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NSA-ausschuss : Den Agenten auf der Spur

Ein Sondervotum der Opposition führt ganz am Schluss zu heftigem Streit

03.07.2017
2023-08-30T12:32:24.7200Z
4 Min

Er hat als parlamentarischer Ermittler gewiss mehr erlebt als die meisten der Kollegen, doch noch immer ist Hans-Christian Ströbele (Grüne) zu beeindrucken. Deutlich wurde das vergangene Woche im Bundestag, als Ströbele über die Aktenlektüre für den NSA-Untersuchungsausschuss berichtete: "Der schlimmste Augenblick in meinem Aktenstudium war der, als ich lesen musste, dass der BND selber der Auffassung war: Das, was er da treibt, darf auf keinen Fall dem deutschen Parlament mitgeteilt werden", sagte Ströbele. "Das heißt, dass selbst der BND der Auffassung gewesen ist: Er tut Unrecht."

Das genau ist die Frage, die zuletzt die Vertreter von Koalition und Opposition im Ausschuss heftig entzweite: Hat es beim Bundesnachrichtendienst (BND), um mit dem Vorsitzenden Patrick Sensburg (CDU) zu sprechen, lediglich "technische und organisatorische Versäumnisse und Mängel" gegeben oder hat der deutsche Auslandsgeheimdienst nachhaltig und in voller Absicht das Recht gebrochen? Der Dissens eskalierte im Eklat, als die Ausschussminderheit ihre abweichende Einschätzung in einem Sondervotum fixierte, das nach Ansicht der Mehrheit nicht rechtzeitig vorlag. Es sei zu spät für das Ausschusssekretariat, um den Text auf geheimschutzbedürftige Stellen zu überprüfen und den zitierten Zeugen innerhalb der gebotenen Zweiwochenfrist die Möglichkeit rechtlichen Gehörs einzuräumen, hieß es. Die Mehrheit stufte deswegen das Sondervotum insgesamt als geheim ein, und als sich daraufhin die Berichterstatter von Linken und Grünen weigerten, den Abschlussbericht zu unterzeichnen, enthob der Vorsitzende sie kurzerhand ihrer Funktion. Er bediente sich dabei einer Klausel, der zufolge die federführenden Mitglieder eines Ausschusses als Obleute ihren Fraktionen verantwortlich sind, als Berichterstatter aber dem Ausschuss, dessen Belange der Vorsitzende wahrzunehmen habe.

In der Plenardebatte über den Abschlussbericht hob Sensburg freilich hervor, das Gremium habe dreieinhalb Jahr lang "intensiv, aber auch sehr konsensual" gearbeitet, selbst wenn es "zum Schluss die eine oder andere Diskussion" gegeben habe. Sensburg würdigte das Verdienst des Whistleblowers Edward Snowden, mit seinen Enthüllungen über Praktiken der National Security Agency (NSA) auch in Deutschland eine wichtige Debatte über den Schutz der Privatsphäre und den Umgang mit Daten angestoßen zu haben, die ohne ihn nicht stattgefunden hätte.

Der Ausschuss habe 581 Stunden und 21 Minuten lang getagt. Er habe 89 Zeugen und 32 Sachverständige gehört, überdies 2.401 Aktenbände durchgearbeitet: "Das ist schon eine Leistung." Zu den Erfolgen des Ausschusses zählte Sensburg auch die Novelle des BND-Gesetzes, die er als "vorbildlich auch im europäischen und internationalen Rahmen" bezeichnete: "Wir müssen erkennen, dass wir unsere Nachrichtendienste brauchen, dass sie sich aber auf dem Boden von Recht und Gesetz bewegen müssen."

Auch die Linke-Abgeordnete Martina Renner stellte fest: "Der Ausschuss war wichtig, und er war erfolgreich." Die Regierung habe freilich alles daran gesetzt, seine Arbeit zu behindern, durch "sinnfreie Schwärzungen" in Akten, "Beeinflussung von Zeugen" und "Drohungen". Der Ausschuss habe den BND als "willfährigen Helfer der US-Spionage" enttarnt. Er habe überdies die Verantwortung der Bundesregierung für "viele Drohnentote im geheimen Krieg" festgestellt. Ohne die Duldung des US-Stützpunkts Ramstein "könnten die Drohnen nicht fliegen". Renner sprach von bisher 900 zivilen Drohnenopfern, unter ihnen 200 Kinder: "Frau Merkel, schließen Sie Ramstein!" Scharf kritisierte Renner das Verhalten Sensburgs im Streit um das Sondervotum. Noch nie habe ein Ausschussvorsitzender "so selbstherrlich und willkürlich" versucht, die Opposition zum Schweigen zu bringen. An die SPD gewandt, stellte sie fest: "Ihre Heuchelei ist unübertroffen." Die Lehre aus der Ausschussarbeit sei, "dass Freiheit und Demokratie nicht von Geheimdiensten verteidigt werden müssen, sondern gegen sie".

Für die SPD bescheinigte deren Obmann Christian Flisek dem Ausschuss, er sei in die Geheimnisse der Nachrichtendienste so tief eingedrungen wie kein anderes vergleichbares Gremium zuvor: "Wir haben nach und nach Dinge aufgedeckt, die die Bundesregierung mit Sicherheit lieber für sich behalten hätte." Dabei sei es, kritisierte Flisek, den Kollegen der Union freilich vor allem darum gegangen, ihre Minister und die Kanzlerin aus der Schusslinie zu halten und die Nachrichtendienste nicht zu verärgern, während die Opposition "nur in Maßen an substanzieller Aufklärung interessiert" gewesen sei.

Der BND sei keine kriminelle Organisation, die die "Daten braver Bürger an den maßlosen Datenstaubsauger der USA verhökert". Die Behauptung millionenfacher Grundrechtsverletzung, begangen an deutschen Staatsbürgern, habe sich nicht bestätigt, sagte Flisek.

Ströbele befand hingegen: "Es ist alles wahr. Edward Snowden hat recht. Die NSA hat massenhaft und anlasslos Daten abgegriffen, auch von deutschen Staatsbürgern in Deutschland, ohne rechtliche Grundlage." Das Kanzleramt trage die Verantwortung. Es habe in der Rechts- und Fachaufsicht über den BND versagt und die Bevölkerung in vielfacher Weise irregeführt, sowohl in der Frage, ob ausländische Nachrichtendienste sich in Deutschland an deutsches Recht und Gesetz hielten als auch über die Rolle des US-Luftwaffenstützpunks Ramstein im Drohnenkrieg.

Nina Warken (CDU) konterte: "Das letzte, was wir zur Zeit gebrauchen können, ist eine politisch motivierte Kampagne gegen unsere Sicherheitsbehörden." Die Konsequenz aus der Tätigkeit des Ausschusses könne nicht lauten, Nachrichtendienste "pauschal zu diffamieren oder abschaffen zu wollen". Es gehe vielmehr darum, Fehler zu beheben. Wenn die Opposition der Bundesregierung "Rechts- und Verfassungsbruch" vorwerfe, könne sie nur davor warnen, "mit solchen Begriffen leichtfertig umzugehen".

In einer aktuellen Stunde erneuerten Koalition und Opposition ihren Streit über die Behandlung des Sondervotums. Von "Schikane" sprach Konstantin von Notz (Grüne), während Warken den Eklat der Opposition zur Last legte.