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DOPINGOPFER : Das Märchen vom vorbildlichen Fördersystem

Der DDR-Leistungssport basierte auf systematischem Betrug. Viele gedopte Athleten sind später erkrankt

25.07.2016
2023-08-30T12:30:04.7200Z
3 Min

Die Erfolgsbilanz der DDR in 40 Jahren Sportgeschichte brachte dem kleinen Siegerland viel Ruhm und Prestige ein. 755 Olympiamedaillen, 768 Weltmeister- und 747 Europameistertitel. Ein großes Sportwunderwerk, das allerdings nach Erklärung verlangte. Der Öffentlichkeit wurde dabei Glauben gemacht, dass es das herausragende Fördersystem des Landes, seine einzigartigen Trainingskonzepte, die unübertroffene Betreuung der Athleten, aber auch die besondere Aufmerksamkeit des Staates, mithin die Überzeugung des Sozialismus seien, die das große Siegen der DDR-Athleten erst ermöglicht hatten.

Märchen sind das eine, die Sportrealität ist das andere. Denn mit Öffnung der Stasi-Archive nach 1989 konnte das Ausmaß des systematischen Betrugs im DDR-Sport aktenfest gemacht werden. Das vermeintliche Sportwunder fiel wie ein Kartenhaus zusammen, es hatte vor allem zahllose Opfer produziert. Nach DDR-internen Schätzungen waren im Hinblick auf den 1974 initiierten "Staatsplan 14.25" - bei dem 15.000 Kaderathleten männliche Sexualhormone erhalten hatten - bereits bei 20 Prozent irreversible Schäden angenommen worden. Die kriminelle Praxis wurde jedoch nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil radikalisiert. So berichten die Opfer heute, dass sie in speziellen Forschungsklassen, in den Sportclubs, aber auch am illegalen Forschungsinstitut FKS Leipzig vor allem in den 1980er Jahren für zahllose Menschenversuche herhalten mussten.

Und sie berichten, was sich unterhalb der vermeintlichen Legitimationsdecke "Staatsplan 14.25" im DDR-Sport noch so ereignet hat: körperliche Gewalt, Sadismus, sexueller Missbrauch und alle erdenklichen Formen von psychischer Vereinnahmung. Die Folge waren physische, psychische und soziale Schäden, die aufgrund des nach wie vor gültigen Clanschweigens im organisierten Sport, aber auch aufgrund des privaten Schuldschweigens erst heute als späte Wunden in ihrem ganzen Umfang sichtbar werden.

Der organisierte Sport, aber auch die Politik taten sich kolossal schwer mit der Anerkennung der Hypothek des DDR-Sports. Walther Tröger, von 1992 bis 2002 Präsident des vereinten Nationalen Olympischen Komitees (NOK), sah sich nach dem Mauerfall dazu veranlasst, die Opferinitiative zu einem "umstrittenen Privatzirkel" zu erklären und mit hoher Intensität zu diskreditieren. Der Sport beließ es bei dieser ausgemachten Strategie, seine Opfer sorgsam draußen zu halten, deren Schäden klein zu reden, geführte Debatten zu privatisieren oder durch Offensivlügen zu drehen und so jegliche Verantwortung zu verweigern. Bis heute kommt er damit durch.

Die Politik hatte nach den Berliner Doping-Prozessen im Jahr 2000 und nach heftiger öffentlicher Kontroverse mit dem ersten Dopingopfer-Hilfegesetz von 2002 endlich Verantwortung übernommen. Durch einen Fonds im Umfang von zwei Millionen Euro konnten 194 Opfer eine Einmalhilfe von je 10.500 Euro erhalten. Die Schäden aber erwiesen sich als bleibend. Ende 2014 verzeichnete die Doping-Opfer-Hilfe (DOH) knapp 700 DDR-Dopinggeschädigte. Sie berichten von schweren Organschäden an Herz, Leber, Lunge, Milz, von Gefäß- und Knochenschäden, Tumorerkrankungen, Fettstoffwechselstörungen sowie von gynäkologischen Schädigungen. 70 Prozent aller Geschädigten sind psychisch erkrankt. In mittlerweile 80 Fällen ist es zu Schäden in der zweiten Generation gekommen. Auch die Todesliste ist mittlerweile lang. Die DOH-Datenbank verzeichnet bislang knapp 60 an Dopingspätfolgen verstorbene Athletinnen und Athleten.

Aufgrund der ständig steigenden Geschädigtenzahl entschloss sich die Bundesregierung nach intensiven Debatten, Anfang 2016 ein zweites Dopingopfer-Hilfegesetz (18/8040) in Höhe von nunmehr 10,5 Millionen Euro aufzulegen, über das weitere 1.000 Geschädigte Hilfe erhalten. Am 3. Juli 2016 trat es in Kraft. Doch es ist absehbar, dass das Kapitel DDR-Dopingopfer damit nicht ad acta zu legen ist. "Der Blick auf das Doping von Kindern und Jugendlichen in der ehemaligen DDR verändert sich", hieß es folgerichtig unlängst in der "FAZ". Aber nicht nur der Blick auf den DDR-Sport wird sich weiter verändern. Es wird auch zunehmend mehr und vor allem Alarmierendes aus der Zeit des organisierten Sports nach 1989 auf den Tisch kommen. Das auch deshalb, weil sich das Problem mit den vielen belasteten Funktionären, Trainern und Ärzten in den gesamtdeutschen Sport hinein verlängert. Der Sport im Land produziert anhaltend Opfer.