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ASYL : Umstrittene Einstufung

Die Einordnung Algeriens, Marokkos und Tunesiens sorgt weiter für Kontroversen

02.05.2016
2023-08-30T12:30:00.7200Z
3 Min

Die von der Bundesregierung angestrebte Einstufung Algeriens, Marokkos und Tunesiens als asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten hat vergangene Woche den Innenausschuss des Bundestages passiert. Gegen die Stimmen der Links- und der Grünen-Fraktion stimmte das Gremium erwartungsgemäß für den Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/8039), der kommende Woche abschließend im Plenum behandelt wird. Mit Spannung erwartet wird die für Mitte Juni avisierte Abstimmung im Bundesrat, da die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten der Zustimmung der Länderkammer bedarf - für die auch die Stimmen von Ländern mit Regierungsbeteiligung der Grünen erforderlich wären.

Schnellere Verfahren Asylanträge von Staatsangehörigen "sicherer Herkunftsstaaten" sind laut Regierung "vorbehaltlich der Möglichkeit einer Widerlegung der Vermutung der Verfolgungsfreiheit im Einzelfall" als "offensichtlich unbegründet abzulehnen", was das Verfahren erheblich beschleunige. Zugleich betont die Bundesregierung, sie sei nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, "dass in den genannten Staaten gewährleistet erscheint, dass dort generell, systematisch und durchgängig weder Verfolgung noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind".

Im Ausschuss argumentierte die CDU/CSU, die Einstufung sei asylpolitisch geboten und erfülle die verfassungs- und europarechtlichen Voraussetzungen. Dabei könnten weiterhin in jedem Einzelfall die jeweiligen Fluchtgründe geltend gemacht werden. Man sei sich der Probleme in den drei Ländern bewusst, doch rechtfertige die dortige Lage ihre Einstufung als sichere Herkunftsländer. Die SPD-Fraktion betonte ebenfalls, dass auch künftig Flüchtlinge aus den drei Staaten individuelle Verfolgungsgründe vortragen könnten.

Die Linke verwies dagegen auf Berichte über Menschenrechtsverletzungen in den drei Maghreb-Staaten, in denen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und Homosexuelle verfolgt würden. Auch die Grünen-Fraktion beklagte die Verfolgung Homosexueller in den drei Ländern und wandte sich gegen "Schnellverfahren" bei Asylentscheidungen.

Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums unterstrich, dass es in den drei Staaten keine systematischen Menschenrechtsverletzungen an bestimmten Personengruppen gebe. Daher könne man zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um sichere Herkunftsländer handele..

Vor der Ausschusssitzung war der Gesetzentwurf bereits bei einer Sachverständigen-Anhörung auf gegensätzliche Einschätzungen gestoßen. Dabei hatte Reinhard Boos vom sächsischen Innenministerium darauf verwiesen, dass im ersten Quartal 2016 die Schutzquote bei Asyl für Algerier und Tunesier bei null Prozent und 0,2 Prozent bei Marokkanern gelegen habe. Beim Flüchtlingsschutz habe sie 0,3 Prozent bei Algeriern betragen, 0,6 Prozent bei Tunesiern und ein Prozent bei Marokkanern, beim subsidiären Schutz bei allen drei Staaten null Prozent. Ursula Gräfin Praschma vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartete von dem Gesetzentwurf eine Verminderung unberechtigter Asylantragstellungen. Dass viele Migranten aus den drei Maghreb-Staaten nicht zur Antragsstellung oder Anhörung erschienen, habe Zweifel aufkommen lassen, "ob hier das Begehren nach internationalem Schutz tatsächlich im Vordergrund" steht.

Wiebke Judith von Amnesty International betonte dagegen, die "schweren Menschenrechtsverletzungen" in Algerien, Marokko und Tunesien widersprächen einer Einstufung als sichere Herkunftsstaaten. Schon die Anwendung von Folter und Verfolgung von Homosexualität stünden dem entgegen. Rechtsanwalt Reinhard Marx konstatierte, dass homosexuelle Handlungen nicht nur in Einzelfällen verfolgt würden.

Der Rechtswissenschaftler Daniel Thym sagte, maßgeblich für sichere Herkunftsstaaten sei im Kern die Abwesenheit von Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Maßstab dabei sind Thym zufolge laut Asylqualifikationsrichtlinie "schwerwiegende Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte" und damit "mehr als eine einfache Menschenrechtsverletzung".