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GESUNDHEIT : Es krankt in den Kliniken

Die Krankenhäuser sollen mehr Qualität liefern und sich stärker spezialisieren

06.07.2015
2023-08-30T12:28:05.7200Z
4 Min

Der Gesetzentwurf war kaum bekannt, da hagelte es Kritik und Proteste. Die von Bund und Ländern geplante Klinikreform sei völlig unzulänglich, monierten die Gewerkschaft Verdi und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) unisono. DKG-Präsident Thomas Reumann malte ein düsteres Bild von der Lage der bundesweit rund 2.000 Kliniken und verlangte nicht weniger als einen Befreiungsschlag. ,,Wir haben nicht den Eindruck, dass die für dieses Reformkonzept Verantwortlichen aus Bund und Ländern wirklich wissen, was in den Krankenhäusern los ist", beklagte sich Reumann und legte alarmierende Fakten nach. Demnach schreiben rund 40 Prozent der Krankenhäuser rote Zahlen, die Notfallambulanzen sind völlig überlastet und unterfinanziert, es mangelt überall an Personal. Hinzu kommt eine jährliche Investitionslücke in Milliardenhöhe. Dass im Gesetzentwurf nun eine Aufstockung der Pflegekräfte vorgesehen ist, kann die Gemüter nicht beruhigen. Nach Ansicht der DKG helfen die "zusätzlich höchstens 4.400 Pflegekräfte" wenig, "wenn gleichzeitig die Mittel für 10.000 Pflegekräfte gekürzt werden". Das Pflegestellenförderprogramm werde vermutlich ohnehin nicht wirken, da viele Kliniken den geforderten Eigenanteil nicht aufbringen könnten. Nach Berechnungen von Verdi fehlen in den Kliniken 162.000 Stellen, darunter 70.000 für Pflegekräfte.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte im Dezember 2014 Eckpunkte für eine Reform vorgelegt, die nun in das Gesetz eingeflossen sind. In der Vorlage wird Qualität als zentrales Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. Auch die Krankenhausvergütung soll sich an Qualitätsaspekten orientieren. So werden Zuschläge gewährt für gute Qualität, Abschläge drohen hingegen bei Qualitätsmängeln. Neu aufgelegt wird ein Förderprogramm für Pflegestellen im Volumen von insgesamt bis zu 660 Millionen Euro in den Jahren 2016 bis 2018. Ab 2019 sollen dauerhaft 330 Millionen Euro pro Jahr bereitstehen. Auf diese Weise sollen voraussichtlich 6.350 neue Stellen geschaffen werden, die nur der ,,Pflege am Bett" dienen. Um den für die Krankenhausplanung zuständigen Ländern mehr Mittel an die Hand zu geben, wird ein Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen Euro aufgelegt, gespeist aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Die Länder sollen einen Beitrag in gleicher Höhe beisteuern, sodass eine Milliarde Euro zur Verfügung stünden, die zum Abbau von Überkapazitäten und zur Konzentration von Versorgungsangeboten genutzt werden sollen.

Personalmangel Die Krankenhausmisere ist im Kern unstreitig, aber die unterschiedlichen Lösungsansätze sorgten in der ersten Beratung über den Gesetzentwurf (18/5372) vergangene Woche für eine harsche Konfrontation zwischen Regierung und Opposition. Mehrere Redner wiesen dabei auf die enorme gesundheitspolitische wie volkswirtschaftliche Bedeutung der Kliniken hin, die eine Versorgung rund um die Uhr bieten, mehr als 80 Milliarden Euro Umsatz machen und nicht selten zu den größten regionalen Arbeitgebern gehören. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, die rund 1,2 Millionen Mitarbeiter in den Kliniken absolvierten jedes Jahr mehr als 18 Millionen Behandlungen. Dies sei ein herausragender Beitrag zur Gesundheitsversorgung. Eine Expertenkommission soll nun nach der Sommerpause prüfen, wie der erhöhte Pflegebedarf bei der Honorierung abgebildet werden kann. Dabei kommen auch die umstrittenen Fallpauschalen auf den Prüfstand.

Die Opposition ist wenig begeistert. Harald Weinberg (Linke) sagte, Realität in den Kliniken seien Minutenpflege, Arbeitshetze und Flucht aus dem Job. Der Patientendurchlauf habe sich beschleunigt, der Kostendruck werde größer. Der Strukturfonds sei in Wahrheit eine "Abwrackprämie" für Kliniken. Das Pflegeförderprogramm laufe auf ganze drei zusätzliche Stellen pro Klinik hinaus. Die Linke fordert in einem Antrag (18/5369), für die Häuser eine Personalbedarfsermittlung gesetzlich zu verankern. Weinberg sagte, mit dem Entwurf würden die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft. Schlechter gehe es kaum.

Elisabeth Scharfenberg (Grüne) monierte, die Vorlage habe zwar einen beindruckenden Umfang, aber gravierende Mängel. Sie warnte, es gebe eindeutige Alarmzeichen, dass etwas schief laufe. So seien zwischen 1996 und 2012 rund elf Prozent der Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut worden. Das Pflegestellenprogramm sei richtig, aber viel zu klein. Wie die Linken wollen die Grünen eine verbindliche Personalbemessung. In einem Antrag (18/5381) verlangen sie zudem Veränderungen in der Finanzierung und Ausstattung der Kliniken, zumal die Zahl der Patienten mit Demenz stark steigen werde. Es komme auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen und eine Aufwertung der Pflege an. Nötig seien ferner flexiblere Versorgungsstrukturen. Scharfenberg rügte, die Regierung schiebe nötige Reformen einfach weiter vor sich her.

Spezialisten gefragt Karl Lauterbach (SPD) sagte, mehr Qualität trage auch dazu bei, Krankenhausinfektionen zu vermeiden. Zudem verhindere die Mindestmengenregelung, dass bei seltenen, komplizierten Eingriffen die Patienten einem erhöhten Risiko ausgesetzt würden. In dieselbe Richtung argumentierte auch Jens Spahn (CDU), der anmerkte, dass manche Kliniken nur selten Schlaganfallpatienten hätten und daher auch keine Experten auf dem Gebiet. Es mache also Sinn, etwas weitere Entfernungen in Kauf zu nehmen und dafür mehr Versorgungsqualität zu bekommen. Im Übrigen könnten 96 Prozent der Bürger innerhalb von 25 Minuten ein Krankenhaus erreichen. Laut Spahn fließt derzeit jeder dritte Euro, der im Gesundheitswesen ausgegeben wird, in die Krankenhausversorgung. In den Jahren 2008 bis 2014 seien die Ausgaben für Kliniken in der GKV um 30 Prozent gestiegen. Finanzielle Probleme hätten derweil vor allem kleine Häuser ohne Spezialisierung in Ballungszentren. Hinterfragt werden müsse auch, warum und wie viel operiert werde und warum regional unterschiedlich. Es gehe also um die Bereitschaft, Strukturen zu verändern.

Auch Georg Nüßlein (CSU) erinnerte an die Finanzierungszwänge. Zwei Drittel der Kosten in Kliniken entfielen auf das Personal. Die GKV gebe allein 68 Milliarden Euro für Klinikbehandlungen aus, ein Drittel der Gesamtausgaben. Was die Pflege betreffe, übersteige derzeit die Zahl der offenen Stellen die der Bewerber. Eine Ausweitung des Programms reiche also nicht. Marina Kermer (SPD) sprach sich gleichwohl dafür aus, das Pflegeförderprogramm auf 1,3 Milliarden Euro zu verdoppeln. Die Pflegekräfte stünden am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Es stehen nun komplexe und sehr schwierige Beratungen bevor, denn die klammen Länder müssen die Reform mittragen.