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verbraucherschutz : Aufgeklärt und abgezockt

Wenn Bürger über Missstände klagen, sind praktikable Lösungen gefragt

22.05.2017
2023-08-30T12:32:21.7200Z
4 Min

In Wahljahren wirkt die Verbraucherpolitik noch bedeutsamer, als sie es ohnehin schon ist. Denn die Wähler schauen nicht immer nur auf das große Ganze, sondern richten ihre feinen Antennen auf die ganz nahe liegenden Fragen aus, die jeden angehen: Warum schießen die Mietpreise wie der Spargel in Beelitz? Warum müssen die Dispozinsen der Banken zweistellig sein, wo es doch sonst auch keine Zinsen gibt? Wieso stoppt niemand den Wahnsinn mit sinnlosen Versicherungen und anderen Formen moderner Abzocke? Weshalb ist mein Diesel nicht so sauber, wie VW behauptet? Mitten in der digitalen Revolution stellen sich auch ganz neue Fragen, nicht minder bedeutsam, nicht weniger konkret. Kann ich dem Online-Banking wirklich vertrauen? Wie verlässlich sind die vielen Gesundheits-Apps? Wer kann auf meine Daten zugreifen und warum? Der Verbraucherschutz hangelt sich quer durch den Schrebergarten und gilt als Gradmesser für alltagstaugliche Politik. Und so waren die Abgeordneten vergangene Woche in der Aussprache über den Verbraucherpolitischen Bericht der Bundesregierung 2016 (18/9495) alle bemüht, rhetorisch in die Niederungen des gemeinen Bürgers vorzudringen und deren Nöte zu erahnen. Dabei ging es auch um die heikle Grundsatzfrage, ob Verbraucher informiert oder schon bevormundet werden, ob Lebensmittelampeln anmaßend oder praktisch sind.

Mieterschutz Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der mit seinem Doppelressort auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, zog ein positives Fazit zum Ende der Legislatur. Passend zu den bald beginnenden Sommerferien erinnerte er daran, dass die Roaminggebühren für das Telefonieren und Surfen in fremden Mobilfunknetzen in Europa abgeschafft werden, damit habe die "Abzocke" absehbar ein Ende. Maas verwies auch auf Erfolge beim Mieterschutz durch das Bestellerprinzip für Makler und die Mietpreisbremse, die freilich noch verbessert werden könnte, indem Vermieter verpflichtet würden, die Vormiete offenzulegen.

Zudem hätten alle Bürger das Recht auf ein Girokonto und seien besser vor der Verbraucherfalle Dispokredit geschützt. Auch der sogenannte graue Kapitalmarkt sei nun im Sinne der Kleinanleger stärker reguliert. Mit dem digitalen Frühwarnsytem "Marktwächter" könnten Missstände leichter erkannt werden. Insgesamt seien in dieser Legislaturperiode erhebliche Fortschritte erreicht worden, sagte der SPD-Politiker. Auch Mechthild Heil (CDU) wies darauf hin, dass viele drängende Fragen beantwortet worden seien. Das Ziel sei, die Verbraucher zu stärken und in die Lage zu versetzen, eigene Entscheidungen zu treffen. So würden Bürger darin unterstützt, auf Augenhöhe mit den Unternehmen zu kommen. Verbote seien aber das letzte Mittel. Mit fortschreitender Digitalisierung könnten neue Akzente gesetzt werden, fügte Heil hinzu und nannte einige Beispiele. Wünschenswert wäre es etwa, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Firmen maschinenlesbar und damit für Verbraucher leichter zugänglich zu machen. Gut wäre es auch, wenn Nutzer von Internetdiensten ihre Datenschutzwünsche formulieren und auf einer Plattform hinterlegen könnten. Denkbar wäre zudem, dass registrierte Kunden der Bahn oder von Fluglinien automatisch Entschädigungen bekämen, wenn Züge oder Flüge Verspätung hätten oder ausfielen. Heil hielt SPD und Grünen vor, an "Verbote, Ampeln und Kontrolle" zu glauben, während die Union "die Chancen der Digitalisierung für innovative und moderne Verbraucherpolitik" sehe.

Versicherungen Nicole Maisch (Grüne) reagierte hämisch und sprach von einer "putzigen Ideensammlung". Ansonsten sehe es im Verbraucherschutz "ziemlich trübe" aus. Zwar gebe es durchaus Fortschritte etwa durch die "Marktwächter" oder das Kleinanlegerschutzgesetz, in anderen Bereichen falle die Bilanz aber "dünn und düster" aus. Verbraucher würden von Internetkonzernen, in der Wohnungswirtschaft, bei Banken oder Versicherungen übervorteilt. So würden Bürgern sinnlose und überteuerte Versicherungen aufgeschwatzt, wie etwa Restschuldversicherungen bei Krediten. Auch Karin Binder (Linke) monierte, dass große Konzerne noch eher geschützt als im Sinne der Verbraucher effektiv kontrolliert würden. Der Abgasskandal bei Volkswagen habe deutlich gemacht, dass der Verbraucherschutz dringend gestärkt werden müsse. Statt dessen bemühe sich die Politik um die Automobilindustrie, während die Kunden auf den Kosten sitzen blieben und die Gesellschaft unter den Umweltproblemen leide. Auch die Dispozinsen der Banken seien weiter skandalös hoch und die Mietpreisbremse wirke zum Teil sogar mietsteigernd.

Elvira Drobinski-Weiß (SPD) erinnerte an die Zweiteilung des Verbraucherschutzes und machte Defizite im CSU-geführten Bereich Ernährung und Landwirtschaft aus. Auf dem Lebensmittelmarkt sei noch lange nicht so viel Transparenz erreicht wie beispielsweise auf dem Kapitalmarkt. Nötig sei hier ein Qualitätswettbewerb. Bei Fällen von Lebensmittelbetrug fehle auch noch immer die Grundlage dafür, öffentlich "Ross und Reiter zu nennen und die Mängel abzustellen", monierte die SPD-Abgeordnete. Gitta Connemann (CDU) hielt dagegen: "Essen und Trinken sind so sicher wie nie zuvor."