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EU-ASYLPOLITIK : Zu wenig Harmonie

Europa ist weit entfernt von einem einheitlichen Umgang mit Flüchtlingen

05.01.2015
2023-11-08T12:32:56.3600Z
4 Min

Die Brisanz des Themas hat die EU erkannt: „Europa muss seinen Umgang mit der Migration in jeder Hinsicht verbessern“, urteilt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Erstmals hat er in seinem Team einen Kommissar, der den Begriff Migration im Titel führt. Doch der Grieche Dimitris Avramopoulos steht vor einer großen Herausforderung: Die Mitgliedstaaten zeigen wenig Elan für eine wirklich gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik.

Bereits im Wahlkampf hat Juncker das Thema Migration herausgestellt. „Es wäre naiv zu glauben, dass Europa die Herausforderung der Einwanderung nur durch Offenheit und Gastfreundlichkeit bewältigen kann“, hatte er betont. Klar ist inzwischen wohl allen, dass Europa Lösungen finden muss, denn der Zustrom der Flüchtlinge könnte noch zunehmen. 2013 beantragten 29 Prozent mehr Menschen in der EU Asyl als noch 2012. Und im ersten Halbjahr 2014 ging der Trend weiter nach oben.

Im Juni 2013 haben sich Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament auf ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ geeinigt. Ziel war es, die Verfahren in der EU zu vereinheitlichen und Flüchtlingen überall ähnliche Bedingungen zu gewährleisten (siehe Spalte links). Doch der Kompromiss illustriert, wie zäh der Fortschritt auf diesem Gebiet ist. Denn anders als der Name andeutet, gibt es weiterhin wenig Harmonisierung in Europa. Die neuen Regeln, die ab 2015 gelten müssen, werden kaum dazu führen, dass der aktuelle Flickenteppich abgelöst wird.

Bisher haben Asylbewerber sehr unterschiedliche Chancen, in einem Land anerkannt zu werden. So lag die Schutzquote in Italien 2013 bei 64 Prozent, in Deutschland bei 26 Prozent und in Frankreich bei nur 17 Prozent. Kritiker des aktuellen Systems sprechen deshalb von einem Lotteriespiel.

Allein bei der Verfahrensdauer dürfte es weiterhin Unterschiede geben. Vorgesehen ist zwar beispielsweise eine Standarddauer von sechs Monaten, aber de facto können die Mitgliedstaaten die Prozedur auf 21 Monate ausdehnen. Die EU-Kommission wollte den Asylsuchenden ursprünglich Anspruch auf Sozialhilfe zusprechen, zog nach heftigen Protesten der Mitgliedstaaten einen entsprechenden Entwurf jedoch zurück. Das gemeinsame Asylsystem sieht vor allem keinen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge vor. Bisher ist die Last sehr ungleichmäßig verteilt: Fünf der 28 EU-Staaten haben 2013 insgesamt 70 Prozent aller Asylbewerber registriert: Deutschland, Frankreich, Schweden, Italien und Großbritannien. Rund zehn Länder nehmen dagegen kaum Flüchtlinge auf, moniert die EU-Kommission.

Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass Schutzbedürftige Asyl in dem Land beantragen müssen, in dem sie die EU zuerst betreten. Doch damit haben es nicht alle Länder genau genommen. Italien hat zeitweise bis zu zwei Drittel der Ankömmlinge in andere Länder weiter reisen lassen. Nach Brüsseler Informationen hat sich dieser Anteil mittlerweile auf 20 Prozent reduziert.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat im Oktober in Brüssel gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Spanien auf eine gerechtere Lastenverteilung gepocht. Doch die Aussichten auf eine schnelle Einführung einer Quote sind gering. „Ich sehe keine dringende Notwendigkeit für große Änderungen im Asylsystem in der nahen Zukunft“, sagt Migrationskommissar Avramopoulos.

Sein großes Thema ist die legale Einwanderung nach Europa. „Eine der Prioritäten während meines Mandats wird eine neue europäische Politik für die geordnete Einwanderung sein mit einem Fokus auf hochqualifizierte Migranten“, kündigte er jüngst an. Avramopoulos geht davon aus, dass eine solche Einwanderung Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken kann und vor allem der Überalterung der Gesellschaft entgegen wirkt. „Ohne Zuwanderung wird Europas Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter bis 2020 verglichen mit dem Beginn des Jahrzehnts um 15 Millionen sinken“, rechnet er vor. Bis 2060 ist ein Rückgang um 50 Millionen zu erwarten.

Juncker will die Besten aus der ganzen Welt anziehen: „Ich möchte, dass Europa mindestens so attraktiv für qualifizierte Zuwanderung wird, wie es die beliebtesten Zielländer Australien, Kanada und die USA heute schon sind.“

Bisher hat sich Europa mit dem Thema schwer getan. 2012 wurde die Blue Card eingeführt, eine Arbeitsgenehmigung für hochqualifizierte Nicht-EU-Bürger, doch das Instrument läuft nur schleppend an. In den ersten beiden Jahren des Programms wurden gerade einmal 10.000 Arbeitsgenehmigungen ausgestellt. Einige Mitgliedstaaten haben die entsprechenden Richtlinien noch nicht einmal umgesetzt. „Ihre praktische Anwendung wird auf nationaler Ebene durch zu viel Bürokratie behindert“, kritisiert Juncker.

Suche nach Talenten Bis Ende April soll Kommissar Avramopoulos in Junckers Auftrag die Blue Card überprüfen, bei weiteren Schritten soll er sich von erfolgreichen Modellen inspirieren lassen. Längst sind aber auch andere Länder auf der Suche nach den Talenten. „Die Golf-Staaten und Singapur sind bereits Wettbewerber“, urteilt Rainer Münz vom Brüsseler Thinktank Bruegel. „In Zukunft werden sich noch mehr Länder an dem weltweiten Rennen um Talente beteiligen“, sagt er und nennt China und Süd-Korea.

Avramopoulos hält die Angst vor Migration für unbegründet. „Wir sollten uns nicht vor Einwanderung fürchten, es gibt andere Dinge, vor denen wir uns fürchten sollten“, betonte er bei seiner Anhörung vor dem EU-Parlament. In den Mitgliedstaaten wird er da allerdings noch Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Die Autorin ist Korrespondentin der »Wirtschaftswoche« in Brüssel.