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Arbeitgeber : Kirchliche Sonderwege

Die Kirchen lockern ihre arbeitsrechtlichen Regeln für Mitarbeiter - auch um neue Fachkräfte zu werben

09.01.2017
2023-08-30T12:32:13.7200Z
4 Min

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und ihr Wohlfahrtsverband Diakonie Deutschland wollen ihre Arbeitsplätze künftig stärker für nicht oder anders gläubige Menschen öffnen. Eine entsprechende Richtlinie hat der Rat der EKD am 9. Dezember 2016 verabschiedet. Insbesondere für die rund 30.000 sozialen Einrichtungen der Diakonie sollen in Zukunft mehr Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen als Mitarbeiter gewonnen werden.

Ob in der Alten- und Krankenpflege, der Kinderbetreuung oder der Seelsorge: In weiten Teilen des sozialen Dienstleistungssektors haben die kirchlichen Wohlfahrtsverbände weiterhin eine marktbeherrschende Stellung - auch was die Arbeitsplätze angeht. Nach eigenen Schätzungen beschäftigt die Diakonie rund 464.000 hauptberufliche Mitarbeiter, die Caritas zählt sogar 617.000 hauptamtlich Beschäftigte in ihren Betrieben, zu denen ein Großteil der deutschen Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten, Jugendzentren und Behindertenwerkstätten gehören. Damit gehören die kirchlichen Sozialdienste zu den größten Arbeitgebern im Land.

Der »Dritte Weg« Wer in Deutschland eine Anstellung als Kindergärtner oder Krankenpflegerin sucht, kommt an den kirchlichen Arbeitgebern häufig nicht vorbei. Christen hatten hier bisher deutlich bessere Chancen auf eine Anstellung. Wer dagegen einer anderen Religionsgemeinschaft angehört, geschieden und wiederverheiratet, homosexuell oder aus der Kirche ausgetreten ist, hat besonders bei der katholischen Kirche tendenziell schlechte Karten auf einen Job, denn die Kirchen verlangen von ihren Mitarbeitern, dass sie sich beruflich wie privat zur Kirche und ihren Lehren bekennen. Festgeschrieben ist das in besonderen Loyalitätspflichten, denen die Mitarbeiter bei Vertragsunterzeichnung zustimmen müssen. Ein Verstoß kann zu arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Kündigung führen.

Dass ein Arbeitgeber seinen Angestellten vertraglich vorschreibt, wie sie sich privat zu verhalten haben, ist im Rahmen des deutschen Arbeitsrechts eigentlich undenkbar. Für die Kirchen gelten jedoch weitreichende Sonderregeln. Das Grundgesetz sichert ihnen ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht zu. Auf dieser Basis dürfen sie auch ihre Arbeitsverhältnisse selbst regeln - in Form eines eigenständigen Dienst- und Arbeitsrechts. In Abweichung vom Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ("Erster Weg") oder den Tarifverhandlungen in der Privatwirtschaft ("Zweiter Weg") haben die Kirchen im "Dritten Weg" ein eigenes Arbeitsvertragsrecht entwickelt.

Anders als bei Tarifverhandlungen in der freien Wirtschaft, wo Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, verstehen sich die Kirchen und ihre Betriebe grundsätzlich als christliche Dienstgemeinschaft, in der Arbeitgeber und Mitarbeiter partnerschaftlich am gemeinsamen kirchlichen Verkündigungsauftrag mitwirken. Dieses Leitbild bringt - neben den besagten Loyalitätspflichten - weitere arbeitsrechtliche Besonderheiten mit sich, insbesondere wenn es um die Interessenvertretung der Mitarbeiter geht.

Arbeitskämpfe sind dem Verständnis der Kirchen nach unvereinbar mit dem Prinzip der christlichen Dienstgemeinschaft und werden daher ausgeschlossen. Statt gewerkschaftlich organisierten Betriebs- und Personalräten gibt es in Kirchenbetrieben "Mitarbeitervertretungen", die ein Mitspracherecht haben, aber bei weitem nicht die gleichen Befugnisse wie Betriebsräte. Über Lohnerhöhungen und andere grundlegende Arbeitsvertragsbedingungen verhandeln arbeitsrechtliche Kommissionen, die paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gebildet werden und die nach dem Konsensprinzip entscheiden sollen. Kommt keine Entscheidung zustande, werden Schlichter eingeschaltet, deren Urteil verbindlich ist. Vereinbarte Regelungen können anders als im herkömmlichen Tarifvertragssystem nicht einseitig aufgekündigt werden. Das funktionierte über Jahrzehnte hinweg gut.

Kritik und Prozesse In den vergangenen Jahren sind diese kirchlichen Sonderwege jedoch verstärkt Gegenstand öffentlicher Kritik und gerichtlicher Prozesse gewesen. Insbesondere die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bezichtigt die kirchlichen Wohlfahrtsverbände der "Lohndrückerei" und fordert ein Streikrecht für Kirchenmitarbeiter. Aufgrund des steigenden Konkurrenzdrucks durch private Anbieter würden auch die kirchlichen Sozialdienste verstärkt auf Ausgründungen und Leiharbeit setzen, um Lohnkosten zu senken, so Verdi. Insbesondere unter dem Dach der Diakonie sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Beschäftigte in Leiharbeitsfirmen ausgegliedert oder in niedrigere Gehaltsgruppen eingestuft wurden. Die Kirchen wehren sich vehement gegen solche Vorwürfe.

Ein weiterer Kritikpunkt: Seit den 1990er Jahren ist die finanzielle Eigenbeteiligung der Kirchen an ihren Sozialdiensten immer weiter gesunken. Mittlerweile werden die meisten Einrichtungen der Caritas und Diakonie komplett aus staatlichen Mitteln finanziert. Das ist im Sinne der Subsidiarität politisch auch so gewollt. Der Staat überträgt seine sozialen Aufgaben an freie Träger und zahlt dafür. In der Regel ist das die günstigere Lösung, als wenn die Kommunen die sozialen Einrichtungen selber aufbauen und verwalten müssten. Kritiker monieren aber, wo der Staat als Auftragsgeber und Financier fungiert, müsse er auch die eigenen rechtlichen Standards für Mitarbeiter durchsetzen.

Reaktion der Verbände Trotz Streikverbots organisierte Verdi mehrfach Warnstreiks von Diakonie-Mitarbeitern, woraufhin einzelne diakonische Betriebe und Landeskirchen im Jahr 2009 vor Gericht zogen. Nach langem Rechtsstreit errang Verdi im November 2012 vor dem Bundesarbeitsgerichts (BAG) einen Teilerfolg. Dem Urteil des Gerichts nach sei der "Dritte Weg" der Kirchen zwar grundsätzlich verfassungskonform. Die Richter forderten die Kirchen aber auf, die Gewerkschaften künftig an den arbeitsrechtlichen Kommissionen zu beteiligen. Ausgehandelte Verträge und Schlichtersprüche müssten zudem verbindlich eingehalten werden. Solange dies nicht gewährleistet sei, dürfe Verdi zu weiteren Streiks aufrufen.

Nach dem BAG-Urteil haben die Kirchenverbände entsprechende Neuregelungen beschlossen, die den Gewerkschaften und Mitarbeitervertretungen mehr Mitspracherechte einräumen. Bei der Auslegung ihrer Loyalitätspflichten ist die katholische Kirche nun ebenfalls großzügiger geworden und betont, dass eine Scheidung, Wiederheirat oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft kein zwingender Kündigungsgrund mehr sei. Nur schwerwiegende Loyalitätsverstöße wollen die Kirchen noch ahnden - etwa das Propagieren von Fremdenhass oder den Kirchenaustritt eines aktiven Mitarbeiters. Die EKD ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat in ihrer neuen Richtlinie die Einstellung von kirchenfernen Fachkräften ausdrücklich befürwortet, mit dem Ziel, die multikulturellen Kompetenzen in ihren Betrieben zu fördern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.