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UMWELT : Weißer Rauch und klare Seen

Die Deindustrialisierung in Ostdeutschland war für die Natur ein Segen. Aber einige Altlasten bleiben noch lange

31.08.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
6 Min

Das Dreieck zwischen Bitterfeld, Leipzig und Halle gehörte vor 1990 zu den schmutzigsten Regionen Europas. Hier ballte sich die Chemie-Industrie der DDR, Kraftwerke verbrannten schwefelhaltige Braunkohle zur Stromerzeugung, und der Abbau der Kohle im Tagebau hinterließ tote Mondlandschaften. Das hatte auch Folgen für die Menschen: So hatten Kinder in Bitterfeld drei Mal so häufig mit Bronchitis zu kämpfen wie anderswo. Darüber wurde eisern geschwiegen, denn eine Anordnung des Ministerrats der DDR von 1982 machte Umweltinformationen zur Verschlusssache. Doch die Probleme stanken als schweflig gelbe Rauchwolken zum Himmel, schlugen sich als schmutziger Staub auf der Wäsche nieder, schlierten in giftigen Regenbogenfarben auf schäumenden Flüssen. Umweltaktivist Michael Bender, der heute bei der Grünen Liga in Berlin arbeitet, erinnert sich: "Das konnte einfach jeder schmecken, sehen, riechen, dass es so nicht weitergeht. Auch ohne offizielle Informationen wusste man, dass das nicht gesund sein kann."

Es war nicht allein Ignoranz, die die DDR-Führung dazu brachte, die massiven Umweltprobleme auszublenden und geheim zu halten. Cord Schwartau vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aus Westberlin stellte 1989 fest: "Im RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) sind viele Rohstoffe nicht zu bekommen, weil der RGW auf vielen Gebieten technologisch rückständig ist und auch RGW-Länder harte Währung haben wollen. Ohne Umstieg auf Erdöl und -gas aber bleibt nur die Braunkohle als Rohstoff, deren Nutzung ökologisch katastrophale Folgen hat."

Dreckschleudern abgeschaltet Viele Belastungen im Chemie-Dreieck waren schon in der DDR-Zeit Altlasten. Im Ersten Weltkrieg hatten Betriebe hier Benzin für die kaiserliche U-Boot-Flotte produziert und aus Braunkohle Kunststoffe gemacht. Die DDR führte das dann mangels Alternativen fort. Die Leiter und Mitarbeiter der Betriebe sahen die Probleme tagtäglich. Sie entwickelten auch Pläne, wie durch Sanierung der Anlagen, Abwasserreinigung und Rauchgasentschwefelung die Produktion sauberer und effektiver werden könnte.

Doch diese Maßnahmen hätten hunderte Millionen DDR-Mark gekostet. Allein für das Bitterfelder Chemiekombinat zum Beispiel 850 Millionen. Geld, das die Betriebe von der Zentralen Plankommission nie bekamen. Erwirtschaftete Gewinne gingen in den Staatshaushalt, durften nicht selbst investiert werden.

Seit 1990 hat sich die Umweltsituation deutlich gebessert, allein durch das Abschalten der größten Dreckschleudern. Schwartau hatte vorhergesagt, dass durch Schließung von 25 Prozent der Industriebetriebe die Luft- und Wasserbelastung um die Hälfte reduziert werden könnte. So geschah es, zugleich wurden Zehntausende Menschen arbeitslos. Heute beträgt die Industrieproduktion im ehemaligen DDR-Gebiet noch rund 20 Prozent im Vergleich zur Wendezeit. Durch den Bau von Kläranlagen, die Umstellung auf Erdgasheizungen und Filteranlagen an den Schornsteinen sind Bitterfeld, Wolfen und Leipzig wieder lebenswerte, grüne Städte mit sauberer Luft.

Wo noch Braunkohle den Strom erzeugt, kommt weißer Rauch aus den Schornsteinen, immer mehr Solaranlagen und Windräder liefern umweltfreundliche Energie. Engagierte Naturschützer in Leipzig sorgten in der Wendezeit zum Beispiel dafür, dass der Tagebau Cospuden nicht weiter an die Stadt heranrückte und wertvolle Auwälder vernichtete. Stattdessen ist seine einstige Grube heute Naherholungsgebiet und Badesee für die Bürger.

Problematische Altlasten Über diese Entwicklung freut sich auch der Biologe und Wasserexperte Ernst Paul Dörfler: "Also erst einmal können wir aufatmen, wenn wir an der Mulde, der Saale, der Elbe stehen, steigt uns nicht mehr der Gestank in die Nase." Andererseits gibt er zu bedenken: "Die ökologischen Probleme, die wir in der DDR hatten, sind nicht wirklich gelöst, sondern zu einem großen Teil exportiert worden."

Längst nicht alles konnte in 25 Jahren bereinigt werden. Einige Altlasten im Osten Deutschlands werden noch die nächsten Generationen beschäftigen. In den Tagebaugebieten der Lausitz etwa wurden unvorstellbare 13 Milliarden Kubikmeter Wasser abgepumpt, das entspricht einem Drittel des Inhalts des Bodensees. Wenn die Gruben nicht mehr entwässert werden, füllt das wiederkehrende Grundwasser die klaffenden Wunden der Landschaft. Es dringt durch die einstigen Abraumhalden und löst daraus Stoffe, die es zu Säure werden lassen. Und wenn es auf Verseuchungen im Boden stößt, schwemmt es sie aus, nimmt sie mit, auch an saubere Orte.

Jörg Frauenstein beobachtet für das Umweltbundesamt (UBA) die Altlasten: "Wir haben zum Beispiel unter dem Standort Bitterfeld eine riesige Schadstofffahne mit verschiedensten Stoffen, die sich weiträumig über den Untergrund verbreiten." Nun müsse dafür gesorgt werden, dass diese Stoffe nicht weiterwandern.

Der Kalibergbau in Thüringen entlässt auch heute noch massenhaft sein salziges Abwasser in die Werra. Etwaige Umweltschäden bezahlen Bund und Land. Ein Skandal, finden Umweltschützer wie Angelika Kell vom Ökolöwen in Leipzig: "Wenn ich mir die Mitteldeutsche Braunkohle AG oder die Laubag ansehe: Die Kohleunternehmen greifen Bodenschätze ab, die sich über Jahrmillionen gebildet haben, und die realen Kosten, der Naturverbrauch, das Umsiedeln der Dörfer, das Absenken des Grundwassers, das wird umgelegt auf die Allgemeinheit."

Zu den schweren, bis heute spürbaren Altlasten gehört auch der Uranabbau der Wismut AG. Im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht wurde der Süden der DDR zur weltweit viertgrößten Produktionsstätte von Uran. Rund um Schneeberg, Zwickau, Ronneburg, Königstein und Freital waren radioaktiv strahlende Abraumhalden und Gewässer die Folge. Mit einem enormen Sanierungsaufwand von bislang sechs Milliarden Euro konnten viele der Probleme schon eingedämmt werden. Bei Ronneburg zeugt heute nur noch das Gelände der Bundesgartenschau von den alten Halden. Die Sanierung ist aber erst zu zwei Dritteln abgeschlossen, wie Frauenstein sagt.

Neue Lebensräume Abseits der Industriegebiete hatte die DDR zugleich Inseln mit Lebensräumen für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, die im Westen Deutschlands schon ausgestorben waren. Prominenteste sind wohl Seeadler, Roter Milan, Biber oder Sonnentau. Weniger dichte Besiedlung und die großflächig wirtschaftende Landwirtschaft, die kleine Flecken verschonte, machten diese Wunder möglich. In den wenigen Monaten zwischen Mauerfall und Deutscher Einheit gelang es Umweltaktivisten in Ost und West gemeinsam, große, wertvolle Flächen unter Schutz zu stellen.

Fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks konnten von Rügen bis zum Erzgebirge ausgewiesen werden. Hatte die alte Republik 1990 fast 1,5 Prozent ihrer Landesfläche für den Naturschutz reserviert, waren es in der DDR nur etwas über ein Prozent. Mit den neuen Schutzgebieten wurden es 4,5 Prozent. Landschaften ohne menschliche Bewirtschaftung entwickeln ungeahntes Eigenleben. So siedeln sich Wolfsrudel auf einstigen Truppenübungsplätzen an. Jedoch fällt es den Ländern bei schlechter Kassenlage immer schwerer, ihre Schutzgebiete auch zu pflegen und gegen Begehrlichkeiten von Land- und Forstwirten zu bewahren.

Gesamtdeutsche Sorgen Trotz wieder sauberer Luft und klarem Wasser verschwinden heute zudem viele Tiere und Pflanzen aus der Landschaft außerhalb der Naturreservate. Die Ursache sehen Umweltschützer in der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West.

So musste früher eine vielfältige Landwirtschaft fast alle Produkte selbst erzeugen. Heute werden Futtermittel importiert, dafür fast nur noch lukrative Pflanzen wie Raps, Getreide und Mais angebaut. Dadurch sind die 500 Wildbienenarten gefährdet, die nicht mehr ganzjährig Blüten finden, vielen Vogelarten fehlen Futter oder Brutplätze. Auch die nebenberufliche Landwirtschaft in den Dörfern mit Teichen, Obstwiesen und Kleintierhaltung lohnt nicht mehr. Mit ihr verschwinden Vogelarten wie die Schwalben, Hausrotschwanz und viele Wiesenbrüter. Neue breite Straßen ohne Alleebäume zerschneiden die Landschaft und behindern Wildtiere bei ihrer Wanderung.

Heutige Umweltbelastungen sind weniger sichtbar als der alte Qualm aus Schornsteinen. Der wachsende Autoverkehr bringt Lärm und Feinstaub mit sich, die intensive Landwirtschaft belastet Böden und Wasser. Dörfler sieht noch viele ungelöste Probleme, deutschlandweit, von Nitrat und Pestiziden im Grundwasser bis zum Artenrückgang. Sein Fazit lautet: "Es liegt noch viel Arbeit vor uns."

Die Autorin ist freie Journalistin.