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FLÜCHTLINGe : Ringen um Asyl

Scharfe Oppositionskritik am Maßnahmenpaket der Regierung

05.10.2015
2023-08-30T12:28:09.7200Z
6 Min

Wie dramatisch Anlass und Hintergrund der ersten Bundestagsdebatte über das "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" (18/6185) sind, machten in der vergangenen Woche gleich mehrere Redner deutlich: "Jeden Tag kommen zwischen 5.000 und 10.000 Flüchtlinge in unser Land", rechnete etwa der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer in der Debatte vor und konstatierte: "Wir hatten allein im September mehr Flüchtlinge in Deutschland zu verzeichnen als im gesamten letzten Jahr, und schon im gesamten letzten Jahr war es die vierthöchste Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber aller Zeiten." Oder der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD): "Bis vor kurzem konnten wir uns die Ankunft von Menschen in der Größenordnung der letzten Wochen nicht einmal annähernd vorstellen", sagte Pistorius, um dann festzustellen, man sei "an einem Punkt angelangt, an dem wir uns ehrlich sagen müssen: Es gibt Grenzen der Aufnahmegeschwindigkeit und der Aufnahmezahl".

»Harte Entscheidungen« Der Gesetzentwurf ist Teil des von Bund und Ländern beim "Flüchtlingsgipfel" im Kanzleramt am 24. September beschlossenen Maßnahmenpakets zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Dieses Paket, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), enthalte als zentrale Botschaften eine "zügige Ordnung und Beschleunigung der Asylverfahren" sowie die Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge und der "Abbau von Fehlanreizen und konsequente Rückführung derjenigen, die kein Bleiberecht haben". Ferner gehören dazu nach den Worten des Ministers der Abbau von Regelungen, die eine zügige winterfeste Unterbringung der Flüchtlinge erschweren, sowie Hilfen des Bundes für Länder und Kommunen.

Damit treffe man auch harte Entscheidungen, fügte der Minister hinzu. Dazu zählten die Verpflichtung der Flüchtlinge zur Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Verringerung von Geldleistungen sowie die Streichung des Anspruchs auf Asylbewerberleistungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, die nicht ausreisen.

Der Beschleunigung der Asylverfahren, für die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge de Maizière zufolge "nochmals deutlich mehr" Personal und Mittel bekommt, soll auch die geplante Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten dienen. Darum hätten diese Länder selbst gebeten, sagte der Ressortchef. Dort lägen die Voraussetzungen für Asyl nur in wenigen Einzelfällen vor. Auch Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung seien von diesem Schritt überzeugt worden. Dafür schaffe man legale Zuwanderungsmöglichkeiten aus den Balkan-Staaten. Dies sei ein fairer Kompromiss.

Mit dem Gesetzespaket bekenne man sich auch zur Aufnahme und Integration der Flüchtlinge, die schutzbedürftig seien und dauerhaft in Deutschland bleiben werden, sagte de Maizière weiter und betonte: "Das werden viele sein, sehr viele."

Zugleich mahnte er, die Zuwanderer müssten auch die Rechts- und Werteordnung in Deutschland akzeptieren und einhalten. Ebenso gelte, dass jeder Zuwanderer das Recht habe, menschenwürdig und respektvoll behandelt zu werden. "Den rechtsextremen Pöbeleien und der stark gestiegenen Zahl von Straftaten bis hin zum Mordversuch treten wir politisch und mit aller Härte des Rechtsstaats entgegen", unterstrich der Bundesinnenminister.

Scharfe Kritik an dem Gesetzesvorhaben kam von der Linksfraktion. Deren Vorsitzender Gregor Gysi bescheinigte dem Paket, "Schritte in die richtige Richtung, allerdings auch Schritte in die falsche Richtung" zu enthalten. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke sah als "positiven Aspekt" des Pakets, dass "sich der Bund an der Finanzierung, die die Länder und Kommunen leisten, beteiligen" werde (siehe unten links). Ansonsten sei der Gesetzentwurf aber ein "ganz gefährlicher Mix aus Gesetzesverschärfung, verfassungswidrigen Leistungseinschränkungen und Abschreckungsmaßnahmen" und damit "genau das Gegenteil dessen, was wir gegenwärtig brauchen". So sollten Flüchtlinge "bis zu sechs Monate lang in Erstaufnahmelagern eingezwängt werden, einige sogar so lange, bis sie abgeschoben werden können", obwohl dies zusätzliche Konflikte und auch zusätzliche Kosten verursache. In einem Antrag (18/6190) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, ihren "Gesetzentwurf zur Verschärfung des Aufenthalts- und Asylrechts nicht weiter zu verfolgen".

»Schikane« Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte den verlängerten Verbleib der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen die Situation meist drückend und Konflikte unvermeidlich seien. Der Koalition warf sie vor, sie wolle das Asylrecht an verschiedenen Stellen auf Kosten der Flüchtlinge schwächen. Die Ausgabe von Sachleistungen statt Bargeld an die Flüchtlinge nannte Göring-Eckardt wie Jelpke eine "Schikane". Diese Regelung mache es auch den Helfern vor Ort schwerer, die "jetzt neben Betten aufstellen, neben Essensversorgung und neben Streitschlichten auch noch Deo und Zigaretten verteilen" sollten.

Zu den "positiven Punkten" des Gesetzesvorhabens zählte Göring-Eckardt, dass ein "Beschäftigungskorridor" für Menschen vom West-Balkan geschaffen werden solle. Dies öffne "die Tür für ein Einwanderungsgesetz, jedenfalls ein kleines Stück". Aus dem "Einwanderungskorridor", der nur ein "erster kleiner Schritt" sei, müsse ein modernes Einwanderungsgesetz werden.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, begrüßte, dass nun für Flüchtlingen mit einer "guten Bleibeperspektive" ein schnellerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen geschaffen werde. Auch sollten Flüchtlinge nach einem möglichst kurzen Verfahren wissen können, ob sie in ihrer Heimat zurückkehren müssen oder eine Perspektive in Deutschland haben. Dafür müsse man auch Maßnahmen ergreifen, "die schwerfallen". Dazu gehörten die vorgesehene Einstufung von sicheren Herkunftsländern und die konsequente Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht. Notwendig sei, die Balance zu halten zwischen der humanitären Verpflichtung, Menschen aus Not eine Perspektive zu bieten, und der "klaren Ansage", dass Menschen ohne Bleiberecht hier nicht bleiben können.

Unions-Fraktionsvize Thomas Strobl (CDU) nannte die Neuregelungen die "bedeutendste Reform des deutschen Asylrechts seit den 1990er Jahren". Richtungsweisend sei, dass künftig eine Reihe von Einschränkungen mit dem Status sicherer Herkunftsländer verbunden würden. Flüchtlinge aus diesen Staaten blieben künftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen es kein Bargeld geben solle und aus denen sie nach dem Asylverfahren direkt in ihr Heimatland zurückgeführt würden. Dies sei ein Signal an Flüchtlinge vom West-Balkan, dass ein Asylantrag für sie keinen Sinn mache und es für sie andere Möglichkeiten gebe, nach Deutschland zu kommen. Weil man den Schutzbedürftigen heute und in Zukunft helfen wolle, müsse man hunderttausende abweisen, die nicht schutzbedürftig sind. "Nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten".

»Weiter gehende Maßnahmen« Auch der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer sprach von der "umfassendsten Reform" des deutschen Asylrechts seit dem Asylkompromiss in den 1990er Jahren. Zugleich kündigte er schon die nächsten Initiativen an. Zwar werde nun ein sehr weitreichendes Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht, doch werde man "sehr schnell über weiter gehende Maßnahmen zu diskutieren und sie dann auch zu verabschieden" haben, betonte der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion.

Zurückhaltender äußerte sich an diesem Donnerstag de Maizière zu diesem Aspekt. Das bisherige deutsche Asylsystem sei "nicht auf einen solchen Andrang an Menschen ausgelegt", nun habe man die Organisation und das Recht "auf die aktuelle Lage eingestellt", sagte er und fügte hinzu: "Ob das reicht, wird man sehen." Bereits am Vortag war er bei der Befragung der Bundesregierung im Bundestag auf Vorstöße eingegangen, direkt an den Grenzen Asylverfahren durchzuführen. Dabei verwies er darauf, dass Deutschland die EU-Asylverfahrensrichtlinie umsetzen müsse, in der eine Ermächtigung aller EU-Staaten vorgesehen sei, ein solches "Landgrenzenverfahren" einzuführen. Ein solches Verfahren habe man bereits an den Flughäfen und müsse diskutiere, ob man das in Deutschland auch an den Grenzen wolle. Dazu sei der Meinungsbildungsprozess in der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. In einem Rundfunkinterview hatte der Minister zuvor schon gesagt, dass man die Landverfahren an der Grenze vom Flughafenverfahren kenne: "Man kann schon jetzt jemand am Flughafen festhalten, prüfen, ob sein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist und ihn zurückschicken. So etwas schwebt mir in Umsetzung dieser EU-Richtlinie auch vor".

Jelpke warnte in der Debatte, wenn man "sogenannte Transitzentren an den Grenzen" einrichte, werde man dort "Massenlager mit Hunderttausenden haben". Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit warf die Frage auf, wie bei einem solchen Verfahren die 3.621 Kilometer lange deutsche Landgrenze kontrolliert werden solle. "Wollen Sie da Zäune errichten", die "im Ernstfall dann vielleicht auch noch durch die Bundeswehr oder wen auch immer" gegen Flüchtlinge verteidigt werden müssten, sagte Veit und betonte, dies sei ein "völlig falscher Weg".