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Aktuelle Stunde : Nicht nur Wetter

Bundestag gedenkt der Unwetter-Toten und debattiert über die Rolle der Landwirtschaft, den Klimaschutz und über finanzielle Hilfen

13.06.2016
2023-08-30T12:30:03.7200Z
4 Min

Die Betroffenheit war groß bei den Abgeordneten: Elf Tote waren nach den schweren Unwettern der vergangenen Wochen im Süden, Westen und Norden der Republik zu beklagen. Zahlreiche Menschen verloren ihr Hab und Gut. Ganze Gemeinden, etwa Braunsbach in Baden-Württemberg, wurden verwüstet. Vergangenen Mittwoch thematisierte der Bundestag auf Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen die katastrophalen Wettereignisse in einer Aktuellen Stunde.

So vereint die Abgeordneten in ihrer Trauer über die Opfer und ihrem Mitgefühl für die Angehörigen waren, so vereint waren sie auch in ihrer Dankbarkeit gegenüber den Helfern und Rettungskräften. Max Straubinger (CSU), Abgeordneter aus dem besonders betroffenen niederbayrischen Landkreis Rottal-Inn, berichtet davon, dass allein 390 Menschen von den Rettern aus akuter Not, 150 gar aus lebensbedrohlichen Situationen gerettet worden waren. Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen), Abgeordneter aus Baden-Württemberg, zeigte sich beeindruckt von der spontanen Hilfe von Asylsuchenden aus Afghanistan und Syrien in seinem Landkreis. Das sei ein "wirklich nahezu rührender Akt" gewesen, sagte der Grünen-Abgeordnete. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) unterstrich, dass es auch Dinge gebe, die Mut machten: "Die Menschen in unserem Land stehen zusammen, sie helfen, wenn andere Menschen Hilfe brauchen."

Bei der Analyse der Ereignisse endete die Einigkeit aber stellenweise. Hendricks merkte an, dass intensive Landwirtschaft bei Dauerregen im Frühsommer ein Risikofaktor für Überflutungen sei. Das gelte insbesondere für den in Niederbayern stark betriebenen Maisanbau in hügeligen Lagen. Die jungen Pflanzen würden das Wasser kaum aufnehmen, verstärkte Erosion sei die Folge. Weggeschwemmtes Erdreich könne dann Bäche und Abflussrohre verstopfen. "Ich bin sehr dafür, dass wir dringend zu einer guten fachlichen Praxis zurückkehren: Wiesen dort, wo sie hingehören, und Äcker dort, wo sie hingehören", forderte Hendricks.

Maisanbau im Fokus Dem CSU-Abgeordneten Straubinger ging das zu weit. Es sei bedauerlich, "wenn jetzt sofort wieder über die Landwirtschaft hergezogen wird", sagte er. Auch Golfplätze und Wiesen seien "abgeschwemmt" sowie Gräben "abgerissen" worden. Man solle nicht die Landwirtschaft als vermeintliche "Verursacherin" in die Ecke stellen. Ähnlich äußerte sich Artur Auernhammer (CSU). Er habe angesichts der direkten Betroffenheit vieler Landwirte kein Verständnis dafür, wenn er als erste Reaktion der Umweltministerin höre, die Bauern seien schuld aufgrund ihres Maisanbaus. Dies wiederum wies Martin Burkert (SPD) entschieden zurück. Die Ministerin habe nicht die Bauern "gescholten". "Vielmehr hat sie davon gesprochen, dass die Art der Versiegelung von Flächen schon einmal im Zusammenhang mit dem Klimawandel und den Unwettern diskutiert werden muss", sagte Burkert. Wie eine Art Vermittlungsvorschlag mutete da die Anmerkung des Grünen-Abgeordneten Ebner an: "Wir haben jetzt die Daten vor Ort, erheben wir sie, nutzen wir sie, werten wir sie aus! Dann brauchen wir uns nicht zu streiten und brauchen niemandem die Schuld zuzuweisen."

Den Zusammenhang mit dem Klimawandel hatte auch Umweltministerin Hendrick in ihrer Rede hergestellt. "Nicht jedes Wetterereignis ist ein Anzeichen für den Klimawandel. Fest steht aber: Durch den Klimawandel häufen sich diese Ereignisse." Neben dem Klimaschutz müsse daher auch die Anpassung an den sich vollziehenden Klimawandel einen höheren Stellenwert bekommen, sagte die Umweltministerin.

Konsequenzen gefordert Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) fand lobende Worte dafür, dass Hendricks die Ursache dieser extremen Wetterereignisse so explizit angesprochen habe. Es dürfe aber nicht nur über Ursachen gesprochen werden, sondern es müssten auch Konsequenzen folgen. Es sei "fast schon tragisch", dass am selben Tag wie die Debatte im Bundeskabinett eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen werde, "die einem der größten Klimaschädiger, nämlich der Kohleverstromung, Bestandschutz verschafft, weil erneuerbare Energien ausgebremst werden", sagte die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

Eva Bulling-Schröter (Die Linke) forderte, den Menschen müsse nun reiner Wein eingeschenkt werden. "Jedes Jahr eine Jahrhundertflut, jedes Jahr ein Jahrhundertsturm - dazu sagen wir: Da stimmt etwas nicht". Extremwetterereignisse nähmen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu. Das sei nicht einfach nur Wetter, sondern Folge des Klimawandels.

Auch die Frage von finanziellen Hilfen griff Bulling-Schröter auf und attackierte die Bundesregierung scharf. Statt vorhandene Möglichkeiten zu nutzen, werde über neue Versicherungen diskutiert und Sparpolitik betrieben: "Eine schwarze Null auf Kosten von Klimawandelopfern - das geht für uns gar nicht." Sie forderte, Mittel aus dem in Folge der Hochwasserkatastrophe 2013 eingerichteten Sondervermögen "Aufbauhilfe" einzusetzen. Die Idee, die Elementarschadensversicherung als Pflichtversicherung auszugestalten, war in der Debatte fraktionsübergreifend überwiegend auf Zustimmung gestoßen.

Auch Straubinger sah den Bund in der Pflicht, "Hilfestellung zu geben". Dem stimmten auch Ebner und Auernhammer zu. Der Bund müsse seinen Obolus beitragen, "sei es aus dem Fluthilfefonds, sei es aus anderen Mitteln", sagte Auernhammer. "Wir dürfen die Kommunen und die Länder hier nicht alleine lassen."

"Schwarzer-Peter-Spiel " Florian Pronold (SPD) warnte in Hinblick auf Hilfeleistungen vor einem "Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern". Wichtig sei, "dass die Menschen vor Ort tatsächlich die notwendige Hilfe bekommen". Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium verwies darauf, dass den betroffenen Regionen etwa über die Städtebauförderung seines Hauses geholfen werden solle. Auch der Bundesverkehrsminister habe Hilfe angekündigt. Im Übrigen verwies Pronold auf Aussagen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Gabriel habe gesagt, die Hilfe des Bundes sei dann notwendig, wenn die Länder das alleine nicht stemmen können. "Ich glaube, auf diese Linie können wir uns alle verständigen." Sören Christian Reimer