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ARBEIT UND SOZIALES : Der gordische Knoten

Ein Gesetz soll das Hartz-IV-System vereinfachen und Jobcenter entlasten. Grüne und Linke sprechen von Rechtsverschärfung

27.06.2016
2023-08-30T12:30:03.7200Z
4 Min

Matthias Zimmer (CDU) hat nachgerechnet und dabei festgestellt: Seit die Hartz-IV-Gesetzgebung im Jahr 2005 in Kraft getreten ist, hat es "im Schnitt jedes Jahr ein Änderungsgesetz gegeben". Aus seiner Sicht ist das aber kein Negativzeugnis, sondern zeige, dass es sich um ein "lernendes System" handele. Und das Lernen wird weitergehen. Denn die Vermutung, dass auch das neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht das letzte seiner Art ist, ist vor dem Hintergrund der doch recht deutlichen Kritik daran nicht abwegig. Darauf haben die Koalitionsfraktionen zwar mit einem Änderungsantrag reagiert. Aber das vom Bundestag in der vergangenen Woche verabschiedete Gesetz (18/8041) konnte zumindest die Oppositionsfraktionen in keiner Weise milde stimmen. Die Kritik von Linken und Bündnis 90/Die Grünen blieb bissig, weshalb sich Unionsmann Zimmer veranlasst sah, der Parteichefin der Linken, Katja Kipping, zu entgegnen: "Der einzige Satz, bei dem ich aufgehorcht habe, war der Satz 'Ich komme jetzt zum Schluss', und das war auch der beste Satz".

Katja Kipping hatte zuvor kein gutes Haar an dem Gesetzentwurf gelassen: "Der Titel verspricht Rechtsvereinfachung, in der Praxis bedeutet der Inhalt des Gesetzes aber weniger Rechte für Erwerbslose, eine zweite Säule bei Sanktionen für Erwerbslose und Mehrbelastungen für die Mitarbeiter in den Jobcentern." Sie warf der Bundesregierung und den Fraktionen von Union und SPD vor, stattdessen eine Rechtsverschärfung zu planen, die es "Leuten auf beiden Seiten des Tisches schwerer macht. Ziehen Sie diesen Murks einfach zurück", forderte sie.

Ähnlich hörte sich Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) an. Eine Rechtsvereinfachung wäre eigentlich dringend nötig gewesen, das Gegenteil sei jedoch der Fall. "Zusätzliche bürokratische Hürden werden aufgebaut. Es gibt Mehraufwand bei den Jobcentern. Es gibt eine zusätzliche Drangsalierung der Betroffenen." Es sei nicht hinnehmbar, dass es so viele bürokratische Hürden gebe, um das Grundrecht auf Existenzsicherung in Anspruch zu nehmen, kritisierte er.

Schweres Paket Mit dem Gesetzentwurf sollen zahlreiche Regelungen des SGB II neu strukturiert werden. Das betrifft unter anderem die Einkommensanrechnung, die Berechnung der Kosten für Unterkunft und Heizung und die Beratung der Leistungsberechtigten. Auszubildende können künftig ergänzend Hartz IV beantragen, wenn ihre Ausbildungsvergütung nicht zum Leben reicht. Neu aufgenommen wurde eine Regelung bei der Zwangsverrentung von Hartz-IV-Beziehern. Es soll nun doch keine Sanktionen geben, wenn Betroffene keine Unterlagen vorlegen, die für die zwangsweise Frühverrentung nötig sind. Für alle anderen gilt jedoch, dass Leistungen entzogen werden können, wenn die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen nicht erfüllt wurde. Erweitert wurden auch die Kriterien für "sozialwidriges Verhalten", nach dem erbrachte Leistungen durch das Jobcenter zurückgefordert werden können.

Geändert wurde der Entwurf auch bezogen auf die Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs). Bisher dürfen diese innerhalb von fünf Jahren nicht länger als 24 Monate zugewiesen werden. Künftig wird die Förderdauer auf 36 Monate verlängert. Dies bezeichnete Matthias Zimmer als nötige Flexibilisierung, die die Chancen der Menschen auf einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt erhöhe. Damit sollten vor allem Ältere und Familien mit schulpflichtigen Kindern gefördert werden, sagte er.

Zurückgenommen wurde nach deutlicher Kritik von Verbänden und Experten eine Änderung für alleinerziehende Hartz-IV-Bezieher. Hier war ursprünglich vorgesehen, dass der Regelsatz des minderjährigen Kindes, das sich wechselweise in beiden Haushalten der getrennt lebenden Eltern aufhält, entsprechend der Anwesenheitstage im jeweiligen Haushalt aufgeteilt wird - und zwar bei allen Elternpaaren, in denen ein Teil Hartz-IV-Leistungen bezieht. Bisher gilt die Regel nur, wenn beide Eltern die Leistungen beziehen. Doch Grüne und Linke ließen dennoch nicht nach, in der Debatte einen "Umgangsmehrbedarf" zu fordern. Wenn Kinder in zwei Haushalten lebten entstünden nicht weniger, sondern mehr Kosten, so das Argument.

Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, kündigte an, dass sich die Koalition um Verbesserungen für Alleinerziehende bemühe. "Wir sind dabei, ein Konzept für einen Umgangsmehrbedarf zu entwickeln." Der Opposition warf sie dennoch vor, falsch zu argumentieren. "Verbreiten Sie nicht solch einen Unsinn, dass ein Kind mit seinem Bett unter dem Arm von einem Elternteil zum nächsten ziehen muss", sagte sie.

Bundesrat ist am Zug Das zweite große Aufregerthema waren die Sanktionen für Leistungsbezieher, die unter 25 Jahre sind. Auch hier hatte eine Mehrheit von Experten und der Bundesländer für eine Abschaffung plädiert, doch findet sich dies nicht im Gesetz. Dazu sagte Annette Kramme (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: "Das Thema ist für uns auch mit diesem Gesetz nicht erledigt." Tatsächlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn nun muss der Bundesrat dem Gesetz zustimmen.