Piwik Webtracking Image

Ein Weg in die Vergangenheit

11.08.2014
2023-08-30T12:26:18.7200Z
2 Min

AUTOBAHN

Kaum drei Jahre ist es her, da gerieten Navigationsgeräte kurz hinter der deutsch-polnischen Grenze regelmäßig aus dem Konzept. "Wenn möglich, kehren Sie bitte um!", riefen die Roboterstimmen. Umleitungen versetzten die Maschinen in Alarmbereitschaft. Es wurde kräftig gebaut auf der Europastraße 30, die Berlin mit Warschau verbindet.

Jenseits der Oder holperte man jahrzehntelang über die Landesstraße 2 nach Osten. Erst seit der Fußball-Europameisterschaft 2012 ist die Autobahn durchgehend befahrbar. Zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in Polen tauften Präsident Bronislaw Komorowski und Bundespräsident Joachim Gauck die A2 im Juni auf den Namen "Straße der Freiheit". Polens Weg zur Freiheit führt nach Westen, über Berlin in die EU, sollte das heißen.

Wie beschwerlich dieser Weg war, lässt sich noch immer auf der alten Landesstraße erleben. Sie führt parallel zur A2 Richtung Warschau. Wer Maut sparen will, weicht aus, rumpelt über Schlaglöcher und taucht mit den Rädern in abgrundtiefe Spurrinnen ein. Geschlagen hat diese Wunden der Schwerlastverkehr, der nach 1989 anschwoll wie eine Lawine.

Mehr Störche als Händler

Die Straße führt vorbei an Schildern, die auf zwielichtige Etablissements hinweisen. "Alibi" und "Eden" heißen die Nachtclubs, die überlebt haben. Nur selten noch sieht man am unbefestigten Straßenrand jene Frauen mit hüfthohen Lederstiefeln, die sich dort früher um die besten Plätze an Haltebuchten und Lichtungen stritten. Die Prostitution hat im boomenden Polen längst keine Konjunktur mehr. Das gilt auch für den Straßenverkauf. Einst boten auf dem Weg nach Warschau fast überall Männer und Frauen jenseits der 70 für wenige Zloty die Früchte der polnischen Wälder und Felder feil. Selbst gesammelte Pilze und Beeren gehörten dazu oder eigelegte Gurken und Tomaten. Weiter im Osten, hinter Kutno, verkauften sie Äpfel aus dem eigenen Garten oder von den Streuobstwiesen der Gemeinden. Heute sieht man häufiger Störche als Händler. "Ich setze mich nur noch manchmal an die Straße, aus alter Gewohnheit", erzählt Jolanta Lipinska, die bei Lowicz Pfifferlinge verkauft. Die Zahl der Polen, die zumindest teilweise Selbstversorger sind, hat in den Zeiten des Wirtschaftswunders drastisch abgenommen.

Von Lowicz sind es noch 80 Kilometer bis nach Polens Hauptstadt Warschau. Das Navigationsgerät schlägt dort heute, im Sommer 2014, vor, schnell noch für den Rest der Strecke auf die Autobahn 2 zu wechseln. Über dem Asphalt der alten Landesstraße flirrt die Hitze wie ein Schimmer verdichteter Nostalgie.