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FRIEDENSGESPRÄCHE : Kein Drama, keine Abreise

Schritt für Schritt arbeitet sich der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura vor

04.04.2016
2023-08-30T12:29:58.7200Z
4 Min

Staffan de Mistura ist ein geduldiger und unaufdringlicher Mann. In den holzgetäfelten Verhandlungssälen des Genfer Völkerbundpalastes kann es schon einmal vorkommen, dass man in der Hitze der Diskussion ganz vergisst, dass er auch noch da ist - bis er sich an passender Stelle wieder einschaltet. Es sind diese Qualitäten eines geschickten Diplomaten, die fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien so etwas wie eine vorsichtige Hoffnung auf bessere Zeiten keimen lassen.

Als er das Amt des UN-Sondergesandten für Syrien 2014 übernahm, galt seine Mission als aussichtslos. Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan und der algerische Top-Diplomat Lakhdar Brahimi hatten zuvor entnervt hingeworfen. Beide hatten auf den großen Durchbruch bei hochrangig besetzten Gipfeltreffen gesetzt. De Mistura entschied sich, noch einmal ganz von vorne zu beginnen, was ihm viele zunächst als Zeichen von Rat- und Mutlosigkeit auslegten. Heute loben Diplomaten, dass de Mistura sich die Zeit genommen hat. Mit den meisten der von ihm auf 86 geschätzten Kriegsparteien hat er persönlich gesprochen. Auch zu den Groß- und Schutzmächten hat er Kontakte geknüpft, zu Russland, Saudi-Arabien, dem Iran, den USA und vielen anderen. Wen er wann wie aktiviert, behält der Vermittler für sich - doch dass er die Friedensbemühungen in Genf und anderswo zumindest mitdirigiert, daran besteht kaum Zweifel. "Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass Russland zeitgleich mit dem Beginn unserer Gespräche den Teilabzug seiner Truppen in Syrien verkündet hat", lächelte de Mistura versonnen zum Abschluss der ersten Runde der Genfer Syriengespräche kurz vor Ostern. "Und vielleicht ist es auch kein Zufall, dass genau heute US-Außenminister Kerry und Russlands Außenminister Lawrow wichtige Gespräche führen." Schließlich gebe es Diplomatie nicht nur in, sondern auch jenseits von Genf, bemerkte de Mistura.

Dass die Fortschritte groß sind, behauptet niemand, de Mistura schon gar nicht. Aber immerhin: Seit mehr als einem Monat hält die Waffenruhe, die am Rand der Sicherheitskonferenz in München vereinbart wurde, nachdem de Mistura mit dem Scheitern der Genfer Verhandlungen drohte. 384.000 Syrer wurden seitdem nach UN-Berechnungen mit dringend benötigter Nahrung, mit Wasser und Medikamenten versorgt. Geschätzte 3.000 Tode wurden verhindert. Bei mehr als einer Viertelmillion Toten im Syrienkrieg, der Flucht jedes zweiten Syrers und anhaltender Belagerungen mehrerer Städte ist das zwar nur ein Anfang. Doch der ist gemacht.

Zudem gilt es als Erfolg, dass die Unterhändler des syrischen Assad-Regimes und die der weit gefächerten Opposition bis zum Ende der Gespräche blieben - auch wenn sie bislang noch nicht miteinander, sondern nacheinander mit de Mistura gesprochen haben. Kein Drama, keine wütende Abreise habe es gegeben, frohlockte de Mistura sichtlich zufrieden. Das eigentliche Ergebnis ist nach zehn Tagen in Genf allerdings dürftig. Ein Grundsatzpapier, das de Mistura vor Ostern vorlegte, soll eine gemeinsame Basis bilden. Darin wird der Terrorismus verurteilt, die Einheit des Landes als demokratisch-säkularer Staat beschworen und ein politischer Übergang gefordert. Doch wie dieser aussehen soll, ist ebenso unklar wie das Thema, das unausgesprochen jedes der Gespräche beherrschte: Was passiert mit Baschar al-Assad? In Genf lehnte es Syriens UN-Botschafter Baschar Dschafari ab, über Assads Zukunft zu sprechen. Das oppositionelle Hohe Verhandlungskomitee legte dagegen einen Acht-Punkteplan für einen Übergang vor, in dem Assads Rückzug das zentrale Element ist. Überhaupt gab sich die 34-köpfige Oppositionsdelegation derart professionell und verhandlungswillig, dass de Mistura sie am Schluss - ungewöhnlich für einen Vermittler - ganz ausdrücklich dafür lobte. Was er damit unausgesprochen auch sagte: Assads Verhandlungsteam, das bisher jede politische Diskussion blockiert hat, muss jetzt nachziehen - und zwar schnell. Am 9. April soll die zweite Runde der Genfer Gespräche beginnen, dann wird es um substantielle Themen gehen. "Beim nächsten Mal werden wir über den politischen Prozess sprechen", verspricht de Mistura. Erreichen sollen das nicht zuletzt die USA und Russland. US-Außenminister Kerry erklärte noch am Gründonnerstag nach Gesprächen in Moskau, er erwarte, dass Russland Assad helfe, in den nächsten Tagen die richtige Entscheidung zu treffen und den Weg zu einem echten Übergang einzuschlagen. Assads Plan, mit Wahlen am 13. April die internationale Gemeinschaft auf seine Seite zu bringen, gilt trotz der jüngsten militärischen Erfolge seiner Armee etwa in Palmyra bereits als gescheitert.

Mindestens zwei Unsicherheitsfaktoren dürften über Erfolg und Misserfolg der zweiten Gesprächsrunde und damit auch von de Misturas Strategie entscheiden. Der eine ist Wladimir Putin. "Die Russen sind bereit, Druck auf Assad auszuüben, aber niemand weiß genau, wie viel Druck", sagt ein westlicher Diplomat, der die Verhandlungen begleitet. Der zweite Faktor sind die Kurden, von denen de Mistura selber sagt: "Syrische Kurden sind Syrer, und deshalb muss ich sicherstellen, dass sie so gut wie möglich an den Gesprächen beteiligt sind." Bislang scheiterte die kurdische Teilnahme an der Türkei. Doch auf Dauer wird man nicht auf eine Gruppe verzichten können, die knapp ein Siebtel des syrischen Staatsgebietes kontrolliert und an der Front zum sogenannten Islamischen Staat steht, den alle Beteiligten gemeinsam besiegen wollen.

Der größte Feind de Misturas ist indes die Zeit. Je länger sich die Gespräche hinziehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Waffenruhe gebrochen wird. Das viel beschworene Momentum, verstärkt durch die Flüchtlingsströme nach Europa und die offenbar in Syrien mitgeplanten Terroranschläge von Brüssel, könnte verloren gehen. Es ist ein Drahtseilakt, der dem geduldigen Diplomaten gelingen könnte.

Der Autor berichtet über die UN, die Schweiz und Liechtenstein aus Genf.