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Soziales : Die Forderung

Kontroverse Debatte über den Armutsbericht

03.07.2017
2023-08-30T12:32:24.7200Z
4 Min

Die "Ehe für alle" hat sich als Wahlkampfthema erledigt, aber Daniela Kolbe, Sozialpolitikerin der SPD-Fraktion, hat ein alternatives Streitthema parat: "Die Armut sinkt nicht. Deshalb ist es wichtig, in den Wochen vor der Bundestagswahl darüber zu streiten, wer die besseren Konzepte hat, um Armut in Deutschland tatsächlich zu verringern", kündigte sie vergangene Woche im Bundestag an. Genaugenommen wird darüber seit Jahren ständig diskutiert, innerhalb und außerhalb des Parlaments. Meist sind es Studien diverser Forschungsinstitute, die den Anlass dafür liefern. Die prominenteste Untersuchung, die schon vor ihrem Erscheinen regelmäßig für Diskussionsstoff sorgt, ist der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Über diesen, den fünften seiner Art, debattierte der Bundestag in seiner letzten Sitzungswoche nun doch noch, nachdem es zunächst so aussah, als fiele er in der Endphase dieser Legislatur unter den Tisch. Denn eigentlich soll der alle vier Jahre erscheinende Bericht in der Halbzeit einer Wahlperiode vorgelegt und dann auch im Bundestag diskutiert werden.

Versprechen der Marktwirtschaft Die Befürchtung, dass seine Ergebnisse wegen der Verzögerungen in der Schublade verschwinden, ist dennoch wahrscheinlich unbegründet. Zu präsent ist das Thema in der Öffentlichkeit und zu eindeutig sind die Befunde. Sie veranlassten Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) sogar dazu, in der Debatte zu sagen: "Es war richtig den Mindestlohn einzuführen. Aber der Mindestlohn ist kein guter Lohn. Er reicht nicht, über ein ganzes Leben betrachtet, für ein gutes Einkommen und eine gute Rente." Nahles verwies darauf, dass die Löhne in den unteren Lohngruppen, immerhin bei den unteren 40 Prozent der Löhne, im langfristigen Vergleich gesunken seien. "Für viele Menschen sind die Versprechen der sozialen Marktwirtschaft brüchig geworden", sagte sie und forderte einen "Pakt für anständige Löhne". Vor allem Alleinerziehende dürften nicht länger in Minijobs und Teilzeitjobs steckenbleiben, so Nahles.

Widersprüchliche Zahlen Dabei fängt der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht zunächst mit positiven Zahlen an: So kann man dort nachlesen, dass die Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen von 71 Prozent im Jahr 2006 auf 78 Prozent im Jahr 2016 gestiegen ist, die der 55- bis 64-Jährigen sogar von 48 auf 66 Prozent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist im selben Zeitraum von 26,5 auf 31,4 Millionen gestiegen. Eigentlich, sollte man meinen, müsse die Armut vor diesem Hintergrund eher sinken. Doch das Erstaunliche an dem Bericht ist die Feststellung, dass die Armutsrisikoquote seit 2005 "in etwa auf gleichem Niveau" verharrt. Knapp 16 Prozent der Bevölkerung, knapp 13 Millionen Menschen, sind demnach von Armut bedroht, "an den Rändern" zeige sich ein leichter Anstieg, heißt es im Bericht. Nicht nur Arbeitslose, auch Alleinerziehende, Kinder und niedrig Qualifizierte haben demnach ein sehr hohes Risiko, von Armut betroffen zu sein. Arbeit verringert dieses Risiko zwar deutlich, allzu oft kann sie Armut aber auch nicht verhindern.

Für Linke und Grüne Anlass genug, noch einmal ihre Forderungen nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung, einer Mindestrente und einer Kindergrundsicherung zu verteidigen. 20 Prozent der Familien mit Kindern könnten sich nicht mal eine Woche Familienurlaub leisten. "Auch das ist eine Form von Armut und Ausgrenzung, mit der ich mich niemals abfinden werde", sagte Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken. Kinderarmut erschwere aber den Start ins Leben, weshalb eine Kindergrundsicherung von rund 570 Euro dringender denn je sei, betonte sie. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) forderte: "Wir brauchen eine Grundsicherung, die tatsächlich vor Armut schützt - nicht mit Regelsätzen, für deren Ermittlung die Vergleichsgruppe arme Menschen sind, wobei das Ergebnis noch um 25 Prozent runtergerechnet wird." Es sei ein Skandal, dass trotz der guten Wirtschaftslage 13 Millionen Menschen, darunter 2,5 Millionen Kinder, auf Hartz-IV-Niveau oder darunter leben und dass vier Millionen Erwerbstätige von ihrer Arbeit nicht leben könnten, so der Grüne.

Kai Whittaker (CDU) lehnte eine solche Umverteilung energisch ab: "Was nutzt Alleinerziehenden oder Langzeitarbeitslosen ein höherer Hartz-IV-Satz?", fragte er. Das Ziel der Union sei klar: "Es geht nicht um das Verteilen von Almosen. Die Würde des Menschen bemisst sich nicht in der Höhe des Sozialtransfers, sondern danach, ob er mit seiner eigenen Hände Arbeit sein Leben bestreiten kann", sagte Whittaker. Ob der damit allerdings den von Nahles geforderten "Pakt für anständige Löhne" meinte, blieb offen. Daniela Kolbe, schon ganz im Wahlkampfmodus, warf Whittaker vor, "krude Ansätze" zu vertreten und die Kluft zwischen Arm und Reich zu verteidigen. "Wir wollen das ändern, wir wollen zu einer anderen Verteilung in diesem Land kommen", so Kolbe. Der Wahlkampf kann also kommen.