Piwik Webtracking Image

VORRATSDATEN : Unter Vorbehalt

Gesetz beschlossen, Klage angekündigt

19.10.2015
2023-08-30T12:28:10.7200Z
4 Min

Es ist nicht so, dass die Opposition nicht versucht hätte, die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung mit allen parlamentarischen Mitteln zu verhindern. Zwei Tage, bevor am vergangenen Freitag das Gesetzesvorhaben der Koalition (18/5088, 18/6391) in zweiter und dritter Lesung durch den Bundestag gebracht wurde, holte die Opposition im Rechtsausschuss gar die Geschäftsordnung raus. Vertreter von Linken und Grünen wollten über das Vorhaben gar nicht erst diskutieren. Der Tagesordnungspunkt sei zu kurzfristig angemeldet worden. Das sah die Koalition anders. Der Punkt blieb auf der Agenda.

Drei Stunden und 22 Tagesordnungspunkte später rief die Ausschussvorsitzende Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) schließlich die Vorratsdatenspeicherung auf. Wie üblich tauschten Koalition und Opposition ihre Argumente aus, als Halina Wawzyniak, rechtspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, plötzlich einen Geschäftsordnungs-Antrag stellte. Es sei weniger als die Hälfte der Mitglieder des Ausschusses anwesend, sie zweifle an der Beschlussfähigkeit. Bei SPD und CDU/CSU brach kurz Hektik aus, Ausschussmitglieder, die bereits zu Sitzungen anderer Ausschüsse aufgebrochen waren, wurden kurzfristig zurückbeordert. Nach einigem Geplänkel zählte Künast dann aus, es reichte für die Koalition, der Ausschuss konnte beschließen. Ein Sozialdemokrat sprach von einem "unwürdigem Verfahren".

In der Debatte im Plenum blieb die Geschäftsordnung indes außen vor. Nettigkeiten wurden trotzdem ausgetauscht: Die ablehnende Haltung der Opposition wurde zum "Täterschutz" deklariert, Befürwortern wiederum wurde ideologische Faktenresistenz vorgeworfen; Geschichtsvergessenheit unterstellte man sich gleich gegenseitig.

Inhaltlich blieb der verabschiedete Entwurf im Wesentlichen unverändert. Demnach sollen künftig anlasslos und verdachtsunabhängig Telekommunikations-Verkehrsdaten sämtlicher Bürger für zehn Wochen gespeichert werden. Ein Zugriff auf die Daten, die Telekommunikationsunternehmen im Inland speichern müssen, ist Strafverfolgern grundsätzlich nur bei bestimmten schweren Straftaten möglich. Die als besonders sensibel angesehenen Standortdaten sollen bereits nach vier Wochen gelöscht werden. Daten, die bei der Nutzung von E-Mail-Diensten anfallen, sollen gar nicht erfasst werden. Inhalte der Kommunikation werden ebenfalls nicht gespeichert. Auf Antrag der Koalition wurde dem Gesetz noch eine Evaluationsklausel hinzugefügt. Demnach soll nach drei Jahren wissenschaftlich überprüft werden, ob das Gesetz überhaupt etwas taugt.

Davon ist insbesondere die Union schon jetzt überzeugt. Ziel sei es, deutlich mehr Straftaten aufzuklären, sagte Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Dafür müssten Ermittler verlässlich, aber nur in konkreten Fällen, auf Verkehrsdaten zugreifen können. Von Überwachung oder gar Generalverdacht könne also nicht gesprochen werden. Wer das tue, schüre Ängste, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion. Es seien zudem nicht die "kritischen Geister", die Bürger oder die Journalisten, die von einem Verzicht auf die Speicherpflicht profitierten, sondern die Kriminellen, beispielsweise Mörder, Bandendiebe und Konsumenten und Produzenten von Kinderpornographie.

Auch der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner, betonte, dass Verkehrsdaten ein wichtiges Ermittlungsinstrument darstellen könnten, um Täter zu ergreifen, aber auch um Verdächtige zu entlasten. Der Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung sei auf das Notwendigste beschränkt worden. Im internationalen Vergleich falle die Regelung sehr restriktiv aus.

Gerichtsfest? Einig waren sich die Koalitionäre darüber, dass die nun gefundene Regelung gerichtsfest ist. 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gekippt, 2014 kassierte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die grundlegende EU-Richtlinie. Durch Verkürzung der Speicherdauer, der noch kürzeren Frist für Standortdaten und eines Verwertungsverbotes für die Daten von Berufsgeheimnisträger sei sichergestellt, dass den Vorgaben "vollumfänglich" entsprochen werde, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Volker Ullrich (CSU) merkte an, dass rechtlich noch mehr möglich gewesen wäre. Auch Winkelmeier-Becker verwies darauf, dass Praktiker weitergehende Regelungen für sinnvoll erachtet hätten. Der Entwurf sei ein "Kompromiss". Diesem Kompromiss folgten allerdings nicht alle SPD-Abgeordneten. Bei der namentlichen Abstimmung stimmten 43 von ihnen mit Nein, sieben weitere enthielten sich.

Nicht erforderlich Geschlossen gegen den Gesetzentwurf stimmten die Oppositionsfraktionen. Wawzyniak stellte für die Linken-Fraktion die Erforderlichkeit der Speicherpflicht in Frage. Diese sei nicht erwiesen, eine Schutzlücke bestehe auch nicht und deshalb habe der demokratische Rechtsstaat davon die Finger zu lassen. Nur weil "möglicherweise, unter Umständen, vielleicht" mit Zugriff auf die Daten Straftaten aufgeklärt werden könnten, rechtfertigte dies noch nicht den Eingriff in die Grundrechte. Vielmehr würden die Bürger unter "Generalverdacht" gestellt.

Künast warf der Koalition vor, nur auf "Sicherheitsideologie" zu setzen. Das gehe zu Lasten der Freiheit. Entgegen der EuGH-Entscheidung werde weiterhin verdachtsunabhängig gespeichert und auch der Schutz der Berufsgeheimnisträger sei nicht gewährleistet. Es sei zudem naiv, zu glaube, dass die Daten im Inland sicher gespeichert werden könnten. Geheimdienste, auch die deutschen, könnten sich Zugang verschaffen.

Auch die in den vergangenen Wochen zunehmend kritisch in der Öffentlichkeit diskutierte Datenhehlerei war zwischen Opposition und Koalition umstritten. Maas betonte, dass gerade Journalisten nichts zu befürchten hätten, da sie in Wahrnehmung ihrer beruflichen Pflichten nicht unten den Tatbestand fielen. Der Vorwurf, mit dem Gesetz würden auch sogenannte Whistleblower verfolgt, sei unzutreffend, sagte der Justizminister. Die Hinweisgeber besäßen die betreffenden Daten völlig rechtmäßig, die Regelung greife gar nicht.

Vorbei ist die Debatte über die umstrittene Vorratsdatenspeicherung noch lange nicht. Was aus Sicht der Gegner Argumente und die Geschäftsordnung nicht stoppen konnte, soll nun das Grundgesetz und die Europäische Grundrechtscharta richten. So kündigten die Grünen an, gegen das Gesetz zu klagen. Sören Christian Reimer