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THOMAS LUTZE : »Der radikale Kahlschlag war tödlich«

1990 erlebte der heutige Linke die Deindustrialisierung des Ostens hautnah mit

31.08.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
3 Min

Wie das damals lief mit der Deindustrialisierung des Ostens habe ich am eigenen Leib erfahren. Ich arbeitete damals in Leipzig in einer Gießerei, bei der ich zuvor auch schon meine Berufsausbildung mit Abitur von 1986 bis 1989 gemacht hatte. Das war ein hochmoderner Betrieb, der Kurbel- und Nockenwellen für VW produziert hat. Die wurden im Polo und im Golf II eingebaut. Da wurde also kein Schrott produziert. Und dennoch war von einem Tag auf den anderen Schluss. Damals habe ich es nicht verstanden, warum auch dieser Betrieb deindustrialisiert wurde. Ich bin fest davon überzeugt, dass es da auch andere Möglichkeiten gegeben hätte.

Dieser radikale Kahlschlag in den Jahren 1990 und 1991 - der war tödlich für die Ostwirtschaft. Davon hat sie sich nie wieder erholt. Hätte es Alternativen gegeben? Na sicher! Man hätte beispielsweise zeitlich befristete Sonderwirtschaftszonen einrichten sollen - das war aber politisch nicht gewollt. Es hätte ja auch eine Konkurrenz zu den Wirtschaftsstandorten im Westen dargestellt. Ich denke, dass vieles bewusst kaputt gemacht wurde, um Überkapazitäten abzubauen und so unliebsame Konkurrenz aus dem Verkehr zu ziehen.

Nach meiner Entlassung 1990 stand ich vor der Frage: Wie geht's weiter? Ich bin dann ein Jahr lang mit einem guten Freund auf Montage in den Westen gegangen und habe dabei gutes Geld verdient. Aber mir war dennoch klar, dass das auf Dauer nichts ist, immer wieder von Baustelle zu Baustelle zu ziehen.

Also entschied ich mich zu studieren. In Saarbrücken bin ich nicht zuletzt auch deswegen gelandet, weil ich mir mit meinen 800 Mark Bafög klassische Universitätsstädte ebenso wie München, Hamburg oder Frankfurt gar nicht hätte leisten können. Als ich 1991 das Studium begann, waren die Menschen, die ich traf, neugierig darauf, was ich zu erzählen hatte. Es herrschte ein großes Interesse und es gab wenige Vorurteile gegenüber den Menschen aus der DDR.

Nun ist das Saarland schon 24 Jahre meine Heimat. Anfangs hieß es, man müsse 20 Jahre im Saarland leben, um ein echter Saarländer zu sein. Als die Zeit um war, wollte davon keiner etwas wissen. Echter Saarländer ist man eben doch nur, wenn man hier geboren ist. Erich Honecker etwa ist insofern eher Saarländer als ich. Kaum zu glauben - aber als Honecker vor Gericht stand, hat er trotz allem bei den Saarländern einen gewissen Bonus gehabt. Da wurde schon mal wohlwollend genickt und gesagt: Das ist einer von uns.

Oskar Lafontaine ist natürlich auch ein echter Saarländer. Wenn man auf die Zeit der Wende zurückblickt, muss man schon sagen, dass Lafontaine mit seinen Warnungen vor einem allzu schnellen Zusammengehen von Ost und West Recht gehabt hat. Doch er hatte in dieser heißen Phase 1990 keine Chance, das in einer Form zu kommunizieren, mit der man auch Wahlen gewinnt. Denn es ging damals darum, die Wahlen zu gewinnen.

Ich glaube, im Osten haben schon damals viele Leute Lafontaine Recht gegeben. Gewählt haben sie aber trotzdem Helmut Kohl. Es war ein Wunschdenken: Hoffentlich gibt es die blühenden Landschaften, von denen Kohl redet.

Ich selbst bin 1994 aufgrund einer Veranstaltung mit Gregor Gysi in Saarbrücken Mitglied der PDS geworden. Es gab dann ein kleines Regionalbüro der Partei hier in Saarbrücken. Dort war ich nach dem Studium zwei Wahlperioden lang Mitarbeiter. 2005 mussten dann relativ schnell Gespräche in Sachen Zusammenarbeit von WASG und PDS geführt werden. Da die Listenverbindung nicht zulässig war, musste rechtlich wasserdicht sichergestellt werden, dass auf dem Ticket der PDS im Westen an den entscheidenden Stellen Politiker der WASG standen. Das musste innerhalb kürzester Zeit organisiert werden. Dabei habe ich mitgewirkt. Ich kannte diese formalen Vorgänge sehr gut und hatte Erfahrungen mit der Vorbereitung von Wahlen. Als die Wahl dann gelaufen war, hat mich Lafontaine in seinem Wahlkreisbüro angestellt. Das war auch eine gute Vorbereitung auf meine eigene Abgeordnetentätigkeit später. Es ist nämlich ganz gut, wenn man weiß, worauf man sich einlässt.