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GRIECHENLAND : Vor die Tür gesetzt

Die neue Regierung will nicht mehr mit der Troika kooperieren. Doch ihr geht das Geld aus

02.02.2015
2023-11-08T12:40:03.3600Z
4 Min

Es war ein Blitzstart: Am Sonntag vor acht Tagen wurde das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) bei der Parlamentswahl in Griechenland stärkste Kraft (siehe „Stichwort“-Kasten). Schon am Montag verkündete die neue Regierungspartei die Bildung einer Koalition mit den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ (Anel). Am Dienstag wurde das Kabinett vorgestellt, am Mittwoch fand die erste Regierungssitzung statt. Am Donnerstag empfing der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), am Freitag folgte Jeroen Dijsselbloem, der niederländische Finanzminister und Chef der Euro-Gruppe.

Mit Dijsselbloem traf sich auch der neue griechische Finanzminister Giannis Varoufakis – und der ging sogleich auf harten Konfrontationskurs mit den europäischen Partnern. Nach dem Gespräch verkündete er, dass Griechenland künftig nicht mehr mit den Kontrolleuren der europäischen Geldgeber, der Troika, bestehend aus Internationalem Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission, zusammenarbeiten werde. Das aufgelegte Sparprogramm, urteilte er, sei nicht in die Tat umsetzbar. Auf ausstehende Hilfskredite in Höhe von 7,2 Milliarden Euro wolle das Land verzichten. „Wir wollen uns zusammensetzen und das ganze Programm überdenken“, erklärte Varoufakis und verlangte zugleich eine internationale Konferenz über einen (neuerlichen) Schuldenerlass für Griechenland. Dieses Ansinnen aber lehnte Dijsselbloem ab: „Es gibt bereits eine solche Konferenz und die heißt Europgruppe“, konterte er. Die Griechen forderte er auf, ihre Zusagen einzuhalten.

Damit war nur sechs Tage nach der Wahl der erste große Krach zwischen Griechenland und den Euroländern da. Hatten Beobachter zuvor noch vermutet, dass die neue griechische Regierung zunächst um eine Verlängerung des Programms bitten werde, um mit der Troika verhandeln zu können, so wurden sie jetzt eines Besseren belehrt.

Zwar sind die beiden neuen Regierungsparteien in fast allen wichtigen politischen Fragen – etwa zur Trennung von Kirche und Staat oder zur Behandlung von Flüchtlingen – durch tiefe weltanschauliche Gräben voneinander getrennt. Doch sie eint die entschiedene Ablehnung der Spar- und Reformpolitik, an die Athen sich auf Verlangen der EU-Geldgeber schon seit Jahren halten muss oder zumindest halten sollte.

Aus dem Wahlkampf des neuen Finanzministers, einem parteilosen Akademiker, blieb vor allem eine in einem Interview mit einer französischen Internetzeitung gemachte Aussage in Erinnerung: „Was auch immer Deutschland macht oder sagt, es wird sowieso zahlen.“

Leere Staatskassen Sollte das Hilfsprogramm Ende Februar tatsächlich auslaufen, könnte Griechenland schon bald große Zahlungsschwierigkeiten bekommen. Tsipras hat von seinem Vorgänger Antonis Samaras und dessen Regierungspartei Nea Dimokratia leere Staatskassen geerbt. Nach der Niederlage der Nea Dimokratia bei der Europawahl im Mai 2014 gaben die Minister der Regierung Samaras, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Reformpolitik weitgehend auf. Doch die Schuldenuhr läuft weiter. Im März muss Athen dem IWF 2,5 Milliarden Euro an Krediten und Zinsen zurückzahlen. Im Juli und August werden für 6,6 Milliarden Euro griechische Staatsanleihen fällig, die von der EZB gehalten werden. 2016 sind nach jetzigem Stand sogar Forderungen von fast 22 Milliarden Euro zu begleichen.

Da die Regierung Tsipras gleichzeitig in einer ihrer ersten Amtshandlungen mit der Wiedereinstellung von Beamten begonnen und den Mindestlohn erhöht hat, stellt sich umso dringlicher die Frage, wie der neue Ministerpräsident seine Politik finanzieren will. Oberstes Ziel, so bestätigen es alle Politiker von Syriza, sei eine Beendigung der Austeritätspolitik bei ausgeglichenem Haushalt. Das sich daraus ergebende Dilemma hat die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg auf den Punkt gebracht: „Die Alternative zur Sparpolitik ist Geld, und das Geld muss von irgendwoher kommen. Genauso, wie Tsipras Schaden erlitte, wenn er versuchen wollte, mit leeren Händen zu den Griechen zurückzukehren, die ihn gewählt haben, so erginge es auch Politikern in Ländern wie Deutschland, wenn sie versuchten, ihren Parlamenten und Wählern einen Schuldenschnitt zu verkaufen.“

Alte Bekannte Welchen Ausweg wird Alexis Tsipras also wählen, wenn sich seine Wahlversprechen als undurchführbar erweisen? Christos Katsioulis, Leiter des Athener Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, beschreibt in einer aktuellen Analyse die Gefahr, dass Tsipras „in den dunklen Wald der Links- und Rechtspopulisten in Europa“ abdriften könnte. „Dort wird er schon sehnlich erwartet: Marine Le Pen hat seinen Sieg als Anfang vom Ende Europas begrüßt. Sie wird sich freuen, ihn jetzt in Begleitung von alten Bekannten der französischen Rechtspopulisten anzutreffen.“

Varoufakis und Tsipras wollen zunächst eine „südliche Allianz“ gegen das vermeintliche „Spardiktat“ Berlins schmieden. Deshalb will der Finanzminister eine Tournee nach Paris, Rom und London antreten, um bei den Finanzministern dieser Staaten die Stimmung zu erkunden. Ein Besuch in Berlin ist nicht geplant.

Solidaritätsbekundungen kommen bereits aus einer ganz anderen Richtung: Varoufakis‘ russischer Amtskollege, Anton Siluanow, hat erklärt: Sollte Griechenland um Finanzhilfen bitten, werde Russland darüber nachdenken. 

Der Autor ist Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die Türkei und Griechenland.