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RECHT : »Gotteslästerung« im Wandel des Strafrechts

Juristen und Politiker streiten schon länger über den selten genutzten »Blasphemie-Paragrafen« 166 im Strafgesetzbuch. Mohammed-Karikaturen sind zu tolerieren

19.01.2015
2023-11-08T12:33:07.3600Z
4 Min

Der Koran auf Klopapier war dem Amtsgericht Lüdinghausen im Kreis Coesfeld in Nordrhein-Westfalen im Februar 2006 dann doch eine Verurteilung wert. Mit Rücksicht auf die „weltpolitische Lage“ nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen, aber auch schlicht deswegen, weil der Angeklagte vorbestraft war und das Gericht ein Zeichen setzen wollte in diesem Fall, der weit über die Provinz hinaus Beachtung fand. Der Mann hatte Klopapier mit dem Satz „Koran, der heilige Koran“ bedruckt, dieses versendet und zum Verkauf anbieten wollen. Wegen Beschimpfung von Bekenntnissen nach Paragraf 166 Strafgesetzbuch (StGB) wurde der Angeklagte zu einem Jahr Haft verurteilt, ausgesetzt zu fünf Jahren Bewährung. Zudem sollte der Rentner 300 Stunden Sozialdienst ableisten.

Der Mann hatte seine Aktion mit den islamistischen Terroranschlägen zuvor und dem Anschlag auf den niederländischen Filmemacher Theo van Gogh begründet, der 2004 von einem islamischen Fundamentalisten ermordet worden war. Nach eigener Aussage wollte der 61-Jährige ein Mahnmal für die Opfer islamistischen Terrors finanzieren. Der Richter sprach damals von einer „erheblichen Verblendung“ des Mannes, der offenkundig im Nahen Osten einen Islam-Hass entwickelt hatte.

Wenige Fälle  Eine Verurteilung nach Paragraf 166 StGB ist heute selten in Deutschland, weshalb Juristen und Politiker seit Jahren kontrovers über die Daseinsberechtigung dieser Rechtsregelung streiten, zumal einschlägige Fälle auch über die Tatbestände der Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Beleidigung (§ 185 StGB) geahndet werden könnten. Auch auf dem Deutschen Juristentag im September 2014 in Hannover berieten die Teilnehmer über die Frage, ob dieser Paragraf noch zeitgemäß ist. Die Befürworter argumentierten, die Rechtsnorm schütze vor Störungen des öffentlichen Friedens in einem besonders sensiblen Bereich. Das gelte gerade mit Blick auf Extremisten und Hassprediger, die Fanatismus und Extremismus unter dem Deckmantel der Religion praktizierten. Dass in der Praxis von der Strafvorschrift „nur sehr behutsam“ Gebrauch gemacht werde, zeige gerade, dass sie gebraucht werde. Kritiker bemängelten hingegen, der geschützte öffentliche Friede sei kein ausreichendes Rechtsgut. Auch entstünden keine Strafbarkeitslücken, wenn die Vorschrift aufgehoben würde. Zudem müsse es erlaubt sein, auch überspitzte Kritik zu äußern.

Blutige Geschichte  Die rechtlichen Regelungen reichen lange zurück. Der Freiburger Strafrechtsexperte Michael Pawlik, der sich in Fachbeiträgen sowohl mit der „Religionsbeschimpfung“ als auch mit der „rechtstheoretischen Einordnung des modernen Terrorismus“ beschäftigt hat, verweist darauf, dass früher auf Gotteslästerung in Europa schwerste Strafen standen. So sei erstmals in einer Rechtsschrift aus dem Jahre 538 die Blasphemie „als todeswürdiges Verbrechen“ eingestuft worden. Religionsdelikte hätten lange Zeit in den Gesetzbüchern eine bedeutende Rolle gespielt mit „äußerst harten Strafen“. Dann habe sich die rechtliche Wertung allerdings stark gewandelt, zeitweilig hin zu einer unterstellten Geistesverwirrung, die vom Staat eher gemaßregelt als bestraft werden müsse. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 habe sich dann der Ton nochmals verändert, berichtet Pawlik. „Nicht mehr als Beleidiger von Gottes Majestät, sondern als Störer der öffentlichen Ordnung wurde der Gotteslästerer bestraft.“ Mit der Aufklärung wandelte sich die Deutung der Gotteslästerung vom „Gottesschutz“ zum „Menschenschutz“. Das Strafrecht sollte dem Bürger dienen, nicht Gott. Jedoch blieb die Bestrafung der Religionsvergehen erhalten. Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 sah für Gotteslästerung und Verspottung von „Religionsgesellschaften“ oder religiöser Gebräuche eine Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren vor. In Paragraf 135 war die Rede von „beschimpfendem Unfug“, der zu bestrafen sei. In das Reichsstrafgesetzbuch von 1871/72, dem Vorläufer des heutigen Strafrechts, fand das „Ärgernis“ als Tatbestand Einzug in den damaligen Paragrafen 166. Diese Vorschrift hatte dann Bestand bis hinein in die bundesrepublikanische Rechtsordnung.

Öffentlicher Friede  Seit der Reform von 1969 steht die Erhaltung des öffentlichen Friedens im Mittelpunkt der Auslegung des Paragrafen. Als Voraussetzung für eine Bestrafung muss eine „Bekenntnisbeschimpfung“ schwerwiegend sein und den öffentlichen Frieden infrage stellen. Und so heißt es nun: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Und Satz zwei besagt: „Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“ Aber wie lässt sich feststellen, ob der Friede gefährdet ist? Das Strafgesetzbuch jedenfalls enthält keine sogenannte Legaldefinition des Begriffs des „öffentlichen Friedens“. Vielmehr ist der Begriff durch Rechtsprechung und Literatur ausgefüllt, wie es in einer juristischen Analyse des Bundestages heißt. So zeichne sich der Begriff durch eine objektive und eine subjektive Komponente aus, einerseits die friedfertige demokratische Interessenregelung und Gesetzesbefolgung, andererseits eine „kollektive Vertrauenseinstellung“.

Karikaturen  Das Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer des Friedens müsse vorhanden sein. Eine Störung des Friedens würde voraussetzen, es bestünde bei einem neutralen Beobachter die begründete Befürchtung, „dass die allgemeine Rechtssicherheit unter der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet ist“. Die Rechtsauslegung ist aber umstritten. Paragraf 166 StGB schützt jedoch nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht das religiöse Empfinden Einzelner (etwa streng Gläubiger) oder den Inhalt von Religionen und Weltanschauungen.

Demzufolge sind Mohammed-Karikaturen, wie sie unter anderem von dem französischen Satiremagazin Charlie Hebdo veröffentlicht wurden, nach dem Maßstab des Paragrafen 166 StGB nicht zu beanstanden, zumal in solchen Fällen immer auch die Kunstfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes zu beachten ist. Freilich, auch Satire hat Grenzen, aber die müssen sehr begründet gegen andere Rechtsgüter abgewogen werden, bevor ein Verbot ausgesprochen wird.