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KLIMASCHUTZ : Jahr der Entscheidungen

Für die Zukunft des Planeten werden 2015 wichtige Weichen gestellt

27.07.2015
2023-08-30T12:28:07.7200Z
5 Min

Es war eine der wichtigsten Botschaften der Klimaverhandlungen 2014 in Lima: Über der Diskussion um Ziele und Zeitpläne dürfen wir das Handeln nicht vergessen. Wenn Ende dieses Jahres in Paris erneut Klimaverhandlungen stattfinden, dann sollten sie in erster Linie dazu führen, Prozesse für nachhaltige Entwicklung und global wirksamen Klimaschutz mit Nachdruck voranzutreiben. Es müssen überprüfbare Wege für den Kampf gegen den Klimawandel aufgezeigt und verlässlich in Angriff genommen werden. Ein erster wichtiger Schritt dahin ist die Selbstverpflichtung der Staaten zur Emissionsminderung ("Intended Nationally Determined Contributions", INDCs).

Insgesamt ist das Jahr 2015 ganz entscheidend für die künftige Entwicklung der Menschheit - nicht nur wegen des anstehenden Klimagipfels. Denn in diesem Jahr haben auch die Anfang dieses Jahrtausends von den Vereinten Nationen verabschiedeten "Millennium Development Goals" (MDGs) ihr Zieljahr erreicht. Die Ergebnisse sind keineswegs entmutigend, auch wenn wichtige Ziele nicht oder nicht hinreichend verwirklicht werden konnten. So konnte das Ziel, den Hunger weltweit zu halbieren, in wichtigen Regionen der Welt, vor allem in Afrika, nicht erreicht werden. Gleiches gilt für den gesicherten Zugang zu Trinkwasser. Das Wachstum der Bevölkerung, die rasante Verstädterung und nicht zuletzt auch der besonders in Entwicklungsländern bereits jetzt deutlich spürbare Klimawandel verschärfen die Probleme.

Das Auslaufen der MDGs verpflichtet die Weltgemeinschaft, sich neue Zielmarken zu setzen. Im Zuge der Vorbereitungen auf die Konferenz Rio+20 im Jahre 2012 wurde einmal mehr klar: Entwicklung kann nur dann dauerhaft erfolgreich sein, wenn sie nachhaltig ist, wenn sie weder auf Kosten der sozialen Verantwortung in der Gesellschaft, noch zu Lasten der Umwelt und ihrer Leistungen für wirtschaftliche Entwicklung einerseits und in ihrer Verantwortung für die Schöpfung andererseits geht. Sehr eindeutig hat dies der früher Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, formuliert: "Wohlstand, aufgebaut auf der Zerstörung der Umwelt, ist kein wirklicher Wohlstand, bestenfalls eine kurzfristige Milderung der Tragödie. Es wird kaum Frieden, wohl aber noch mehr Armut geben, falls dieser Angriff auf die Natur anhält."

Auch und gerade die hoch entwickelten Länder sind aber weit von einer Nachhaltigkeit ihres Wirtschaftens und Konsumierens, ihrer Lebensstile und Anforderungen an die Gaben von Natur und Umwelt entfernt - und weit entfernt von der Bewahrung der Schöpfung. In seiner Enzyklika "Laudato Sì" hat Papst Franziskus diese Fehlentwicklung in den Industrieländern mit großer Offenheit und Klarheit und nicht zuletzt mit dem klaren Auftrag zur Umkehr herausgearbeitet.

Konkrete Utopie Die Konferenz Rio+20 hat die Idee für die Erarbeitung nachhaltiger Entwicklungsziele, die globale Gültigkeit haben, für alle Länder unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstands neu eingefordert. Es ist in engagierter und sehr erfolgreicher Vorbereitungsarbeit gelungen, 17 Ziele (die so genannten Sustainable Development Goals, SDGs) zu formulieren und ihre Realisierung mit über 160 Teilzielen zu verbinden. Sie werden im September dieses Jahres der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN), zur Beratung und Beschlussfassung vorliegen. Was noch vor nicht allzu langer Zeit als ferne Vision abgetan wurde, wird damit eine konkrete Utopie für eine Welt, in der im Jahre 2050 neun Milliarden Menschen friedlich zusammenleben sollen.

Ohne blauäugigen Optimismus kann erwartet werden, dass die Vollversammlung diese Chance nutzen wird.

Für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, zu denen auch die Bekämpfung des Klimawandels und die Förderung des Zugangs zu verlässlicher und nachhaltiger Energie gehören, muss jedoch in partnerschaftlicher Weise ein System von handlungsrelevanten Indikatoren entwickelt werden. Die Ziele müssen vergleichbar und überprüfbar gemacht werden, ohne dass sich in den Verhandlungen darüber in Details verloren wird. Dies gilt in gleichem Maße für die Verhandlungen zum Klimaschutz, wo neben einer Berücksichtigung der unterschiedlichen Kapazitäten verschiedener Staaten in erster Linie die Chancen, die sich durch Klimaschutz und Klimaanpassung ergeben können, betont und befördert werden sollten. Die Verhandlungen in Paris werden dies betonen.

Es zeigt sich, dass die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen möglich ist. Wenngleich man davon ausgehen muss, dass die Emissionen aus dem Energiesektor in einigen Teilen der Welt weiterhin ansteigen werden, ist doch vieles erreicht worden und das zu großen Teilen durch Maßnahmen, die positive Effekte für Wirtschaft, Gesundheit und Klimaschutz verbinden.

Die Verwirklichung der 17 Entwicklungsziele kann nur gelingen, wenn zentrale Querbezüge mit bedacht werden. Sie müssen auf Grundlagen aufbauen, die in zwei weiteren Bereichen ebenfalls in diesem Jahr erarbeitet werden: Die Frage der Mittel zur Umsetzung der Ziele ("Means of Implementation") wurde zuletzt auf der dritten internationalen Konferenz zu "Financing for Development" in Addis Abeba vorangebracht. Im Dezember wird die Staatengemeinschaft dann bei der Klimakonferenz in Paris den Rahmen setzen für eine durch Taten gekennzeichnete Klimapolitik. Beides sind wichtige Fundamente für eine umfassende Strategie der Nachhaltigkeit. Damit die Nachhaltigkeitsziele mehr werden können, als papierene Beruhigung für das engagierte "Business als usual", muss es gelingen, dass die Querverbindungen zwischen diesen Prozessen auch in der Umsetzung gezogen werden. Im Klartext heißt dies, dass man sich bei den "Means of Implementation" nicht allein auf die Verfügbarkeit von Finanzmitteln beschränken kann. Auch die technologische Entwicklung und gegenseitige Unterstützung, um die realistisch bestehenden Chancen einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft zu verwirklichen, wie auf dem G7-Gipfel in Elmau im Juni dieses Jahres bekräftigt wurde, zählen dazu. Über den Ausbau erneuerbarer Energien kann sowohl ein substanzieller Beitrag zu wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsbekämpfung geleistet als auch Klimaschutz wirksam vorangetrieben werden.

Dass es möglich ist, eine Dekarbonisierung der Wirtschaft ökonomisch sinnvoll zu erreichen, zeigt die Entwicklung im Sektor der Technologien zur Erzeugung von Strom aus deutlich klimafreundlicheren, da CO2-ärmeren Quellen wie Wind und Sonne. Schon innerhalb der nächsten zwei Jahre können die Systemkosten der Solarenergie - also die Erzeugung sowie die infrastrukturellen Konsequenzen für Leitungen und Speicherung - das gleiche Preisniveau wie Kohlestrom erreichen. Strom aus erneuerbaren Energien ist damit insbesondere in den Regionen wettbewerbsfähig, die bezüglich der Sonnenscheindauer beziehungsweise der Windintensität deutlich besser aufgestellt sind als Deutschland. Damit wird der Aufbau von wirtschaftlichen und klimafreundlichen Energiesystemen weltweit möglich - eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass über "Sustainable Energy for All" das Recht auf Entwicklung aller Länder, wie in Rio 1992 beschlossen, realisierbar wird. Wenn es gelingt, dass ärmere Länder insbesondere in Afrika, den für ihre Entwicklung dringend notwendigen Energiebedarf über den Ausbau kohlenstoffarmer Energieerzeugung decken, ist die globale (Klima)Politik nachhaltig gelungen.

Die Ergebnisse der Klimakonferenz in Lima haben diesen kreativen Weg jenseits von legal verbindlichen Zielen und Zeitplänen hin zu den national festgelegten Beiträgen der INDCs geebnet. Es ist die entscheidende Bemühung, mit größter Dringlichkeit einen Prozess des Handelns gegen den Klimawandel auf den Weg zu bringen und nicht zu resignieren vor nicht erreichbaren Zielen. Entscheidend wird sein, dass der Prozess in Zukunft verbindlich und überprüfbar ist. Dann wird er zu einer sich stets verstärkenden, dynamischen Klimapolitik führen.

Der Autor ist Exekutivdirektor des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Von 1987 bis 1994 war er Bundesumweltminister, von 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).