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Eine Frage der Stabilität

EUROPAPARLAMENT Gerade erst konstituiert, droht schon Streit um die künftige Wirtschaftspolitik der EU

07.07.2014
2023-08-30T12:26:16.7200Z
4 Min

Der alte Präsident ist auch der Neue: Mit den Stimmen von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen wurde Martin Schulz (SPD) am vergangenen Dienstag erneut an die Spitze des Europäischen Parlaments (EP) gewählt. In der konstituierenden Sitzung der Volksvertretung fünf Wochen nach den Europawahlen erreichte er mit 409 von 612 abgegebenen gültigen Stimmen deutlich die erforderliche absolute Mehrheit. Die Konservativen hatten ihre Unterstützung davon abhängig gemacht, dass in zweieinhalb Jahren der Posten an einen Konservativen gehen wird. Ähnliche Deals hat es in früheren Jahren auch schon gegeben.

Der 58-jährige Schulz, im Europa-Wahlkampf Spitzenkandidat der deutschen und europäischen Sozialdemokraten, ist damit der erste Präsident des EP, der zum zweiten Mal gewält wurde. Der SPD-Politiker hat in Straßburg angekündigt, für eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments zu kämpfen. Dass die Staats- und Regierungschefs Ende Juni Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten nominierten und somit ein Anliegen des Parlaments erfüllten, ist mit sein Verdienst . "Es gibt keine Hierarchie mehr in den EU-Institutionen", betonte Schulz. "Heute kommt keiner mehr am EU-Parlament vorbei."

Als große Herausforderungen für die EU nannte Schulz die Themen Arbeitslosigkeit, Migration und Energie. Die beginnende Legislaturperiode dürfte zudem vom Streit um den richtigen Wirtschaftskurs geprägt werden. Matteo Renzi, der Ministerpräsident Italiens, das am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, versicherte in Straßburg, dass sein Land den Stabilitätspakt respektieren werde: "Wir sind die ersten, die sagen, dass die Regeln eingehalten werden müssen." Renzi unterstrich aber auch, dass Europa seinen gegenwärtigen Zustand hinter sich lassen müsse. "Wenn Europa ein Selfie von sich machen würde, wie würde das aussehen?", fragte er, und gab eine ernüchternde Antwort: "Ein müdes und gelangweiltes Gesicht." Europa müsse seine Seele wieder finden, forderte der 39-Jährige.

Taten statt Worte

Für seine leidenschaftliche Rede bekam Renzi starken Beifall. Allerdings gab es im Parlament Zweifel, ober er auch zu Taten und nicht nur zu großen Worten fähig ist. Manfred Weber (CSU), neuer Fraktionsführer der Europäischen Volkspartei, wies darauf hin, dass die italienische Staatsverschuldung, die über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, Grund zur Sorge sei. Er warnte davor, Reformbemühungen einzustellen, nur weil die Finanzmärkte sich beruhigt hätten. Webers Replik ließ erkennen, dass der Richtungsstreit um den richtigen Weg aus der Krise noch lange andauern wird.

Nigel Farage von der britischen Ukip nutzte die Redezeit, wie so oft, um sich über die EU und ihre Akteure zu mokieren. Er betonte aber auch: "Es gibt nun mehr Euroskeptiker in diesem Parlament als jemals zuvor."

Doch selbst wenn Politiker des Mainstreams, wie der sozialistische Premierminister Frankreichs, Manuel Valls, das Ergebnis der Europawahl als "Erdbeben" bezeichnet haben, stellt sich nun bei genauerer Betrachtung heraus, dass die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments stark der von 1979 ähnelt, als die Europa-Abgeordneten erstmals direkt gewählt wurden. "Bis zu den 1990er-Jahren war die Sitzverteilung der politischen Kräfte im EP der aktuellen bemerkenswert ähnlich", sagt Nicolas Véron vom Brüsseler Thinktank Bruegel. Auch früher schon gab es nationalistische Parteien, die allerdings von der Bildfläche verschwanden. Die euroskeptische Fraktion von Farage, die fortan als "Europa für Freiheit und Direkte Demokratie" (EFDD) firmiert, hat an Stärke gewonnen, nachdem sich die 17 Abgeordneten der italienischen "Fünf-Sterne-Bewegung" des Komikers Beppe Grillo angeschlossen haben. Trotz des Zuwachses sieht es aber nicht danach aus, dass die EFDD einen Ausschussvorsitz bekommen wird. Und auch dem Präsidium des EP wird keiner ihrer Abgeordneten angehören, wie ein Parlamentssprecher am Mittwoch erläuterte. Der Kandidat der EFDD, der Italiener Massimo Castaldo, war bei der Wahl am Vorabend gescheitert - eine Mehrheit der Parlamentarier hatte verhindert, dass ein Vertreter einer Fraktion, die offen für die Abschaffung der EU kämpft, im Europaparlament eine herausragende Position einnimmt.

Unter den 14 Vizepräsidenten sind indes zwei Deutsche, der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland und der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff.

Vorsitzende der Ausschüsse

Die Liberalen haben dem Vernehmen nach für ihre Unterstützung von Martin Schulz einen weiteren Vorsitz gefordert. Die Fraktionen haben die Posten untereinander aufgeteilt, ehe die Ausschüsse die Vorsitzenden in der kommenden Woche wählen. Die meisten Namen stehen fest: Die streitbare Ingeborg Gräßle (CDU) wird den Vorsitz im Haushaltskontrollausschuss übernehmen, in dem sie in der vergangenen Legislaturperiode schon unermüdlich Verschwendung auf der Spur war. Elmar Brok (CDU) behält den Vorsitz des Außenausschusses. Agrarexperte Albert Dess (CSU) rückt an die Spitze des Landwirtschaftsausschusses. Der SPD-Abgeordnete Bernd Lange wird den Handelsausschuss führen. Thomas Händel (Die Linke) rückt an die Spitze des Beschäftigungsausschusses. Nur sehr wenige Vorsitze gehen an Abgeordnete aus kleinen Ländern. Eine der Ausnahmen ist Ex-Justizkommissarin Viviane Reding aus Luxemburg, die dem Rechtsausschuss vorstehen wird.