Piwik Webtracking Image

BANGLADEScH : Prügel, Knast und Entlassung

Trotz mancher Fortschritte beim Arbeitsschutz müssen Textilarbeiterinnen weiter für ihre Rechte kämpfen

18.04.2017
2023-08-30T12:32:20.7200Z
5 Min

Die junge Frau mit den neugierig strahlenden Augen hat es eilig. Seit acht Uhr morgens steht Rimi Akhter an ihrer Maschine in der kleinen Textilfabrik von J&G Garments in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Jetzt huscht sie am späten Nachmittag während einer kurzen Pause zum Bangladesh Center for Worker Solidarity (BCWS). Aber Rimis Arbeitstag ist noch lange nicht zu Ende. Sie muss in der Fabrik noch bis zehn Uhr abends Überstunden schieben.

Alle organisiert "Ich fühle mich immer noch nicht wirklich sicher", sagt die 22-Jährige, "während der vergangenen Jahre hat sich viel verbessert. Aber die Flure und Ausgänge werden immer noch mit Material zugestellt." Rimi ist schon eine Veteranin in der boomenden Textilindustrie des südasiatischen Landes: Vor zehn Jahren schob sie - gerade zwölf Jahre alt - erstmals ihre Stempelkarte in den Automaten am Eingang von J&G Garment. Heute gehört Rimi zu den Organisatoren einer Gewerkschaft in ihrem Betrieb. Dank dem Verhalten der Arbeitgeber gelang ihr ein Kunststück, von dem wohl Arbeitnehmervertreter in aller Welt träumen: Bei J&G Garment schrieben sich alle Kolleginnen bei der Gewerkschaft ein. Rimi schmunzelt, als sie die Gründe erklärt: "Es gab 350 Beschäftigte, aber das Unternehmen hat Leute entlassen. Die verbliebenen 150 sind jetzt alle organisiert."

110 US-Dollar bringt Rimi monatlich nach Hause. Die Summe liegt deutlich über dem Mindestlohn von 68 US-Dollar und stellt fast genau den Durchschnittslohn der vier Millionen Textilarbeiterinnen des Landes dar. Sie und ihre Kolleginnen brauchten viel Mut, die Gewerkschaft zu organisieren.

Der Fabrikbesitzer sperrte sie mal ein' Manager drohten den Frauen mit Prügel oder Entlassung. An einer Wand in den Büros des BCWS, in dem Rimi sitzt, hängt ein Bild des Gründers Aminul Islam. Der Arbeitsrechtler wurde 2012 entführt und gefoltert, seine Leiche nach zwei Tagen rund 100 Kilometer von Dhaka entfernt im Straßengraben gefunden. Die Täter wurden nie gefasst.

"Unser Ziel ist, wie in Deutschland eine einzige Gewerkschaft zu haben, mit der wir verhandeln können", sagt Miran Ali, ein Sprecher der Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA), der mächtigen Vereinigung der Textilindustrie. Seine Vorstellungen stoßen bei Leuten wie der gegenwärtigen BCWS-Generalsekretärin Kalpona Akhter auf geringe Gegenliebe. "Es gibt etwa 500 Gewerkschaften in der Textilindustrie", sagt Kalpona Akhter, "aber weniger als 50 von ihnen verdienen den Namen. Die anderen werden von den Unternehmern oder der Regierung kontrolliert."

Bei etwa 4.500 Textilfabriken mit vier Millionen Beschäftigten - zumeist Frauen - sind das minimale Zahlen. "An erster Stelle unserer Bemühungen steht der Kampf darum, dass eingegangene Verpflichtungen von den Besitzern auch erfüllt werden", beschreibt Kalpona Akther die wichtigsten Ziele der Gewerkschaftsgruppen, die sich der BCWS angeschlossen haben, "die zweite Priorität ist der Kampf für die Freiheit gewerkschaftlicher Organisation. An dritter Stelle kommt für uns die Wahrung und Beibehaltung von Sicherheitsstandards."

Vier Jahre, nachdem beim Einsturz einer Textilfabrik in den baufälligen Gemäuern von Rana Plaza mehr als 1.100 Menschen starben, und fünf Jahre, nachdem bei einem Feuer in der Tazreen Fabrik 112 Arbeiterinnen lebendig verbrannten, stellt diese Äußerung einen bemerkenswerten Wandel dar, wie auch Kalpona Akhter zugibt: "Seit Rana Plaza hat sich dank internationalem Druck die Sicherheit der Fabriken und der Feuerschutz sehr verbessert. Deshalb steht das Thema neuerdings bei uns an dritter Stelle. Es geht nun darum, die Standards beizubehalten."

Die 32-jährige Anju Begum, die seit 20 Jahren bei Luman Fashion in Dhaka beschäftigt ist, startet heute in ihren Arbeitstag mit sehr viel weniger Furcht als noch vor fünf Jahren: "Die Generatoren wurden aus dem Obergeschoss nach unten gebracht. Wir haben jetzt regelmäßige Brandübungen. Auch die Stromleitungen wurden erneuert", berichtet sie.

Tatsächlich fügten sich bislang etwa zwei Drittel der 4.500 Fabriken, die für die größten Modekonzerne in den USA und Europa arbeiten, dem internationalen Druck und verbesserten die katastrophalen Zustände in vielen Fabriken. Die verbleibenden Unternehmen, die für mehr als 700 überwiegend kleine ausländischen Label fertigen, sollen bis Mitte des kommenden Jahres eine Vereinbarung mit der Regierung abschließen.

Viele Gebäude der Textilindustrie entsprachen in der Vergangenheit nicht den Bauvorschriften. Angesichts unregelmäßiger Stromversorgung stellten die Besitzer riesige Generatoren auf die Dächer, die die Strukturen in den Grundfesten erschütterten. Fluchtwege und Ausgänge wurden zudem entweder abgeschlossen oder mit Material zugestellt.

"Rana Plaza war ein Weckruf für uns alle", gesteht BGMEA-Sprecher Miran Ali: "Keine Textilindustrie in einem anderen Land investierte so viel in Sicherheit wie Bangladesch. Im kommenden Jahr werden wir am fünften Jahrestag des Unglücks von Rana Plaza Standards haben, die denen in Europa oder den USA entsprechen", zeigt er sich überzeugt

Ali, gleichzeitig Generalmanager der Bitopi-Gruppe, kämpft um den Ruf einer für Bangladesch lebenswichtigen Industrie. Ohne die Textilindustrie wäre das Land noch ein internationaler Sozialfall wie vor 20 Jahren. Heute machen hier Kleider Hoffnung auf eine strahlende Zukunft. Mit jährlichen Exporten von fast 30 Milliarden US-Dollar stellt der Wirtschaftszweig 82 Prozent der Ausfuhren des Landes. "Wir sind sicher, dass Bangladesch Ende des Jahres 2020 den Status einer Landes mit mittlerem Einkommen belegen wird", sagt Ali, in seiner eigenen Fabrik Herr über 13.000 Textilarbeiter.

Derzeit baut er eine zweite Textilfabrik. Mit sechs Prozent der weltweiten Textilausfuhren liegt Bangladesch deutlich hinter China mit 36 Prozent auf Platz zwei. Doch Bangladeschs Kleidermacher blicken weder nach China noch nach Myanmar, dessen Mindestlöhne unter den eigenen liegen. "Äthiopien ist der gefährlichste Wettbewerber. Die kommen schnell hoch und haben nur ein Drittel unserer Lohnkosten", sagt Miran Ali, "das kann für uns ein größeres Problem werden als jede Form von Automatisierung."

Bei Lohnfragen beißen Bangladeschs Textilarbeiter denn auch heute auf die Hartnäckigkeit, mit der die Produzenten vor der Katastrophe von Rana Plaza Verbesserungen in den Fabriken ablehnten. "Wir haben eine automatische Lohnerhöhung von fünf Prozent jährlich mit der Regierung vereinbart, aber man muss bedenken, dass wir unter massivem Druck stehen", argumentiert Ali. "Die Börsen erwarten von den westlichen Modelabels Gewinne bis zu 14 Prozent. Das müssen wir ausbaden."

Protest mit Folgen Die Textilarbeiter in der Gegend von Ashulia behaupten, sie hätten seit 2010 keine Erhöhung gesehen. Im Dezember gingen sie aus Protest auf die Straße. 1.500 Arbeiter verloren prompt ihren Job. "Sie wurden temporär suspendiert", sagt Ali, "bis klargestellt ist, ob und wie sie sich etwas zuschulden haben kommen lassen. Außerdem waren nur rund 200.000 unserer vier Millionen Beschäftigten betroffen."

Gefeuerte Arbeiter werfen ihm vor, Süßholz zu raspeln. "Die Leute werden nie mehr einen Job in der Industrie bekommen", sagt ein Gewerkschafter. Mehrere Arbeiter, die im Gefängnis landeten, kamen erst frei, als westliche Konzerne drohten, eine Selbstdarstellungsmesse der BMEA zu boykottieren. "Wir arbeiten, die Unternehmer verdienen das Geld. Es ist Zeit, dass wir etwas mehr von den Gewinnen bekommen", sagt Rimi Akhter und geht zurück an ihren Arbeitsplatz.

Der Autor ist freier Süd- und Südostasien- Korrespondent mit Sitz in Bangkok.