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Wechselbad der Gefühle

Europäische Union Die Ereignisse in der Ukraine drohen das deutsch-polnische Verhältnis nachhaltig zu beschädigen

11.08.2014
2023-08-30T12:26:18.7200Z
5 Min

Trug die Euro-Krise eher dazu bei, Deutsche und Polen einander näher zu bringen, so drohen die Verwerfungen in der Ukraine, das deutsch-polnische Verhältnis nachhaltig zu beschädigen." So warnt Piotr Buras, Warschauer Büroleiter der "Denkfabrik" European Council on Foreign Relations, in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Internationale Politik". In der Tat hatten Berlin und Warschau gegenüber den Euro-Krisenstaaten gemeinsam eine harte Stabilitätspolitik vertreten. In der Ukraine-Krise aber zeigt sich nun, wie sehr Polen und Deutsche in ihrem politischen Denken von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt sind. Beide Seiten werden viel guten Willen aufbringen müssen, um nicht, wie mehrfach in den letzten Jahren, in ein konfrontatives Verhältnis zu geraten.

Misstrauen

Obwohl sich Deutschland in der Nachwendezeit gegen manche Widerstände für einen schnellen EU-Beitritt Polens stark gemacht hatte, blieb jenseits von Oder und Neiße immer ein latentes Misstrauen. Warschau suchte stets die besonders enge Anlehnung an Washington, wo es einen besseren Garanten seiner Freiheit und Sicherheit sah als in Deutschland, dem man immer eine Verständigung mit Russland auf Kosten Polens zutraute - nicht unverständlich angesichts schmerzhafter historischer Erfahrungen.

Zu Spannungen führte diese Haltung 2002/03, als Polen den Irakkrieg der USA unterstützte, den die Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) aber vehement ablehnte. Für handfesten Krach sorgte dann 2005 das deutsch-russische Projekt der Nord-Stream-Pipeline (siehe Beitrag unten), das Warschau als Verletzung seiner wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen verstand. Nach Bildung der Großen Koalition im Herbst 2005 kam als weiterer Streitpunkt das im Koalitionsvertrag verankerte Projekt gegen Vertreibungen hinzu, hinter dem Polen Geschichtsrevisionismus witterte. Auf ihrem ersten EU-Gipfel als frischgekürte Bundeskanzlerin im Dezember 2005 erreichte Angela Merkel (CDU) aber eine Klimaverbesserung: Sie erklärte den Verzicht Deutschlands auf 100 Millionen Euro aus dem EU-Regionalfonds zugunsten Polens.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 erreichten die Beziehungen einen neuen Tiefpunkt. Merkel bemühte sich, mit einer Reform der europäischen Verträge die wichtigsten Ziele der zuvor gescheiterten EU-Verfassung zu retten. In den Verhandlungen darüber stellte sich die polnische Seite insbesondere in der Frage der Stimmengewichtung im Europäischen Rat quer, da sie eine Bevorzugung Deutschlands sah. Der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Dieter Bingen, urteilte später, die damals regierenden nationalkonservativen Kaczynski-Zwillinge hätten bei der Aushandlung des Lissaboner Vertrages "antideutsche Reflexe aufleben" lassen und "das Feindbild eines unverändert antipolnisch gesinnten deutschen Großmachtstrebens" gepflegt.

Der Regierungswechsel im Herbst 2007 zu Donald Tusk, dessen Bürgerplattform wie die deutschen Unionsparteien zur EVP-Familie gehört, rettete den Lissaboner Vertrag und das deutsch-polnische Verhältnis. "Wenn die Beziehungen zwischen Warschau, Berlin und Paris gut sind, dann setzen wir auch das polnische Interesse in der Europäischen Union gut um", schrieb Tusk am 23. November 2007. Auch im Verhältnis zur Russland bemühte sich Tusk um eine Normalisierung.

Meinungsverschiedenheiten, aber keine ernsthaften Differenzen zwischen Berlin und Warschau gab es über US-amerikanische Pläne, Komponenten eines Abwehrschirms gegen Langstreckenraketen in Polen und der Tschechischen Republik zu stationieren. Die Regierung Kaczynski hatte diese Pläne nachdrücklich unterstützt und, anders als Washington und Prag, nicht mit der "iranischen Gefahr" argumentiert, sondern ausdrücklich mit der "russischen Gefahr". Die seit November 2007 amtierende Regierung Tusk stellte fest, dass das Abwehrsystem zur Verteidigung polnischen Territoriums ungeeignet sei, aber von Russland als bedrohlich empfunden werde. Daher, so argumentierte sie, gehe mit der Aufstellung der Abschussrampen ein Sicherheitsverlust einher, der durch Zusatzgarantien der USA ausgeglichen werden müsse. Warschau forderte Unterstützung bei der Modernisierung seiner Streitkräfte sowie die Aufstellung von Patriot-Luftabwehrraketen. Dies hätte allerdings aus US-Sicht die Behauptung untergraben, das System richte sich nicht gegen Russland. Im Herbst 2009 erklärte Präsident Obama die Pläne zur Stationierung des Raketenabwehrsystems in Ostmitteleuropa für obsolet.

Angesichts des Georgien-Krieges 2008, der in Polen neue Ängste geschürt hatte, begannen die USA aber 2010 mit der Stationierung von Patriot-Batterien des modernen Typs SM-3 in Polen. Und zuletzt, nach dem Referendum auf der Krim, versicherte die US-Regierung, die polnische Komponente eines Raketenabwehrschilds sei nicht aufgegeben und solle bis 2018 eingerichtet werden. Zudem schickte Washington zwölf Kampfflugzeuge und einige hundert Soldaten nach Polen. Und im April 2014 unterzeichneten beide Seiten ein "Programm für Solidarität und Partnerschaft", das eine langfristige Stationierung amerikanischer Einheiten in Polen einschließt.

Diese neuerliche Hinwendung nach Washington wird in Berlin mit gemischten Gefühlen verfolgt. Zwar deutet nichts darauf hin, dass sie mit einer Abwendung von Europa verbunden ist, zumal Polen der vielleicht entschiedenste Verfechter einer gestärkten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU ist. Aber man ist besorgt, dass die Truppenstationierung russischen Einschnürungsängsten Nahrung gibt. Unstimmigkeiten gibt es auch über die von Tusk als Absicherung gegenüber Moskau angestrebte europäische Energieunion (siehe Beitrag unten), über die Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Mai sagte, man dürfe sie "nicht missverstehen als Rückweg in die Energiestaatswirtschaft".

Gefühl der Bedrohung

Gemischte Gefühle gibt es aber auch in Warschau. Zwar registrierte man durchaus die Ernüchterung, die in der deutschen Einschätzung von Putin eingetreten ist. Obwohl die Regierung Tusk einen härteren Umgang mit Putin-Russland wünscht, trägt sie die deutsche Politik der Gesprächsbereitschaft mit. Doch das Verständnis, das eine Reihe deutscher Publizisten und Politiker für das russische Vorgehen in der Ukraine gezeigt hat, hält Zweifel wach, ob im Ernstfall Verlass auf Deutschland wäre. Denn, was in Deutschland nicht recht ernst genommen wird: Viele Polen fühlen sich bedroht. 47 Prozent der Bevölkerung - so viele wie nie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 - sehen heute die Unabhängigkeit ihres Landes in Gefahr, hat das Meinungsforschungsinstitut CBOS ermittelt. Erstmals ist der Anteil derer geringer, die sich sicher fühlen.

Damit freilich unterscheiden sich die Polen nicht nur von den Deutschen. Auch in der Visegrad-Gruppe, zu der sich Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei Anfang 1991 zusammengefunden hatten, steht Polen alleine, wie Karel Schwarzenberg, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der tschechischen Nationalversammlung, unlängst in Berlin erläuterte. Die Regierung Ungarns habe "großes Verständnis" für den russischen Standpunkt geäußert, berichtete Schwarzenberg, die der Slowakei ähnlich, und in Tschechien seien die Meinungen unter den Verantwortlichen geteilt. Genauso wie Polen beurteilen eigentlich nur die drei baltischen Staaten die Lage. Deren teils große russischen Minderheiten könnten Russland als Vorwand dienen, sich ähnlich zu verhalten wie gegenüber der Ukraine, Georgien und, nicht zu vergessen, Moldau. Polen hat eine solche Minderheit nicht.