, wenn der Generalunternehmer nachweist, dass er weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass der Nachunternehmer seiner Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes nicht nachkommt. Diese Einschränkung lehnen die Gewerkschaften allerdings ab. Es sei ein Leichtes für die Generalunternehmer, Erklärungen der Nachunternehmer vorzulegen, in denen diese bescheinigen, dass sie den Mindestlohn zahlen. Damit wäre der Generalunternehmer schon aus der Haftung entlassen, argumentieren sie. Dem Wirtschaftsflügel der Union hingegen gehen die geplanten Regelungen zu weit.

Ausnahmen

Auszubildende und ehrenamtliche Tätigkeiten sollen vom Mindestlohn ausgenommen sein. Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung erfasst das Tarifpaket ebenfalls nicht. Sie gelten nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes und sollen einer Ausbildung den Vorrang vor einem besser bezahlten Aushilfsjob geben, lautet die Begründung aus dem Arbeitsministerium. Für Praktikanten, die ein Pflicht-Praktikum im Rahmen von Schule, Ausbildung und Studium oder ein Orientierungspraktikum von maximal sechs Wochen für die Wahl einer Ausbildung machen, gilt der Mindestlohn auch nicht. Gleiches gilt für freiwillige Praktika von bis zu sechs Wochen begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung, wenn nicht vorher ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Auszubildenden bestanden hat. Die Vorschriften zur angemessenen Vergütung für Praktikanten nach dem Berufsbildungsgesetz bleiben in solchen Fällen unberührt. Auch Langzeitarbeitslose fallen unter die Ausnahmeregelungen. Sie können in den ersten sechs Monaten nach Wiedereinstieg in den Beruf unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden. Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag gilt, sollen jedoch nach Tariflohn bezahlt werden. Zum 1. Januar 2017 will die Bundesregierung dann prüfen, ob diese Ausnahmeregelung den gewünschten Effekt erzielt und zu besseren Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen geführt hat.

Kommission

Neu ist auch die Einrichtung einer Mindestlohnkommission. Diese soll künftig jährlich über die Anpassung des Mindestlohns entscheiden, erstmals im Juni 2017. Ab 1. Januar 2018 soll dadurch die erste Anpassung des Mindestlohns erfolgen. Die Kommission wird von einem oder einer Vorsitzenden geleitet und besteht darüber hinaus aus sechs stimmberechtigten Mitgliedern, je drei aus dem Arbeitnehmer- und drei aus dem Arbeitgeberlager. Außerdem gehören dem Gremium (Arbeitsweise siehe Grafik unten) noch zwei beratende Mitglieder aus der Wissenschaft an, die ebenfalls paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgeschlagen werden. Alle fünf Jahre werden die Mitglieder neu bestimmt und von der Bundesregierung anschließend in die Kommission berufen. Die Geschäftsstelle der Mindestlohnkommission wird bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin als selbständige Organisationseinheit eingerichtet. Sie soll nicht nur die Kommission bei deren Arbeit unterstützen, sondern auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Thema Mindestlohn beraten.

Kontrolle

Die Einhaltung des Mindestlohns wird von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll überprüft. Kommt es zu Verstößen, greifen wie bisher Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG). Arbeitgeber, die sich ordnungswidrig verhalten, können im Einzelfall mit Geldbußen bis zu 500.000 Euro belegt werden. Über eine Mindestlohn-Hotline soll es künftig möglich sein, sich zu informieren und auch Hinweise zu geben, in welchen Betrieben der Mindestlohn eventuell nicht eingehalten wird.

Das Entsendegesetz

Teil des Tarifpaketes ist außerdem die Reform des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), das es ermöglicht, branchenbezogene Mindestlöhne für alle dort beschäftigten Arbeitnehmer festzusetzen. Ursprüngliches Ziel des Gesetzes war die Festlegung zwingender Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer, die von im Ausland ansässigen Arbeitgebern zur grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, insbesondere im Bauhaupt- und Baunebengewerbe, nach Deutschland entsandt werden. Insbesondere seit der Neufassung 2009 hat sich das AEntG als wichtigstes Instrument etabliert, um Mindestlöhne auch in Deutschland festzulegen, nur eben nicht nach einheitlichen, sondern nach branchenspezifischen Standards. Das Tarifpaket sieht nun vor, das AEntG auf alle Branchen ausdehnen zu können. Dazu soll neben dem bisherigen Branchenkatalog für alle übrigen Branchen ein separates Rechtsordnungsverfahren geschaffen werden. Es soll aber auch künftig eine Ergänzung des bisherigen Branchenkatalogs um weitere konkret definierte Branchen möglich sein, heißt es in dem Gesetzentwurf.

Branchen-Mindestlöhne

Am 1. April gab es in 13 Branchen spezifische Mindestlöhne, zum Teil in unterschiedlicher Höhe in Ost- und Westdeutschland. Auf der Grundlage des AEntG betrifft das unter anderem das Bauhauptgewerbe (10,50-13,95 Euro), den Bergbau (11,92-13,24 Euro), die Aus- und Weiterbildung (11,65-13,00 Euro), die Gebäudereinigung (9,31-12,33 Euro), die Pflegebranche (8,00-9,00 Euro) und die Abfallwirtschaft (8,68 Euro). In der Zeitarbeit existiert eine Lohnuntergrenze nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (7,86-8,50 Euro) und im Friseurhandwerk nach dem Tarifvertragsgesetz (6,50-7,50 Euro). Die Zahl der Beschäftigten, für die ein Mindestlohn nach diesen Vorgaben gilt, lag im April 2014 bei vier Millionen. Nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums werden im Jahr 2015 ungefähr 3,7 Millionen Menschen von dem gesetzlichen Mindestlohn direkt profitieren.

Allgemeinverbindlichkeit

Laut Entwurf plant die Bundesregierung außerdem, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu erleichtern. Mit dieser können auf Antrag einer Tarifpartei bisher Tarifverträge auch auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgedehnt werden. Voraussetzung ist laut Tarifvertragsgesetz jedoch bisher, dass mindestens 50 Prozent der unter den Geltungsebereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer tarifgebunden beschäftigt sind. Dieses 50-Prozent-Quorum will die Regierung nun abschaffen. Sie schreibt dazu zur Begründung: "Durch das starre 50-Prozent-Quorum wurde in Zeiten sinkender Tarifbindung die Nutzung des Instruments der Allgemeinverbindlichkeitserklärung gehemmt." An seine Stelle soll ein "konkretisiertes öffentliches Interesse" treten.

Mindestarbeitsbedingungsgesetz

Aufgehoben werden soll außerdem das Mindestarbeitsbedingungsgesetz (MiArbG). Es ermöglicht die Festsetzung von Mindestarbeitsentgelten für Branchen, in denen weniger als 50 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden beschäftigt sind. Es gebe jedoch keinen Wirtschaftszweig, in dem Entgelte nach diesem Gesetz festgelegt worden sind, begründet die Regierung die Abschaffung des Gesetzes.