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INKLUSION : Hindernislauf zur inklusiven Gesellschaft

Experten fordern in einer Anhörung Nachbesserungen am geplanten Bundesteilhabegesetz

14.11.2016
2023-08-30T12:30:10.7200Z
3 Min

Was wäre, wenn das Bundesteilhabegesetz (BTHG) nicht in Kraft treten würde? Diese Frage von Karl Schiewerling (CDU), dem Arbeitsmarktexperten der Unionsfraktion, kam nicht von ungefähr. Denn parallel zur Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu diesem Gesetz demonstrierten in der vergangenen Woche vor dem Brandenburger Tor erneut tausende Menschen für Nachbesserungen. Und nicht wenige Kritiker, so der Eindruck der vergangenen Monate, würden es lieber sehen, das Gesetz träte nicht in Kraft. "Dann tritt es nicht in Kraft. Aber es löst auch keine Probleme", sagte Daniel Heinisch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge in der Anhörung. Das Gesetz sei sicher nicht die Lösung aller Dinge, aber ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen, so Heinisch weiter. Elisabeth Fix vom Deutschen Caritasverband warnte: "Wenn das Gesetz nicht in Kraft tritt, haben wir für lange Zeit die Chance verspielt, die Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem herauszulösen." Gleichwohl sehe auch die Caritas "große und erhebliche Nachbesserungsbedarfe", betonte sie und teilte diese Auffassung mit der Mehrheit der geladenen Sachverständigen.

Eigenes Leistungsrecht Schwerpunkt des Gesetzesentwurfes (18/9522) ist die Neufassung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX. Die Eingliederungshilfe soll aus dem "Fürsorgesystem" der Sozialhilfe herausgeführt und das SGB IX zu einem Leistungsgesetz aufgewertet werden. Fachleistungen sollen künftig klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt werden. Diesen Ansatz, wie auch die Einführung eines bundesweiten Budgets für Arbeit, die Bündelung von Reha-Leistungen oder auch ein gesetzliches Prüfrecht für den Leistungserbringer begrüßten die Sachverständigen auch.

Deutlich kritisiert wurde hingegen die Regelung, wonach der Erhalt von Eingliederungshilfe künftig an Einschränkungen in fünf von neun im Gesetz definierten Lebensbereichen gebunden sein soll. Auch wurde von mehreren Verbänden gefordert, das bisher geltende Prinzip "ambulant vor stationär" deutlich im Gesetz zu verankern und den geplanten Vorrang der Pflegeleistungen gegenüber der Eingliederungshilfe zurückzunehmen.

Elisabeth Fix betonte, es sei richtig, dass das BTHG die Eingliederungshilfe als "echtes Sachleistungsprinzip" verankere. Die Regelung, Eingliederungshilfe nur zu gewähren, wenn eine Einschränkung in fünf Lebensbereichen vorliege, bezeichnete sie jedoch als "willkürlich" und nicht ausreichend begründet. Horst Frehe, Sozialpolitiker und ehemaliger Sprecher des Deutschen Behindertenrates, nannte diese Regelung "völlig missglückt". Es sei zu befürchten, dass Menschen mit Sinnes- oder Lernbeeinträchtigungen und mit bestimmten psychischen Erkrankungen aus dem System herausfallen, warnten sowohl Fix als auch Frehe.

Das "Poolen" von Leistungen, also eine nicht individuell sondern nur gruppenweise genehmigte Leistung, kritisierte Nancy Poser, Richterin und Mitglied im Forum behinderter Juristinnen und Juristen. Gemeinsame Leistungen, wie zum Beispiel gebündelte Fahrdienste, seien schon heute möglich. Unzumutbar sei so etwas jedoch, wenn es um den Bereich der eigenen Lebensgestaltung, um den Bereich der persönlichen Assistenz gehe, sagte Poser. Michael Conty, Vertreter des Bundesverbands der evangelischen Behindertenhilfe, mahnte, ein Poolen von Leistungen dürfe es nur mit Zustimmung der Betroffenen geben. Als Chance für eine wirtschaftlichere Leistungserbringung wertete dagegen Irene Vorholz, als gemeinsame Vertreterin des Deutschen Landkreistages und des Städte- und Gemeindebundes geladen, diese Bündelung von Leistungen.

Zum Vorrang der Pflegeleistungen sagte Antje Welke von der Bundesvereinigung Lebenshilfe: "Wir lehnen es ab, dass Leistungen der Pflegeversicherung künftig Vorrang haben sollen gegenüber den Leistungen der Eingliederungshilfe." Denn dann könnten sich die Träger Eingliederungshilfe zulasten der Pflegeversicherung aus der Verantwortung stehlen. Auch hätten beide Systeme völlig andere Ziele und seien nicht vergleichbar, betonte sie.

Die Anhebung der Vermögensfreibeträge zur Verrechnung von Eingliederungsleistungen fand ein weitgehend positives Echo. Jedoch verwies Janis Mc David darauf, dass nur erwerbsfähige Menschen davon profitierten und beim Übergang in die Rente zudem wieder die schärferen Vermögensgrenzen gelten würden. "Nur eine vollständige Aufhebung der Einkommens- und Vermögensgrenzen sorgt für echte Teilhabe", sagte er.