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NSA-Affäre : Kanzlerinnen-Worte beflügelten den Kurswechsel

Untersuchungsausschuss befasste sich mit dem Abhören von Verbündeten und fragwürdigen BND-Selektoren

04.10.2016
2023-08-30T12:30:08.7200Z
3 Min

Den Herbst 2013 hat Sachgebietsleiter B.R. als tiefen Einschnitt in seinen beruflichen Alltag in Erinnerung. Es war der Zeitpunkt, an dem sein Arbeitgeber, der Bundesnachrichtendienst (BND), beschloss, bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs darauf zu achten, dass künftig keine befreundeten EU- oder Nato-Länder mehr in Mitleidenschaft gezogen wurden. B.R. machte sich Sorgen um den Ertrag der Informationsgewinnung, wie er vergangene Woche dem NSA-Untersuchungsausschuss berichtete: "Mal schauen, was jetzt weniger kommt", sei sein erster Gedanke gewesen.

Der heute 55-Jährige ist ein ernsthafter und pflichtbewusster Mann. Berufssoldat, Oberstleutnant, nach 18 Jahren bei der Bundeswehr seit 1998 im Dienst des BND. In der Abteilung Technische Aufklärung (TA) zählte seit 2008 der Schutz deutscher Soldaten vor Terroranschlägen in Afghanistan zu seinen Hauptaufgaben.

Den Abgeordneten erzählte er von dem Unbehagen, das ihm 2013/14 die Arbeitsbelastung durch Anforderungen des Untersuchungsausschusses und parlamentarische Anfragen im Zusammenhang mit der Snowden-Affäre bereitet habe: "Herr Ströbele, Ihren Namen habe ich oft gelesen", sagte er an die Adresse des Grünen-Abgeordneten. Seine Sorge war, zu verhindern, dass die Mitarbeiter über Gebühr von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt wurden: "Es hätte nichts Schlimmeres passieren können, als dass es einen Anschlag gegeben hätte, weil wir eine Abteilung zumachen mussten."

Beide Versionen Indes, sein Begriff von Pflicht und Loyalität verleugnet bis heute nicht seine Herkunft aus der Bundeswehr: "Wenn mir gesagt wird vom Vorgesetzten, das hat der Präsident angewiesen, ist mir egal, ob schriftlich oder mündlich, das setze ich um." So nahm er damals die Anordnung auf, befreundete Ziele hinfort von Lauschangriffen zu verschonen. Wenn sie ihm auch, wie er betonte, die Arbeit erschwert habe.

Bis Herbst 2013 hatte der BND in der Überwachung des Fernmeldeverkehrs Selektoren, also Suchmerkmale, eingesetzt, die zur Ausspähung von Personen, Regierungsstellen und anderen Institutionen in Mitgliedsländern der EU und der Nato geeignet waren. Die BND-Spitze und das Kanzleramt wissen das seit knapp drei Jahren. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) weiß es erst seit Oktober 2015. Die Frage ist, was den BND schließlich bewog, damit aufzuhören. Geschah dies aus eigenem Antrieb? Bedurfte es eines politischen Anstoßes von außen? Der Ausschuss erlebte vergangene Woche zwei Zeugen, die beide Versionen zugleich anboten.

Der Sachgebietsleiter B.R. etwa betonte, dass die zuvor geübte Praxis seiner Ansicht nach keineswegs rechtswidrig gewesen sei. Was im Herbst 2013 den Kurswechsel ausgelöst habe, seien "politische Änderungen" gewesen. Diese hätten sich aus damaligen Äußerungen der Kanzlerin zum vertrauensvollen Umgang mit Verbündeten ergeben. In einer Pressekonferenz am 19. Juli 2013 hatte Angela Merkel zum Thema Fernmeldeüberwachung erklärt, "dass man das unter Freunden nicht macht. Das geht nicht." Noch deutlicher wurde sie am 23. Oktober 2013. "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht", kommentierte sie die Enthüllung, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) auch ihr eigenes Mobiltelefon belauscht hatte.

Der frühere Vorgesetzte des Sachgebietsleiters B.R., der damalige Unterabteilungsleiter D.B., berichtete dem Ausschuss, welch gewaltigen Eindruck diese seither geflügelten Kanzlerinnen-Worte in seiner Behörde hinterließen: "Es gab dazu Gespräche." Er selbst habe sich gefragt: "Wie wirkt sich das konkret auf unsere Steuerung aus?" Der damalige BND-Präsident Gerhard Schindler habe sich mit der Abteilung TA in Verbindung gesetzt und sich erstmals sowohl schriftlich als auch mündlich über die Verwendung von Selektoren unterrichten lassen. Schindler habe anschließend das Kanzleramt informiert und von dort die strikte Weisung mitgebracht, die politisch unerwünschten Suchmerkmale umgehend aus dem Verkehr zu ziehen. Er selbst, sagte D.B., habe am 28. Oktober 2013, fünf Tage nach Merkels Äußerung, den Anruf des BND-Präsidenten entgegengenommen.

Merkels Bestätigung Zugleich freilich legte D.B. Wert auf die Feststellung, dass zum damaligen Zeitpunkt in seiner Abteilung bereits seit einem halben Jahr die Praxis, auch Verbündete ins Visier zu nehmen, kritisch hinterfragt worden sei. Er selbst habe dazu im Frühjahr 2013 den Anstoß gegeben und bis September in mehreren Varianten einen Weisungsentwurf entwickelt, um mehr Rechtssicherheit zu gewinnen. Bereits im August habe er rund 700 fragwürdige BND-Selektoren abschalten lassen.

Dass der BND aus eigenem Antrieb begonnen habe, die Praxis des Selektoren-Einsatzes zu revidieren, hörte der Ausschuss auch vom Zeugen B.R. Insofern seien die Worte der Kanzlerin nur die Bestätigung eines bereits eingeleiteten Kurswechsels gewesen: "Wir haben geguckt, ob unsere Fahrt in die richtige Richtung geht. Sie ging in die richtige Richtung."