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ManfreD SCHMIDT : »Es gibt viele Erfolge«

Der Leiter des Migrations-Bundesamts zur Integration von Muslimen und zu Flüchtlingen in Deutschland

05.01.2015
2023-11-08T12:32:56.3600Z
5 Min

Herr Schmidt, beim Thema Integration von Zuwanderern wird viel über die Millionen Muslime hierzulande diskutiert und darüber, dass es da häufig an der Integration hapert. Wie sehen Sie das?

Das Ganze ist eine schwierige Diskussion, auch, weil die Zahl der Muslime in Deutschland oft überschätzt wird. Nach einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration gehen 70 Prozent der Befragten von deutlich mehr als den tatsächlichen vier Millionen aus. Das zeigt sich auch an den Montagsdemonstrationen „gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Bei 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland ist die Integration unproblematisch. Es gibt Probleme im Bildungsbereich. Das hat aber nichts mit Religionszugehörigkeit zu tun, sondern mit sozio-ökonomischen Ursachen.

Der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat da in seinem Bezirk Neukölln aber ganz andere Erfahrungen ….

Herr Buschkowsky ist ja für die Politik, die in seinem Bezirk gemacht wird, seit langem verantwortlich. Er hat aber insofern Recht, als wir bestimmte Probleme bei der Integration wie zum Beispiel auch in Neukölln, nicht totschweigen dürfen. Man muss dabei aber differenzieren.

Liegen die Integrationsprobleme primär an mangelnder staatlicher Förderung, wie es die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sagt, oder liegt vieles nicht auch am Verhalten der Migranten selbst?

An staatlicher Förderung mangelt es aus meiner Sicht nicht. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gibt es Integrationskurse als Kern der bundesstaatlichen Förderung. Wir hatten 2014 etwa 200.000 Teilnahmeberechtigungen für den Integrationskurs ausgestellt – so viele wie seit 2005 nicht mehr. Über 60 Prozent nehmen freiwillig teil. Daran zeigt sich, dass der Wille da ist, deutsch zu lernen. Die Bestehensquote auf dem höchsten Niveau liegt bei 60 Prozent. Andererseits werden im Bildungsbereich Kinder nicht genügend nach ihrer sozialen Herkunft gefördert. Dazu hat die Bundesregierung unter anderem ein Sonderprogramm mit 400 Millionen Euro für Schwerpunkt-Kitas aufgelegt. Aber wir müssen auch über die vielen Bildungserfolge von Migranten reden, die zum Beispiel der 10. Bericht der Integrationsbeauftragten zeigt.

Im diesem Bericht fand sich die Bemerkung, der Bildungsstand habe kaum Auswirkungen auf die Armutsgefährdung von Migranten. Das steht doch in ziemlichem Gegensatz zu Aussagen der Bundesregierung, oder?

Ich glaube nicht, dass es da einen Gegensatz gibt. Diesen Befund haben die Integrationsbeauftragte, aber auch der Sachverständigenrat ja richtig herausgelesen. Zum Beispiel müssen Jugendliche mit türkischem und arabischem Nachnamen mehr Bewerbungen schreiben als jemand, der Schmidt heißt.

Sind Sie für anonymisierte Bewerbungen?

Dieses Modellvorhaben kam von der Antidiskriminierungsstelle. Es zeigte sich, dass nach anonymisierten Bewerbungen ein höherer Anteil Bewerber mit Migrationshintergrund zu Gesprächen eingeladen wurde. Die Einmündung später in den Beruf ist aber dann kaum messbar. Ich bin trotzdem für anonymisierte Bewerbungen, weil sie mittelfristig wirken: Wenn man in einem Bewerbungsgespräch einen konkreten Menschen vor sich hat, lösen sich eventuell vorhandene Vorurteile oft auf, nach dem Motto: Den meine ich ja gar nicht.

Was muss getan werden, damit jungen Leuten aus Zuwandererfamilien der Einstieg in Ausbildung und Arbeit besser gelingt?

Wir brauchen zum Beispiel eine begleitende Einmündung in den Beruf. Das Übergangsmanagement zwischen Schule und Beruf muss verstärkt werden. Bei Arbeitgebern müssen wir zudem helfen, Vorurteile abzubauen. Der vergangene Integrationsgipfel hat gezeigt, dass es da viele Maßnahmen gibt. In Hamburg werden zum Beispiel alle Jugendlichen erfasst und die Senatsbehörden schauen dann, ob alle in eine Ausbildung gekommen sind und wo es noch hapert. Das ist ein vernünftiger Weg.

Zu Flüchtlingen: Deutschland registrierte zuletzt eine Verdoppelung der Zahl von Asylbewerbern in den beiden vergangenen Jahren auf rund 200.000. Wird der Trend anhalten und welche Zahlen sind verkraftbar?

Für Menschen, die in Deutschland Schutz brauchen und politisch verfolgt sind, kann es keine Grenzen nach oben geben. Diesen Anspruch haben wir nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Grundgesetz. Der Trend für 2015 ist schwer abzuschätzen. Wir gehen von 230.000 Flüchtlingen aus, die nach Deutschland kommen. Dabei gibt es das Phänomen der vielen Anträge aus den sicheren Herkunftsländern im westlichen Balkan.

Gibt es denn nach den gesetzlichen Regelungen, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer einzustufen, schon einen Rückgang der Anträge?

Im Moment noch nicht. Das ist aber immer so. Es gibt dann meist die letzte Welle, bevor sich etwas ändert.

Wie sehen Sie die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung für Flüchtlinge?

Es ist ein unglaubliches Engagement da. Nur ein Beispiel: Nachdem im 10.000-Einwohner-Ort Meßstetten in Baden-Württemberg eine Erststelle des Landes eingerichtet wurde, haben sich binnen kurzer Zeit 150 ehrenamtliche Helfer gemeldet. Oder in Erlangen gab es so viele Kleiderspenden, dass die Stadt Hallen anmieten musste.

Aber es gibt auch Proteste gegen weiteren Zustrom von Ausländern wie in Berlin, Dresden oder anderswo. Haben Sie Verständnis für die Sorgen der Bürger?

Nein. In Dresden wird gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ demonstriert, dabei hat Sachsen einen Anteil muslimischer Staatsangehöriger von 0,1 Prozent. Nach einer „Spiegel“-Umfrage sagen 65 Prozent, dass die Politik nicht genug auf die Sorgen der Bürger über die Flüchtlings- und Migrationspolitik eingeht. Da ist es schwierig, eine Einschätzung zu geben. Klar ist: Je früher man mit Menschen kommuniziert und Bürgerversammlungen macht, umso eher kann man eventuelle Vorbehalte oder Vorurteile abbauen. Ängste sind auch etwas Subjektives, gegen die man nicht immer rational vorgehen kann.

Die bayrische Landesregierung hat sich beschwert, dass beim Bamf über 160.000 Asylanträge unbearbeitet sind. Wann kann Ihre Behörde Asylanträge schneller bearbeiten?

Wir haben in diesem Jahr bereits über 50 Prozent mehr Anträge entschieden als 2013. 2015 bekommen wir 350 neue Kollegen, 2014 waren es 300. Das Ganze ist eine Ressourcenfrage, es geht aber auch um die Rahmenbedingungen generell.

Ein Problem ist die sehr geringe Zahl von Abschiebungen bei uns. In Deutschland wurden bei 148.000 Ausreisepflichtigen in der ersten Hälfte 2014 nur 5.700 Menschen abgeschoben. Wie kommt das?

Man muss zwangsweise und freiwillige Rückführungen sehen. Freiwillig sind 2014 rund 12.000 Personen heimgekehrt. Bei zwangsweisen Abschiebungen gibt es dasselbe Problem wie bei der Bearbeitung der vielen Asylanträge. Auch die für Abschiebungen zuständigen Ausländerbehörden sind personell nicht so ausgestattet, damit die oft mit höherem Aufwand verbundenen Abschiebungen in erhöhter Anzahl stattfinden können.

Zwei Drittel der Flüchtlinge in der EU kommen in ein halbes Dutzend Länder, darunter Deutschland. Alle Appelle zu gerechterer Verteilung verhallen bisher. Sind solche Aufrufe nicht illusorisch, weil jeder erst mal an sich selber denkt?

Es ist richtig, dass jeder hier an sich selbst denkt. Die derzeit diskutierte Verteilungsregelung ist ja eine administrative. Es müssen aber auch die Aufnahmebedingungen in den entsprechenden Ländern besser geregelt werden. Dass nur fünf EU-Länder nennenswert Flüchtlinge aufnehmen, kann nicht so weiter gehen. Die EU ist ja auch ein Werteverbund.



Manfred Schmidt (Jahrgang 1959) ist seit Dezember 2010 Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Gebürtig in Frankfurt am Main, hat er Rechtswissenschaften studiert. Nach der Promotion 1990 arbeitete Schmidt im Bundesinnenministerium, zuletzt leitete er dort die Abteilung für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz.