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AUSLAND : So sehen die Nachbarn auf Deutschland

Berichte aus Frankreich, Polen und den Niederlanden

31.08.2015
2023-10-11T10:46:04.7200Z
4 Min

Frankreich

"Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt." Der Satz, der dem Schriftsteller François Mauriac zugeschrieben wird, trifft die Haltung vieler Franzosen nach 1945. Als im November 1989 die Mauer fiel, hielt sich die Begeisterung im Nachbarland jedoch in Grenzen. In einer am 3. Oktober 1990 veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos gaben nur 37 Prozent an, sich über die Wiedervereinigung zu freuen. 27 Prozent zeigten sich besorgt und 32 Prozent gleichgültig.

Auch Präsident François Mitterrand reagierte abwartend. "Es muss dringend verhindert werden, dass die wilden Pferde der Freiheit durchgehen und die Kutsche im Graben landet", beschrieb die Zeitung "Le Monde" die vorsichtige Haltung des sozialistischen Staatschefs, der im Dezember 1989 noch die sterbende DDR besuchte. Einen Monat später äußerte Mitterrand im Gespräch mit der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher die Sorge, dass Deutschland sich in Europa "mehr Boden als Hitler sichern könnte."

In Frankreich herrschte Angst, dass ein wiedervereinigtes Deutschland mit plötzlich 80 Millionen Einwohnern zu stark werden könnte. "Achtung!" titelte das Magazin der Zeitung "Le Figaro" im Herbst 1990 auf Deutsch. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg war damals noch präsenter als heute: 48 Prozent der Franzosen fiel im Oktober 1990 als deutsche Persönlichkeit Adolf Hitler ein, nur 25 Prozent nannten Helmut Kohl.

Jahrzehnte später hat sich der Blick auf die Deutschen gewandelt. Laut einer Ifop-Umfrage aus dem Jahr 2012 sind der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung die Ereignisse, die die Franzosen am stärksten mit Deutschland verbinden - deutlich vor dem Zweiten Weltkrieg. Vier Fünftel gaben an, ein eher positives Bild von Deutschland zu haben. Allerdings herrscht mehr Respekt als Sympathie für den Nachbarn. Das liegt wohl auch an den Qualitäten, die die Franzosen den Deutschen zuordnen: An erster Stelle stehen Ernsthaftigkeit und Strenge.

 

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris.

Polen

Polens Blick auf seinen westlichen Nachbarn ist ein doppelter: Beim Wort "Deutschland" denken die Polen an "Mercedes", Wohlstand und Technik, und zugleich an "Auschwitz" - an das KZ-System, das die Deutschen nicht nur aufgebaut, sondern auch nach Polen exportiert haben. Vor 1989 hatten viele Polen den Eindruck, das attraktive Westdeutschland sei das "echte Deutschland", der SED-Staat dagegen ein unter Zwang errichtetes "rotes Preußen". Oder, wie es ein polnischer Witz ausdrückte, "Der Dumme Rest (DDR)". Die Meinung, die Mauer werde eines Tages fallen, war damals in Polen verbreiteter als in Deutschland.

So haben viele Polen, insbesondere Anhänger der Solidarnosc-Bewegung, die Einigung Deutschlands als natürlichen Vorgang empfunden, vergleichbar der Wiederherstellung Polens nach den Teilungen. Das Ende der von Moskau gestützten Diktaturen wurde als gemeinsame Befreiung gesehen. Nach 1989/90 prägte der polnische Außenminister Krzysztof Skubiszewski das Wort von der deutsch-polnischen "Interessengemeinschaft". Der Schriftsteller Andrzej Szczypiorski verkündete: "Unser Weg nach Europa führt über Deutschland."

Damals traten viele Befürchtungen allmählich in den Hintergrund. Wenn es sie gab, bezogen sie sich auf eine denkbare deutsche Dominanz, auf mögliche deutsch-russische Sonderbeziehungen oder auf die deutschen Vertriebenen, ihre Rechtsansprüche und das von ihnen propagierte Geschichtsbild.

Zwar gelten die Deutschen in Polen traditionell als fleißig und gründlich, aber zugleich als Menschen ohne Phantasie und Esprit. Dass viele Deutschen ein schlechtes Bild von Polen hatten und andererseits wenig über ihr Nachbarland wussten, wurde ihnen von vielen Polen lange übel genommen. Seitdem hat sich das Verhältnis aber beidseitig gebessert. Laut der Umfrage "Deutsch-polnisches Barometer" bewerteten 2015 rund 66 Prozent der Polen die Beziehungen als "eher gut" bis "sehr gut", allerdings in jüngster Zeit wieder mit sinkender Tendenz.

 

Der Autor ist Korrespondent der "Welt" in Warschau.

Niederlande

Am 21. Juni 1988 geht vom gewonnenen EM-Halbfinale der Niederlande gegen Westdeutschland vor allem ein Bild um die Welt. Torschütze Ronald Koeman wischt sich mit deutschen Nationaltrikot den Hintern ab. Ein Scherz? Vielleicht.

Tatsächlich haben in den späten 1980er Jahren wie Koeman viele Niederländer eine besonders schlechte Meinung von ihren deutschen Nachbarn. Selbst junge Menschen, die den Krieg und die deutsche Besatzung nicht mitgemacht haben, sind antideutsch. Eine Umfrage des Clingendael Instituts für Internationale Beziehungen unter niederländischen Jugendlichen stellt 1993 fest, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen ein negatives Deutschlandbild haben. 71 Prozent der Befragten finden Deutsche dominant, mehr als die Hälfte Deutsche arrogant, und nur 19 Prozent sehen Deutschland als ein friedliebendes Land.

Ton Nijhuis, Direktor des Duitsland Instituut an der Universität von Amsterdam, sieht den Grund für diese Aversion vor allem im Selbstbild der Niederländer. Als kleiner Nachbar hätten sie sich immer schon am größeren Nachbarn und wichtigstem Absatzmarkt für Handel gemessen und gerieben. Nach den Weltkriegen sei ein Gefühl von zumindest moralischer Überlegenheit gewachsen.

Obwohl Ministerpräsident Lubbers 1989 eine deutsche Wiedervereinigung kritisch sieht und sich zunächst der abwehrenden Haltung Frankreichs und des Vereinigten Königreiches anschließt, sehen die meisten Niederländer die Wende positiv. Dieser Trend setzt sich seitdem durch.

Mit der EU-Ostererweiterung rückt man noch weiter zusammen. Niederländische Medien berichten heute nicht nur mehr über deutsche Themen, sondern betonen auch auf einmal die Gemeinsamkeiten mit Deutschland. In den vergangenen Jahren sei ein neues, von Ressentiments befreites Verhältnis zwischen den Niederlanden und Deutschland entstanden, stellt der Historiker Jacco Pekelder fest. Nicht nur Berlin ist hipp, ganz Deutschland ist mittlerweile beliebtestes Ferienland der Niederländer. Das antideutsche Gefühl wird wohl nur im Fußball weiterleben.

 

Die Autorin ist freie Journalistin in Den Haag.